Mobilfunk in Europa

Großes Potenzial für mobile Datendienste

13.07.2001
MÜNCHEN (sp) - Auch wenn WAP (Wireless Application Protocol) bisher ein Flop war: Das Handy wird künftig immer stärker für Datendienste genutzt. Experten gehen davon aus, dass im Jahr 2004 durchschnittlich 65 Prozent der Europäer ein datenfähiges Mobiltelefon oder einen PDA (Personal Digital Assistant) mit Telefonfunktionen besitzen werden.

Abgesehen vom SMS-Versand verwenden die Europäer ihre Handys in erster Linie zum Telefonieren. Zurzeit entfallen auf mobile Datendienste nur sieben Prozent der gesamten Umsätze aus dem Mobilfunkgeschäft. Den Analysten von Gartner zufolge, die auf ihrer zweitägigen Konferenz in Rom Zukunftsperspektiven der Mobilfunknutzung in Europa aufzeigten, sollen im Jahr 2005 aber bereits 35 Prozent der Einnahmen über mobile Internet-Services und Messaging-Dienste erzielt werden. In jedem Endgerät werde dann mindestens eine Option zur Datenanbindung integriert sein.

Während die Umsätze aus dem Voice-Geschäft wegen der weiter sinkenden Telefongebühren stagnieren und ab 2005 sogar zurückgehen sollen, könnten sich mobile Datendienste in den kommenden Jahren zu einem lukrativen Geschäft entwickeln. Auch die Unternehmensberater von Booz, Allen & Hamilton schätzen, dass der Markt in Europa von 323 Millionen Euro im Jahr 2000 auf bis zu 23 Milliarden Euro 2003 wachsen wird.

Vorausgesetzt, die Technik spielt mit. Der erste Standard für Wireless-Datendienste, WAP, stößt bei den Nutzern nicht nur wegen des dürftigen inhaltlichen Angebots, sondern auch wegen der mangelhaften Navigation und langer Aufbauzeiten auf Ablehnung. Einer Umfrage der Meta Group zufolge halten 85 Prozent der WAP-Handy-Besitzer den Zugang zum Internet für zu kompliziert.

Da die derzeitigen Netze noch nicht in der Lage sind, Hochgeschwindigkeitsdaten zu übermitteln, wird jedoch noch einige Zeit ins Land gehen, bis die nachfolgenden Mobilfunkgenerationen GPRS (General Package Radio Service) und UMTS (Universal Mobile Telecommunications System) die Versprechungen der Anbieter erfüllen. GPRS wird sich nach Einschätzung von Gartner-Analyst Peter Richardson bis 2005 zu einem erfolgreichen Mobilfunkstandard entwickeln. Laut Gregor Harter, Vice President und Partner bei Booz, Allen & Hamilton, setzen auch die Anbieter von Wireless Applications wegen der Unsicherheit bezüglich der neuen technischen Infrastruktur für mobile Datendienste "aus Überlebensaspekten" erst einmal auf GPRS. "UMTS ist derzeit out," so der Consultant.

Mit einer flächendeckenden Verfügbarkeit an GPRS-Endgeräten und zufriedenstellenden Bandbreiten ist jedoch frühestens Mitte nächsten Jahres zu rechnen. Umsätze aus diesem Geschäft sind laut Gartner-Analyst Richardson daher nicht vor 2003 zu erwarten. Erst dann seien die Anbieter technisch in der Lage, mehrere Channels - etwa SMS, WAP oder Internet - gleichzeitig zu bedienen, was als Grundvoraussetzung für den Erfolg mobiler Services gilt. UMTS wird sich nach Einschätzung des Experten dagegen erst ab dem Jahr 2006 zu einem profitablen Markt entwickeln.

Angesichts der hohen Kosten der Infrastruktur für die zweite und vor allem die dritte Mobilfunkgeneration stehen die durch den Erwerb der UMTS-Lizenzen zum Teil hoch verschuldeten Netzbetreiber vor einer ungewissen Zukunft, die laut Gartner von Übernahmen und Fusionen geprägt sein wird. Der enorme Kostendruck werde vor allem die mittleren und kleineren Anbieter zwingen, nicht zum Kerngeschäft gehörende Bereiche abzustoßen, was die Qualität des Serviceangebots gefährde. Gute Chancen, den Überlebenskampf zu überstehen, rechnen die Analysten dagegen Vodafone, der Deutschen Telekom, British Telecom, Telecom Italia, Orange und KPN aus.

