Grossauftrag geht an die Wilken GmbH Schweizer Behoerde ist SAP-Tool zu proprietaer

14.10.1994

BERN (CW) - Zu proprietaer, zu unausgereift, zu teuer - die Topunternehmen der internationalen Standardsoftwareszene, darunter SAP, IBM und Oracle, ziehen bei einer Grossausschreibung der schweizerischen Finanzbehoerden den kuerzeren. Statt dessen soll die kleine Wilken GmbH, Ulm, den Zuschlag erhalten.

Die Eidgenoessische Finanzverwaltung in Bern, verantwortlich fuer saemtliche Finanzen des Bundes, ist dabei, ihre Host-orientierte Datenverarbeitung auf Client-Server-Computing umzustellen. Dafuer eignet sich die bisher eingesetzte Mainframe-basierte Standardsoftware IFS von der IBM nicht mehr. Auch stoesst das hierarchische Datenbanksystem DL/1 bei der Verarbeitung von zehnstelligen und hoeheren Summen an seine Leistungsgrenzen. Ausserdem bietet es keine SQL-Schnittstelle und ist schon deshalb nicht mehr up to date.

Eine relationale Datenbank ist unabdingbar fuer die Behoerde, deren Ziel unter anderem darin besteht, bessere Management- Informationsstrukturen zu schaffen. Dabei soll auf alte Programm- und Datenbestaende nicht verzichtet werden. Deshalb steuern die Schweizer eine Client-Server-Loesung an, die es erlaubt, Datenhaltung, Applikation und grafische Praesentation voneinander zu trennen, dabei aber die zahlreichen Cobol- und Assembler- Programme, die im Umfeld von IFS entstanden sind, weiter zu nutzen.

Der IBM-Mainframe, eine ES 9000, Modell 210, wird weiterhin als Applikations-Server unter VSE/ESA installiert bleiben. Allerdings soll darauf weder die veraltete IBM-Software noch deren Nachfolger BMS laufen.

Vielmehr werden sich die Eidgenossen nach erfolgreich abgeschlossenen Tests zum Jahresende fuer die CS/2-Produkte von Wilken entscheiden - davon zumindest geht der Projektverantwortliche Erwin Mueller aus. Die Software soll zusammen mit IBMs relationalem Datenbanksystem SQL/DS genutzt werden, das unter dem Betriebssystem VM/ESA zum Einsatz kommen wird.

Die Entscheidung fuer das Ulmer Softwarehaus fiel nicht zuletzt deshalb, weil sich die Wilken-Software mit Hilfe der ANSI-Sprachen Cobol und Assembler beliebig erweitern laesst und zudem Native-SQL unterstuetzt.

"Abap/4 ist dagegen proprietaer", fuehrt Projektleiter Mueller aus; wenn man sich auf die 4GL der SAP einlasse, liefere man sich dem Hersteller auch in der Programmierung auf Gedeih und Verderb aus. Ausserdem fehle es der Finanzverwaltung an Spezialisten fuer die Programmiersprache.

Ein weiterer Grund fuer die Pro-Wilken-Entscheidung liege in der Unterstuetzung sowohl von PCs als auch alphanumerischer Terminals. Ausserdem greife das Softwarehaus der Behoerde bei der Software- Entwicklung unter die Arme - der kostspielige Einsatz von Beratern, im SAP-Umfeld laengst eine Selbstverstaendlichkeit, sei hier nicht erforderlich. Auch das Sicherheitsargument spreche heute nicht mehr gegen ein kleines Softwarehaus wie Wilken. Der Sourcecode wurde in einer Schweizer Bank hinterlegt und kann im Notfall benutzt werden.

Zu den nicht beruecksichtigten Produkten zaehlt neben den SAP- Erzeugnissen auch die Financials-Loesung von Oracle. Sie habe, abgesehen vom zu hohen Preis, den Nachteil, nur mit der unternehmenseigenen Datenbank zu laufen.

Die IBM-Software BMS schien den Eidgenossen weniger geeignet, da Big Blue kaum Installationen nachweisen koenne, in denen sie auf Basis des Datenbanksystems SQL/DS zum Einsatz komme - als Pionier aufzutreten sei der Verwaltung zu riskant. Durch das enge Raster der Behoerde fielen ausserdem Loesungen des franzoesischen Softwarehauses CGI sowie der Schweizer Dependance von AT&T Global Information Systems.