Größe ist nicht genug

30.03.2007
„Großkampfschiffen“ im IT-Servicemarkt fällt es schwer, ordentlich zu verdienen. Von Kay Hradilak*

Seit Jahren kennt die IT-Servicebranche keine andere Strategie als „Größe oder Nische“. Entweder, heißt es, gewinnt ein Unternehmen zügig an Ausmaß und internationaler Reichweite, oder es bleiben ihm nur Spezialisierung und Subunternehmertum. Ein Blick auf den Profit relativiert jedoch den Erfolg der großen Anbieter: So belief sich die durchschnittliche Rendite vor Steuern der 13 größten IT-Dienstleister der Jahre 2000 bis 2005 auf rund sechs Prozent. Das liegt deutlich unter dem Branchen-Benchmark von zehn bis 15 Prozent. Ohne IBM Global Services, die mehr als die Hälfte zum Rohertrag der Großen beisteuert, sinkt die Rendite sogar auf drei Prozent. In den Jahren 2000 bis 2005 erreichte nur Accenture eine durchschnittliche Rendite von mehr als zehn Prozent.

Hier lesen Sie

  • warum die großen Anbieter nur geringer Erträge erzielen;

  • woran die interne Organisation häufig krankt;

  • welche Defizite die Service-Provider beheben müssen;

  • warum Größe nicht immer wichtig ist.

Die Renditen großer IT-Dienstleister bleiben weit hinter dem Branchen-Benchmark von zehn bis 15 Prozent zurück. Lediglich Accenture kam in den vergangenen Jahren kontinuierlich in Reichweite der Zielmarke. (Quelle: Hradilak)
Die Renditen großer IT-Dienstleister bleiben weit hinter dem Branchen-Benchmark von zehn bis 15 Prozent zurück. Lediglich Accenture kam in den vergangenen Jahren kontinuierlich in Reichweite der Zielmarke. (Quelle: Hradilak)
Foto: Computerwoche

Was läuft falsch?

Der schlechten Ertragslage der „Großkampfschiffe“ liegen zumeist hausgemachte, strukturelle Probleme zugrunde. Ein langsam wachsendes Geschäft mit großem Preisdruck ist keine Herausforderung, der sich nur die IT-Service-Branche stellen muss. Die Großunternehmen sind in einen fortwährenden Kampf gegen die eigene Komplexität verwickelt, der die Konzentration auf Markt und Kunden erschwert. Was sind die Hauptprobleme?

1. Fehlende Verantwortung

Trotz unzähliger Projekt-Manager und Kontrolleure sowie Regale füllender Regelwerke geraten Großprojekte immer wieder in Schieflage. So verlor EDS in einem US-Navy-Projekt mehrere Milliarde Dollar, und T-Systems bekam ein zentrales Softwareprojekt der Bundesagentur für Arbeit nicht in den Griff. Der Schaden belief sich auf einen dreistelligen Millionenbetrag in Euro. Das Phänomen ist, dass Probleme zwar erkannt werden, sich jedoch keiner entschlossen darum kümmert. Mitunter werden aufkeimende Schwierigkeiten auch ignoriert, weil die Organisation nur Erfolge sehen will.

2. Grabenkämpfe zwischen Geschäftsbereichen

Oftmals ähnelt die Organisation der großen IT-Serviceanbieter eher archaischen Versammlungen denn schlagkräftigen Teams der besten Profis. „Politische“ Gruppierungen und verletzte Eitelkeiten treiben das Handeln. Positionskämpfe zwischen einzelnen Geschäftsbereichen verhindern Zusammenarbeit und Informationsaustausch. Ressourcen werden vorenthalten, Frontlinien über die Führungsebenen hinweggezogen. Komplexe Matrixorganisationen und Internationalisierung tun ein Übriges, die internen Fehden zu schüren.

3. Gescheiterte, problematische Großakquisitionen

Die meisten Großkampfschiffe vertrauen auf Wachstum durch Übernahmen von Kunden und spezialisierten Service-Providern. Mitunter scheint es, dass die Akquisitionsstrategie und nicht das operative Geschäft Kernbeschäftigung des Managements ist. Oftmals wachsen dann die Umsätze, aber nicht die Erträge. Die Organisationen sind allzu sehr mit der Abstimmung von Prozessen, dem Abbau überflüssig gewordener Ressourcen und der Klärung der Machtverhältnisse beschäftigt. Infolgedessen gehen nicht nur Kunden, sondern auch die „erworbenen“ Spezialisten verloren, die sich entnervt vom Unternehmen abwenden.

