Grossbritannien als Experimentierfeld Baby-Bell Nynex liebaeugelt mit dem europaeischen TK-Business

15.10.1993

LONDON (gh) - Dass die deutsche Telekom spaetestens nach der vollstaendigen Liberalisierung des europaeischen Telefondienstmarktes von der Konkurrenz aus Uebersee bedraengt werden wird, ist eine nicht erst seit gestern gelaeufige Erkenntnis. Ein Unternehmen, das in diesem Zusammenhang bis dato nicht allzu oft genannt wurde, ist die US-amerikanische "Baby- Bell" Nynex Corp."Wir sind hier, um ueber Nynex zu reden", beschrieb Chairman und Chief Executive Officer William Ferguson vor der europaeischen Presse in London das Ansinnen seiner Company, mittelfristig auf ein staerkeres europaeisches Standbein zu setzen. Vor rund zehn Jahren als eine der sieben regionalen "Baby Bells" entstanden, macht die in New York ansaessige Gesellschaft ihr Hauptgeschaeft bislang in den US-Bundesstaaten Maine, Massachusetts, New Hampshire, New York und Vermont. Dazu gehoeren neben der Herausgabe von Telefonbuechern vor allem der Betrieb drahtloser und verdrahteter Telefonnetze. Allein in New York City schaltet das Unternehmen eigenen Angaben zufolge taeglich rund 113 Millionen Verbindungen.Entsprechend lesen sich auch die Geschaeftsergebnisse der Nynex Corp. Bisher erwirtschaften die New Yorker mit weltweit mehr als 80 000 Mitarbeitern noch mehr als 90 Prozent ihres Umsatzes von 13,2 Milliarden US-Dollar (1992) in den USA, davon rund 11,6 Milliarden US-Dollar mit TK-Diensten. Dabei tritt man allerdings seit 1988 in puncto Umsatzentwicklung auf der Stelle; nach einem voruebergehenden Gewinneinbruch im Jahr 1991 konnte jedoch vergangenes Jahr immerhin wieder ein Ergebnis nach Steuern von 1,3 Milliarden US-Dollar erzielt werden. Diese ehe durchwachsenen Aus-sichten werden noch verstaerkt durch juengste Entwicklungen im US-amerikanischen TK-Markt - insbesondere durch die geplante Uebernahme von McCaw durch AT&T. "Dieser Deal hat den Charakter einer Wiederherstellung der alten Bell-Company", gibt Chair-man Ferguson zu bedenken. Sein Unternehmen sei daher gegen die Genehmigung des Mergers, zumindest so lange durch gesetzliche Beschraenkungen kein chancengleicher Wettbewerb mit AT&T (Vermittlung von Ferngespraechen, Produktion von Endgeraeten) gewaehrleistet sei.Kabel-Franchise-Rechte in Grossbritannien Europa soll daher, neben Suedostasien, zum dritten wichtigen Standbein ausgebaut werden. Mehr als ein komfortables Sprungbrett hierzu haben sich die Amerikaner bereits in dem weitgehend liberalisierten britischen TK-Markt geschaffen. Dort haelt Nynex Kabel-Franchise-Rechte fuer die Bedienung von fast drei Millionen Haushalten und ist damit zum groessten Betreiber kombinierter Kabelfernseh- und Telefondienste avanciert. "Der britische Markt hat Modellcharakter fuer unsere zukuenftigen internationalen Aktivitaeten", gab der Nynex-Chef denn auch als Devise aus. Unter anderem habe man dort in den vergangenen zwei Jahren eines der modernsten Glasfasernetze "ohne einen Penny des Steuerzahlers" aufgebaut. Vor einem grossen Einstieg in das kontinentale Geschaeft mit TK-Diensten scheut das Nynex-Management allerdings bis auf weiteres zurueck, jedenfalls kann man bis dato ausser einem Zellularfunk-Joint-venture in Griechenland und der Auflage von Telefonbuechern in Polen und der Tschechischen Republik kein nennenswertes Engagement vorweisen. Wenn jedoch 1998 in Europa das Telefondienstmonopol falle, werde man sich, so Ferguson, "agressiv nach entsprechenden Geschaeftsfeldern umsehen".