Computerindustrie in Europa

Größenwahn oder Selbstbehauptung?

13.11.1974

"Warum europäische Computer-lndustrie?" war Thema eines Festvortrages, den Franz Josef Strauß am 24. 10. im Audimax der Universität Stuttgart-Hohenheim hielt.

ICL verstand es, die Ankündigung ihrer neuen Computerfamilie, Serie 2900, mit dem zehnjährigen Bestehen des mit einem ICL-Rechner bestückten Rechenzentrums der Universität zu verbinden.

Strauß erfüllte eine Pflicht: Der CSU-Politiker ist Mitglied des Aufsichtsrates der deutschen ICL-Tochter. Anderer Ansicht als Franz Josef Strauß ist man im Hause Interdata, Gräfelfing bei München. "Es besteht die Gefahr, daß aus nationalistischen Gründen Mittel für die Wiedererfindung des Rades angewendet werden", heißt es in der Interdata-Zeitschrift, Ausgabe Oktober 1974. Die für einen Hersteller außergewöhnlich freimütige Polemik erschien unter der Überschrift "Ami go home - EDV aus dem nationalen Nähkästchen".

Wenn wir mit unseren hohen Forderungen an den Sozialstatus von morgen, wenn wir in unserem Bemühen um Vollbeschäftigung, in unserem Bemühen um Zahlungsbilanzausgeglichenheit, in unserem Bemühen, die Lebensverhältnisse in Europa denen der Amerikaner schrittweise anzugleichen, Erfolg haben sollen, dann genügt es nicht, die sogenannten konventionellen Produkte der Gegenwartstechnik zu produzieren, ganz gleich auf welchem Gebiete.

Ist es nun Größenwahn oder Selbstbehauptung, wenn die Europäer versuchen, auf dem Gebiet der Kernenergie, Luft- und Raumfahrt und EDV ihrerseits wieder eine gewisse Weltgeltung zu erhalten, sich einen bestimmten Marktanteil zu verschaffen? Ich glaube nicht, daß man diese Frage im Zeichen eines Gegensatzes USA: Europa beantworten sollte. Die Interdependenz der modernen Wissenschaft und Technik ist so groß geworden, daß es heute nicht eines mörderischen Vernichtungswettbewerbes zwischen USA und Europa bedarf, sondern daß hier sehr wohl, wenn richtig organisiert wird, eine gegenseitige Befruchtung stattfinden kann...

Von 17 auf 50 Prozent

Der Verzicht auf eine eigene, unabhängige Datenverarbeitung in Europa käme langfristig dem Verzicht auf eine technische und wirtschaftliche Spitzenposition in allen Bereichen der Wirtschaft gleich. Die Bedeutung dieser Aussage gewinnt Gewicht durch die immer klarer zutage tretende Erkenntnis, daß unsere menschliche Gesellschaft zunehmend von Informationen, ihrem Austausch und ihrer Verarbeitung abhängig wird . . .

Der US Markt wird zur Zeit ausschließlich durch amerikanische Hersteller beliefert. Seine Größenordnung gibt den amerikanischen Herstellern eine breite Basis für die Abdeckung ihrer Investitionen. In Anbetracht dieser Lage ist es ein billiges Verlangen, den Marktanteil der europäischen Datenverarbeitungsunternehmen in Europa von derzeit nur 17 % schrittweise auf einen angemessenen Anteil von vielleicht 40 - 50 % zu erhöhen . . .

Scheitern der Rechner-Union

Auch die EG hat, wie vorher in ein paar Stichworten dargestellt, diese Aufgabe erkannt und strebt eine Koordinierung der bisher nur nationalen Bemühungen an. Dabei ist es bedauerlich, aber es war vorherzusehen, daß die Schaffung einer deutschen Rechnerunion kein Erfolg werden konnte. Der Versuch, hier AEG und Siemens zusammenzuspannen, ist wegen der Verschiedenartigkeit der Systeme und der Größenordnungen von vornherein auf außergewöhnliche Schwierigkeiten gestoßen. Ich habe diese Verhandlungen noch in Erinnerung, möchte mich nicht im einzelnen dazu äußern, ich möchte auch niemandem zu nahe treten, weil das nicht mein Recht ist. Damals aber habe ich auch darauf hingewiesen, daß die Schaffung eines deutschen Großrechners ungeheuere Investitionen verlangt, die die Entwicklung jeweils eigener technischer Systeme kaum ermöglicht, zumal keine ausreichenden Absatzchancen vorhanden wären, um auch nur die getätigten Investitionen zu decken. Ich habe deshalb bedauert, daß Konstanz nicht mit einer Großrechnerfirma eines anderen europäischen Landes zusammengebracht werden konnte. Bei einem Zusammenschluß gäbe es heute manche Großgeräte nicht, für die es in absehbarer Zeit weder Software noch Ersatzteile mehr geben wird, obwohl sie vom Steuerzahler gekauft worden sind; aber das nur am Rande . . .

