Großanwender können kaum noch über Herstellerunabhängigkeit diskutieren

01.07.1988

Die Bindung an einen Hardware - Hersteller ist bei vielen Großanwendern so stark, daß die Vorteile herstellerunabhängiger Betriebssysteme von DV - Leitern oft gar nicht mehr in Betracht gezogen werden. Das ergaben Recherchen der COMPUTERWOCHE in den vergangenen Wochen. Anwender in mittleren und kleineren Unternehmen sind eher zu einer Diskussion über relativ offene Systeme wie Unix bereit. Der Grund: Sie müssen häufig mit einer aus Insellösungen gewachsenen DV mit unterschiedlichen Betriebssystemen zurechtkommen.

Bei Großanwendern ist die Situation meistens klar: Mit der Entscheidung für den Mainframe eines Herstellers ist auch die gesamte DV - Welt eines Unternehmens klar definiert und für Jahre festgelegt. Das dazugehörige Betriebssystem in der zentralen DV bestimmt die Arbeit und den Datenaustausch aller übrigen Unternehmensbereiche mit. Der Einsatz von Systemen anderer Hersteller in der Zentral - DV ist weitgehend ausgeschlossen. Zwar wäre ein einziges Betriebssystem für Rechner verschiedener Hersteller sicherlich eine gute Sache, um über den Wettbewerb im Produktangebot die Kosten zu senken aber davon sei man wohl noch Jahre entfernt, meint ein Bull - Anwender aus Norddeutschland.

Auch Jürgen Below, DV - Leiter bei der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) in Berlin, vermutet, daß ein herstellerunabhängiges Betriebssystem für die Welt der Mainframes noch eine Utopie sei. "Eine Steigerung der Effizienz im DV -Bereich kann heute mit der Verwendung eines einzelnen Betriebssystems für alle Rechnertypen noch nicht erreicht werden", stellt der BS2000 - Anwender für die zentrale DV fest. Im peripheren Bereich setzt Below indes auf Unix - Systeme, die bei ihm als Abteilungsrechner mit eigenen Programmen laufen.

Der Einsatz von mehreren Betriebssystemen erfordert nach Meinung Belows eine klare Aufgabentrennung. Bei der BfA übernimmt deshalb der Siemens - Zentralrechner die Dialogverarbeitung in Realzeit. "Dafür ist ein Unix - Rechner viel zu aufwendig", konstatiert der DV - Chef. Die Versuche, Unix für die peripheren Systeme und den Host einzusetzen, haben erbracht, daß zumindest beim Host Performance - Verluste von bis zu 40 Prozent in Kauf genommen werden müssen." Dagegen wurden die zentralen Anwendungen unter BS2000 von Below und seiner DV - Mannschaft so komprimiert, daß mit Hilfe sehr ausgefeilter Verfahren, wie er sagt, "die Höchstbelastung, die rechnerisch vorstellbar ist, bewältigt werden kann". In einem Rund - um -die - Uhr - Betrieb sind die Anlagen somit optimal ausgelastet. "Wenn ich hingegen ein Programmsystem in einer neuen Sprache entwickle, das sowohl für die kleinen Subsysteme als auch für den Host gedacht ist, muß es zwangsläufig zu einem Performance - Verlust kommen", erläutert Below den Ist - Zustand. "Und das können wir uns bei einer sehr stark zentral ausgerichteten DV nicht leisten."

In der DV - Organisation der BfA sind die Schnittstellen zwischen dem peripheren System und der Zentrale klar definiert: Die Unix -Maschine übernimmt als Vorrechner Dienstleistungen wie die Bedienung der peripheren Eingaben, die Maskensteuerung oder die Plausibilitätsprüfung. Außerdem regelt er die Zugriffsberechtigungen und das Bereitstellen von Druckausgaben.

Auf der Personalseite erfordert jedoch der Einsatz mehrerer Betriebssysteme in einem Unternehmen Fachleute mit entsprechend unterschiedlichen Qualifikationen. "Für die peripheren Rechner haben wir unsere Spezialisten ebenso wie für das Betriebssystem am Host", erläutert der DV - Verantwortliche bei der BfA. Grundvoraussetzung für jeden der Organisationsprogrammierer sei jedoch, daß er Assembler und Cobol beherrsche. Zudem müsse er aber über die besondere Sprache der Subsysteme verfügen, an denen er arbeite. Der Leiter der Organisationszentrale brauche dagegen nicht unbedingt Spezialist zu sein, meint Below.