4. Die ewige Suche nach dem richtigen Vertriebsmodell

Typisch ist auch die Suche nach dem richtigen Vertriebsmodell und dem angemessenen Umgang mit allen Kundengruppen. Es gibt eigene Vertriebsorganisationen für Global Accounts, für nationale Großkunden, für den gehobenen Mittelstand und für kleine Kunden. Um die Zuständigkeit ringen Branchenteams, Länder- und Regionalorganisationen sowie Produktteams. Diese Schwierigkeiten sollen durch häufige Organisationsanpassungen behoben werden, lassen sich aber gegen starke und selbstbewusste Geschäftsbereiche oft nicht durchsetzen. In diesem nicht enden wollenden Kreislauf geht der Blick auf den Kunden verloren, zumal der sich mit immer wieder wechselnden Ansprechpartnern auseinandersetzen muss.

5. Fehlende Agilität

Das Streben nach höchster interner Produktivität führt dazu, dass der Mehrwert für den Kunden auf der Strecke bleibt. Er muss sich mit starren und anonymen Prozessen arrangieren. „Für Sie können wir unsere Prozesse leider nicht anpassen“ lautet eine Standardfloskel der großen IT-Dienstleister. Servicedesign ist in solch einer Umgebung von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Fehlende Agilität bremst die Unternehmen auch, wenn sie auf neue Markttrends reagieren müssen. Oft wissen die Verantwortlichen nicht, wo sie den Hebel ansetzen müssen, um auf Veränderungen zu reagieren.

Das überschätzte Argument Größe

Größe gewährleistet keine Servicequalität: International geltende Serviceverträge und globale Service-Level-Reports garantieren keine gute Arbeit vor Ort. Die dort erbrachte Arbeit ergibt sich aus den zigtausend Schnittstellen der IT-Versorgung und hängt tagein, tagaus von vielen einzelnen Servicemitarbeitern und deren Zusammenspiel ab. Klasse statt Masse zählt.

Größe ist nur für wenige Anwender entscheidend: Sie ist oft zwar ein Vorteil für die Wahrnehmung durch multinationale Großkunden mit mehreren tausend Bildschirm-Arbeitsplätzen. Diese Unternehmen repräsentieren nur 15 bis 20 Prozent des Markts. Um diese Kundengruppe fechten aber die Anbieter den härtesten Preiswettbewerb aus.

Größe schützt nicht vor Wettbewerbern: Immer wieder gelingt es kleinen Anbietern, sich gegen große IT-Dienstleister zu behaupten. Wichtig ist nicht, die meisten Mitarbeiter an Bord zu haben, sondern die richtigen. Unternehmen, die über 50 bis 100 Topleute in ihren jeweiligen Leistungsgebieten verfügen, können die Mehrzahl der Projekte mit sehr guter Qualität übergeben.

Was können große IT-Dienstleister tun?

Die großen IT-Dienstleister sollten das Engineering und Servicedesign zum Mittelpunkt ihrer Geschäftsmodelle machen. Engineering-Kompetenz strahlen sie aus, wenn sie die besten Mitarbeiter im Projekt-Management, in der Technik und im Servicevertrieb in ihren Reihen wissen. Betriebsleistungen müssen so entworfen werden, dass sie nicht nur effizient sind, sondern auch die wirklichen Bedürfnisse der Anwender bedienen. Größeneffekte helfen, marktfähige Preise zu bieten. Das darf aber nicht zur Anonymität und Starrheit führen.

Zum anderen müssen die großen Anbieter ihre Organisation leicht und beweglich gestalten. Sie müssen flache Hierarchien schaffen und ein horizontales Wachstum zulassen. So sollten beispielsweise zwischen einem Mitarbeiter, der Kundenverantwortung trägt, und der Geschäftsleitung höchstens zwei Hierarchiestufen liegen. Die unternehmerische Verantwortung muss zur Kundenschnittstelle zurückgebracht werden. Dies betrifft nicht nur die Gewinn- und Verlustverantwortung, sondern auch die Gestaltungsräume, dem Kunden weitere Leistungen anzubieten.

Damit die Organisation leicht bleibt und nicht schrittweise wieder in hierarchischer Tiefe versinkt, müssen die IT-Dienstleister ihre eigene Wertschöpfung auf den Prüfstand stellen. Backoffice-Prozesse, Rechenzentren und Feldorganisation können Dritte betreiben.

Das Konzept fordert zudem das Management heraus: Es muss einer dezentralen Organisation gemeinsame Ziele, Regeln und Werte vermitteln und Mitarbeiter entwickeln, deren Einfallsreichtum nicht in den internen Strukturen erstickt.

Um Geld zu verdienen und selbständig zu bleiben müssen große Organisationen sich beweglich und kundennah erhalten Der erfolgreiche Geschäftsverlauf von IBM in den vergangenen mehr als zehn Jahren muss keine Ausnahme bleiben. (jha)

* Dr. Kay Hradilak ist Berater und Autor. Im Januar 2007 erschien sein Buch „Führen von IT-Service-Unternehmen“.