Kooperation ICL - UNIDATA wäre wünschenswert

In den folgenden Jahren entwickelten sich die europäischen Datenverarbeitungsunternehmen unabhängig voneinander, teilweise im Konkurrenzkampf gegeneinander. Die letzten Jahre waren allerdings durch erneute Annäherungsversuche der europäischen Datenverarbeiter gekennzeichnet. Sie führten 73 zur Gründung der UNIDATA, in der sich die EDV-Aktivitäten der Companie International pour l'informatique, Philips und Siemens zusammengefunden haben. Die von den drei genannten Regierungen und von der EG-Datenverarbeitungskommission gewünschte Kooperation auch mit dem britischen Partner ICL kam bisher nicht zustande, und sie wäre bitter notwendig. So stehen sich in Europa zwei EDV-Kräfte gegenüber, die von ICL und die von UNIDATA, die sich gleichermaßen auf dem gleichen Markte mit teilweise sich überlappenden Produkten und verschiedenen Systemen bewerben. Ein schöpferischer Impuls müßte kommen, um diesen Zustand zu überwinden, der auf die Dauer nur dazu führen kann, daß der Gigant IBM ins Ungemessene wächst und die Europäer einfach keine Chance mehr haben. Angesichts des amerikanischen Potentials kann man diese Entwicklung nur bedauern. Man sollte nicht allein auf die Kräfte vertrauen, die der 2 Wettbewerb zu mobilisieren vermag, solange er erhalten bleibt, zumal die Gefahr einer Monopolisierung durch die Europäer, auch bei einem Einheitsunternehmen, so und so nicht besteht denn die beiden europäischen Gruppen verfügen zusammen über 6 % des Weltmarktanteils.

"Den Amis werden wir's schon zeigen" - unter diesem Motto scheinen ganze Heerscharen technologischer Guerillas auf dem europäischen EDV-Markt anzutreten, die ihr bei näherem Hinsehen recht fadenscheiniges Banner mit schlecht verschleiertem Chauvinismus, dafür aber um so größerer Vehemenz wider den Erzfeind aus den USA schwenken. Ihren unermüdlichen Zeugungsversuchen, unterstützt durch die Geburtshilfe der jeweiligen nationalen Regierung, ist es gelungen, völlig neue Arten aus der Gattung der Informatik-Technologie per Kaiserschnitt auf den Markt zu werfen: In letzter Zeit tummeln sich deutsche Rechner, französische Rechner und englische Rechner auf der bislang internationalen EDV-Landschaft.

Europäische Computer: Nur Teile aus USA und Japan?

Mit schlecht verhehltem Elternstolz preisen die geistigen Väter ihre Produkte und verteufeln im gleichen Atemzug die Sprößlinge aus den USA: Amerikanische Computer sind das Allerletzte, sie sind schon deshalb nicht gut, weil sie schlecht sind.

Da aber den Urhebern dieser Argumentation die Beweiskraft solcher und ähnlicher Aussagen selbst recht dünn erscheint, wird der recht sinnlosen Tautologie flugs ein national-ökonomisches Schleifchen umgebunden: Amerikanische Computer sind vor allem deshalb nicht gut, weil ihr Kauf schlimme Schäden für das Bruttosozialprodukt der europäischen Länder zur Folge hat.

Gewiß: Die Beschäftigung von Arbeitern in den Fabriken nationaler Hersteller leistet einen wesentlichen Beitrag zur Sicherung der gesamtwirtschaftlichen Situation. Damit aber ist die Beweiskraft auch dieses Arguments schon am Ende. Denn es gibt keine deutschen, französischen oder englischen Rechner - fast überwiegend werden in den nationalen Fabriken lediglich in den USA und Japan hergestellte Komponenten zusammengefügt Allenfalls wird die Architektur ein wenig abgewandelt, aber auch dies geschieht meist auf Grundlage von Lizenzverträgen mit amerikanischen Herstellern.

Prestige-Objekt: "Staatsrechner"

Das verzweifelte Haschen der Europäer nach vorgeblicher eigenständiger Geräteentwicklung wird bedauerlicherweise noch unterstützt durch den scharfen Protektionismus einiger europäischer Regierungen, die sich mit einem "Staatsrechner" vom großen Bruder USA freischwimmen wollen. Die Vertreter solcher nationaler Hardware übersehen dabei freilich, daß sie sich der einzigen Chance, einen echten eigenständigen Markt zu sichern, leichtfertig begeben. Denn nur selten wird die Software-Entwicklung gleichermaßen durch protektionistische Maßnahmen oder Subventionen gefördert.