Weniger gute Erfahrungen mit dem Einsatz mehrerer Betriebssysteme machte hingegen Ulrich Jung, Leiter der DV und Organisation bei der Firma Kunststoffe Heinrich Brinkmann in Dreieich bei Frankfurt. Seine Schlußfolgerung nach der Testphase: "Die Kosten für Softwareentwicklung, Wartung, Ausbildung und Schulung der Techniker fallen doppelt an, ohne daß die Arbeitsleistung steigt."

Neben dem Einsatz einer IBM /38 Modell 200 mit der die Finanzbuchhaltung, die Kostenrechnung und teilweise die Betriebsdatenerfassung organisiert wird, erprobte Jung den Einsatz eines PCs im CAD - Bereich: "Von der Kostenseite her erschien es uns erst einmal sehr verlockend, im Konstruktionsbereich auf Stand - alone -Systemen zu arbeiten". Die für wenige Monate praktizierte Prototyp-Lösung erwies sich aber letztlich "als totaler Reinfall". Das getestete CAD - Programm ließ sich nämlich nicht in die Logistik von Planung und Produktion einfügen.

Die DV - Situation der Kunststoffe Heinrich Brinkmann spiegelt die typischen Probleme eines mittelständischen Unternehmens wider, das leicht Gefahr läuft, sich zu verzetteln. "Um Geld zu sparen, werden häufig Systeme eingesetzt, die den Anforderungen nicht genügen, kritisiert Dieter Härthe, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft, den Einsatz der DV in mittleren und kleinen Betrieben.

Jung bewertet seinen Ausflug in die PC - Welt denn auch als Experiment, bei dem er mit blauem Auge davongekommen sei: "Wir hatten Schwierigkeiten, unsere Manpower so einzusetzen, daß wir mit beiden Systemen hätten sinnvoll arbeiten können", erläutert er die Probleme. Seiner Meinung nach sind auch gute Mitarbeiter überfordert, wenn man ihnen zumutet, an mehreren Rechnertypen mit unterschiedlichen Betriebssystemen zu arbeiten. Hinzu komme, daß Insellösungen mit Datensätzen, auf die nur isoliert zugegriffen werden könne, einem Integrationskonzept von Produktion im Unternehmen widersprächen. An Unix als ein Betriebssystem, mit dem Inkompatibilitäten weitgehend beseitigt werden können, glaubt er nicht. Für ihn hat dieses Betriebssystem mit seinen unterschiedlichen Hersteller - Versionen immer noch exotischen Charakter.

Auf die Gefahr von "DV - Wildwuchs" in mittelständischen Unternehmen, wiesen Anwender bereits im vergangenen Jahr während einer Tagung der Fachgruppe Technik und Logistik des Bundesverbandes Deutscher Unternehmensberater (BDU) hin. Sie gaben zu bedenken, daß Mittelständler in der ersten Computer -Euphorie die Rechner konzeptions - und planlos für die Bereiche Produktion und Verwaltung eingekauft hatten. Insellösungen liefen dann vielfach mit unterschiedlichen Betriebssystemen, die Integration der einzelnen Arbeitsbereiche in ein Gesamtkonzept wurde schwierig oder gar unmöglich. Als Ursache für diese Inkompatibilitäten nannten die mittelständischen Anwender - neben Planungsfehlern in den Unternehmen - vor allem fehlende herstellerunabhängige Standards, an die sich der Kunde bei der Anschaffung von DV - Equipment halten könne.

Über Folgen mangelnder Beratung seitens der DV - Anbieter beklagt sich Eugen Karau kaufmännischer Leiter und zuständig für die DV beim Friedrich Verlag in Velber bei Hannover "Viele Hersteller lassen die Anwender vor sich hinwursteln, ohne wirklich wirksame Hilfen zu geben." Bei der Anschaffung würden in Hinblick auf Bedienerfreundlichkeit und Kapazität der Rechner Versprechen abgegeben, die letztlich kaum eingehalten würden. "Da fallen dann Äußerungen wie mit 10 KB haben Sie für Jahre genug", ärgert sich der DV - Verantwortliche. "Und dann stellt man bereits nach einem Vierteljahr fest, daß das System nicht mehr ausreicht."