Selbst WAP hat Zukunft

Die Probleme der Anbieter, im Geschäft mit mobilen Services und Anwendungen Fuß zu fassen, sind jedoch vor allem auf das dürftige inhaltliche Angebot zurückzuführen. Selbst WAP ist nach Ansicht von Richardson "gar keine so schlechte Technik" - die verfügbaren Services böten jedoch bislang keinen Mehrwert für den Anwender. Wenn bei verbesserter Funktionalität und höheren Bandbreiten sinnvolle Dienstleistungen angeboten würden, ließe sich auch mit WAP-Angeboten Geld verdienen, wie das Beispiel des vergleichbaren "Imode"-Service von NTT Docomo zeige, der in Japan mittlerweile ein Renner ist.

Auch Harter sieht vor allem im Consumer-Bereich gute Chancen für Anbieter mobiler Anwendungen und Services. Allerdings, warnt der Experte, "können finanzielle Engpässe diese Branche auch wieder vernichten, wenn sich der Markt in Europa nicht entsprechend schnell entwickelt". Zum anderen kann sich nur ein sehr geringer Teil der meist noch jungen Unternehmen aus den Erträgen des laufenden Geschäfts finanzieren - die meisten sind auf Venture-Capital-Gesellschaften oder strategische Partner angewiesen, um ihre Geschäftsmodelle umzusetzen. Hinzu kommt, dass die Anbieter verstärkt in Marktforschungs- und Marketing-Aktivitäten investieren müssen, um die Bedürfnisse ihrer Kunden ergründen und erfüllen zu können. Nur dann, so die einhellige Meinung der Experten, lassen sich mit mobilen Services auch langfristig Umsätze erzielen.

Die einzige Wireless-Anwendung, die in Europa derzeit massiv genutzt wird, ist SMS (Short Message Service). Laut Gartner wird auch künftig die Kommunikation treibende Kraft im Markt für Datendienste sein. Großes Potenzial birgt nach Einschätzung der Analysten vor allem das "Enhanced Messaging", das Verschicken von Kurznachrichten mit angehängten Bildern und Sounddateien. Da es sich bei SMS um ein geschlossenes, nicht an das Internet angebundenes System handelt, gehört die Zukunft nach Ansicht des Gartner-Experten Ken Dulaney aber eher den Instant-Messaging-Services, wie sie AOL Time Warner und Microsoft anbieten.

Chancen im Consumer- und Business-Markt

Die Bereitschaft, für mobilen Content und Services zu bezahlen, ist zwar im Business-Bereich wesentlich höher. Grundsätzlich würden aber auch die Endverbraucher für Angebote Geld hinlegen, in denen sie einen Nutzen erkennen. Einer Gartner-Umfrage zufolge wären die privaten Nutzer für das Verschicken von Fotos, Location-based Services (LBS) und das Downloaden von Musik bereit, zwei- bis dreimal so viel wie für den Versand einer SMS zu zahlen. Perspektiven bieten zudem M-Commerce-Angebote, Finanzdienstleistungen, Informationen sowie Unterhaltung - insbesondere Spiele und Pornografie. Eine "Killerapplikation" im mobilen Consumer-Bereich wird sich jedoch - abgesehen von SMS - auch in den nächsten Jahren nicht herauskristallisieren, so die Gartner-Analysten.

Bislang stand im M-Commerce der Privatkunde im Fokus der Anbieter. Ein Fehler, meint Thomas Spiegelmeier, Mobilfunkexperte bei der Unternehmensberatung Mummert + Partner. Denn im Geschäftsumfeld seien mit M-Commerce-Anwendungen weit höhere Gewinne zu erwarten. "Trotz seines hohen Potenzials haben die UMTS-Lizenzinhaber diesen Markt so gut wie noch gar nicht entdeckt", so der Consultant. Dabei könnte das Firmenkundengeschäft die gebeutelten Lizenznehmer erheblich entlasten: Bereits im vergangenen Jahr wurden einer Studie von Booz, Allen & Hamilton zufolge fast 60 Prozent des gesamten M-Commerce-Umsatzes in Deutschland (483 Millionen Mark) im B-to-B-Bereich generiert.

