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Größtes IT-Projekt der Welt steht in der Kritik

02.08.2004

Das britische Gesundheitsministerium will mit einem riesigen IT-Programm die komplette IT-Topologie des National Health Service (NHS) erneuern. Das Projekt wird auf etwa 7,6 Milliarden Euro taxiert. Jetzt hat der Bericht eines Sachverständigenrats für Unruhe gesorgt. Darin wird den Projektverantwortlichen vorgeworfen, bei der Realisierung des Großvorhabens zu wenig koordiniert vorzugehen und häufig den Sinn und die Effizienzgewinne von Teilprojekten nicht nachgewiesen zu haben.

Das in London ansässige Institute for Public Policy Research (IPPR) und dessen Autor Jamie Bend äußern in dem Report "Public Value and e-Health" (PDF) erhebliche Vorbehalte bezüglich des Vorhabens des NHS, das als momentan größtes IT-Projekt der Welt bezeichnet wird. Sie warnen, den Vorteilen einer kompletten Computer- und Softwarerenovierung stünden auch erhebliche Nachteile gegenüber. Diese entstünden, weil die Sinnhaftigkeit und die Effizienz verschiedener Unterprojekte in keiner Weise belegt seien.

Als Beispiel führt Bend das Pilotprojekt der elektronischen Patientendatenbank an. Das Projekt stützt sich auf Oracles Datenbanktechnik und wird von der BT Group und deren für Systemintegrationen zuständiger Tochterfirma ausgeführt. Bis heute sei überhaupt nicht erwiesen, welche Vorteile aus diesem Projekt erwachsen sollen. Ziel ist es, die Gesundheits-/Krankheitsdaten von rund 50 Millionen Engländern in dieser Datenbank zu erfassen und diese Daten etwa 30.000 Ärzten zugänglich zu machen. Bis zum Jahr 2008 sollen über dieses System pro Jahr fünf Milliarden Transaktionen abgearbeitet werden können.

Erste Tests haben aber nicht belegen können, dass durch dieses System eine größere Flexibilität bei den Dienstleistungen des Gesundheitswesens zu erzielen seien. Auch würden sich keine Kosteneinsparungen ergeben. Verbesserungen bei der Patientenbehandlung konnten ebenfalls nicht verzeichnet werden. Mit dieser Lösung sollte es für Patienten auch leichter sein, über ein elektronisches Anmeldesystem eine leichtere Auswahl eines geeigneten Arztes zu erreichen. Auch diese Zielsetzung ist bislang zumindest nicht eindeutig verwirklicht worden.

Der IPPR-Autor hat für seinen Bericht mehr als 40 verschiedene Reports ausgewertet, die sich wiederum mit allen möglichen Aspekten des NHS-IT-Projekts befassten. Die Einzelbewertungen setzten sich dabei vor allem mit sechs großen Unterprojekten des NHS-IT-Vorhabens kritisch auseinander. Hierzu gehört etwa die elektronische Patientendatenbank.

Als Beleg für die wenig koordinierte Vorgehensweise in dem Riesenprojekt führte Autor Bend an, dass es ihm schon allein schwer gefallen sei, die relevanten Reports über das Gesamtprojekt überhaupt zu finden. Die mehr als 40 von ihm gewürdigten Einzeldarstellungen habe er irgendwo "in obskuren Ecken und Winkeln des Internet" zusammen suchen müssen. In anderen Fällen seien seine Anfragen wegen der Berichte vom NHS einfach abgelehnt worden.

Ein in den Details bewanderter Experte wie Murray Bywater von Silicon Bridge Research führt zumindest einen Teil der Probleme auf die schiere Größe des britischen Gesundheitswesens mit seinen rund 1,4 Millionen Angestellten zurück. Die Verwirrung, die man als Außenstehender über das NHS-IT-Projekt verspüre, so Bywater, sei nur ein Spiegel der inneren Zustände im britischen Gesundheitswesen. Allerdings sei es ein Unding, so Bywater weiter, IT dafür benutzen zu wollen, Probleme bei Geschäftsprozessen zu lösen, wenn diese Prozesse selbst nicht funktionierten. Im Falle der NHS würden beispielsweise Betroffene wie Klinikpersonal oder andere Berufsgruppen des Gesundheitswesens viel zu wenig in die IT-Projekte einbezogen. (jm)