Das DV - Equipment des Verlages für Pädagogik - Zeitschriften hat sich aus der Nutzung einzelner PCs für den Verwaltungsbereich entwickelt. Zusätzlich wurden für die Adreßverwaltung die Dienste eines im Nebenhaus des Unternehmens ansässigen Rechenzentrums in Anspruch genommen. Die Bearbeitung der Adreßdaten, kann nur zu festgelegten Zeiten erfolgen. Als weiteren Nachteil beschreibt Karau, daß die Daten doppelt, nämlich sowohl in den PC als auch den Großrechner eingegeben werden müßten.

Hinzu kam, daß die Rechner in der Verwaltung wegen mangelnder Kenntnisse des Personals auch nicht optimal genutzt wurden. Geld für externe Berater und Schulung der Mitarbeiter ist wie bei anderen mittelständischen Unternehmen auch im Friedrich Verlag knapp bemessen. "Schulung war damals eine Kostenfrage. Zudem lohnte es nicht, für die wenigen PCs, einen DV - Leiter einzustellen", erinnert sich der für das Budget verantwortliche kaufmännische Leiter. Das Ergebnis autodidaktischer Bemühungen seiner Mitarbeiter stellt Karau jedoch auch nicht zufrieden: "Brauchbare Lösungen konnten wir nur mit einem hohen Zeitaufwand entwickeln." Seine Erfahrungen haben ihn jetzt dazu veranlaßt, mit der Geschäftsleitung nach einer zentralen DV - Lösung für die Verwaltung des Verlages zu suchen, von der er sich Kosteneinsparungen verspricht.

Das Konzept Karaus trennt jedoch auch künftig den Bereich Herstellung ausdrücklich von der Verwaltung, "weil eine Datenübernahme auf absehbare Zeit nicht nötig ist". Im Einsatz von Stand - alone - Systemen, auf denen Druckvorlagen erstellt werden, sieht er sogar Vorteile: "Bei einem Systemabsturz in der Verwaltung kann die Produktion weiterarbeiten."

Die Sicherung des bereits vorhandenen Datenbestandes macht derzeit auch einem DV - Verantwortlichen aus dem Medienbereich mit Sitz in Norddeutschland Kopfzerbrechen. Die Kapazität seines IBM -/38 - Rechners ist erschöpft. So wächst denn auch der Unmut in den einzelnen Abteilungen des Unternehmens, die sich mit langen Antwortzeiten bei der DV - Nutzung herumplagen müssen. Dadurch gerät der DV - Verantwortliche unter Zeitdruck für eine Produktentscheidung. Der Kauf eines neuen Rechners aus dem Midrange - Bereich wird ihm von der Herstellerseite außerdem nicht leicht gemacht. Der DV - Verantwortliche sieht sich der internen Konkurrenz der IBM - Vertriebsleute unterschiedlicher Geschäftsstellen ausgeliefert, die ihm einerseits nahelegen, auf die Silverlake zu warten, andererseits einen Rechner der 370er - Architektur empfehlen. Der Wunsch des durch die IBM - Verkaufsstrategie hin- und hergerissenen Entscheiders ist "ein einheitliches Betriebssystem, wenigstens für alle IBM - Rechner, um mit einmal erfaßten Daten auch weiterarbeiten zu können". Eine mögliche Alternative sieht er in einer Unix - Maschine, von der er sich weitgehende Herstellerunabhängigkeit für die Zukunft verspricht.

Herstellerunabhangigkeit war im vergangenen Jahr auch für die DV - Planer in der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg ein wichtiges Argument, künftig Unix einzusetzen. Hilde Faleschini, DV -Verantwortliche bei der Behörde, stellt fest, daß seit 1984 mit dem Einsatz mehrerer DV - Systeme unterschiedlicher Hersteller "eine Entwicklung eingeleitet wurde, die für eine langfristige Zielkonzeption nicht tragbar war. Doppelentwicklung und -wartung waren die Folgen". Von Unix versprechen sich die DV - Strategen der Bundesanstalt für Arbeit die Möglichkeit "Software für Fachaufgaben im wesentlichen nur einmal zu entwickeln und ohne großen Zusatzaufwand auf Unix -Systeme anderer Hersteller zu portieren".