Bei den meisten mobilen Geschäftsanwendungen (70 Prozent) handelt es sich um Weiterentwicklungen bestehender Geschäftsprozesse. "Wir rechnen nicht damit, dass ein Unternehmen Autoteile im Wert von zehn Millionen Dollar über ein Handy bestellt", meint etwa Gartner-Analyst Nick Jones. Die mobilen Datendienste würden die bestehenden Applikationen nicht ersetzen, sondern unterstützen - etwa durch Funktionen wie Status-Checking oder Benachrichtigungen via SMS.

Auch mobile Business-to-Employee-(B-to-E-)Anwendungen liegen im Trend. Nach Erhebungen von Gartner werden im Jahr 2005 mehr als 60 Prozent der Mitarbeiter großer Unternehmen einen Wireless-Zugang zu Firmenapplikationen haben. Perspektiven haben nach Ansicht der Experten vor allem mobile Funktionen zur Unterstützung des Außendienstes sowie zur Verbesserung der Kommunikation zwischen den Mitarbeitern untereindander und mit den Kunden.

Wireless-Anbieter

Booz, Allen & Hamilton unterteilt die Anbieter von Wireless-Anwendungen in fünf große Bereiche:

- Beratungsdienstleister: Firmen, die Unternehmen bei ihrer mobilen Strategie unterstützen

- Data Enabler: Anbieter von Schlüsseltechnologien, die eine Wireless-Anwendung ermöglichen (etwa Payment-Systeme, Sicherheitsprotokolle und Middleware-Plattformen).

- Wireless Enterprise: Entwickler von Lösungen, mit denen Firmen bestehende Systeme mobil einsetzen können.

- Wireless Merchant: Entwickler von Wireless-Lösungen für den B-to-C-Bereich.

- Content Players: Anbieter von Inhalten.

Trends im Hardwarebereich

Ende nächsten Jahres wird eine Vielzahl an Smartphones, PDAs, Pagern, Organizern sowie andere telefoniefähige Handhelds auf dem Markt sein, die sich nach Funktionen, Preis, Betriebssystemen und Anwendungen unterscheiden. Wichtig für die Serviceanbieter ist es daher, möglichst viele Kombinationen zu unterstützen, das heißt "Multichannel-fähige" Dienste anzubieten.

Genauso wenig wie eine "Killerapplikation" bei mobilen Datendiensten in Sicht ist, wird es ein Endgerät geben, das alle Anwendungen auf sich vereint. Der Trend geht laut Gartner-Analyst Ken Dulaney jedoch dahin, dass die Consumer eher ein gemeinsames Gerät für Telefonie und Datendienste bevorzugen, während der professionelle Nutzer mehrere Produkte gleichzeitig nutzen wird. Bis Ende 2003 wird Schätzungen zufolge mehr als die Hälfte der mobilen Business-Anwender in Europa über mindestens zwei verschiedene mobile Endgeräte verfügen.

Durchsetzen werden sich nach Meinung von Dulaney eher visuell ausgerichtete Geräte - neben PDAs die so genannten Clamshell-Devices (Subnotebooks, Handhelds) sowie Tablets (Organizer ohne Tastatur), da sie mehr Funktionen und ein größeres Display haben als die Voice-zentrierten Smartphones. Zudem ist es bequemer, via Headset zu telefonieren und dabei den Bildschirm im Blick zu haben, als den Hörer immer wieder wegzuhalten, um aufs Display zu schauen. Den in den USA beliebten Pagern sagt der Analyst kaum Chancen voraus - für den europäischen Geschmack seien die Tastaturen zu klein. Weitere Trends sind hochauflösende Displays, eingebaute Kameras und Barcode-Scanner, Funktionen, von denen sich die Branche vor allem im M-Commerce Auftrieb verspricht. Auch besitzen immer mehr Geräte eine Fingerabdruckerkennung, um den Zugang abzusichern, was vor allem im Business-Bereich entscheidend ist.

Abb.1: Umsätze mit mobilen Datendiensten nach Anwendungen

Die höchsten Umsätze aus dem Geschäft mit mobilen Anwendungen und Services erwarten Experten in den Bereichen Kommunikation und Unterhaltung. (Quelle: Gartner)

Abb.2: Die "Always-Online"-Generation

Mit dem Internet-Zugang via Handy, PDA und andere mobile Endgeräte werden die Anwender künftig nicht nur ortsunabhängig, sondern auch für extrem kurze Zeit (weniger als eine Minute) online sein. (Quelle: Gartner)