Grenze zwischen Office und ERP fällt

08.09.2008
Anwender wollen betriebswirtschaftliche Funktionen gemeinsam mit Desktop-Programmen nutzen, um effizienter arbeiten zu können. Für Hersteller wird die ERP-Office-Integration zur Pflicht.

Softwareintegration findet nicht nur im Backend, sondern verstärkt auch am Frontend statt. Gemeint ist damit beispielsweise, Office-Programme mit Geschäftsapplikationen zu koppeln. Grundsätzlich verfügen die meisten ERP- und CRM-Anwendungen bereits über Schnittstellen zu Office-Programmen. Zu den Standards zählt, aus Kontaktlisten einer Backend-Software Serienbriefe zu verfassen sowie Geschäftsdaten in Excel-Tabellen zu exportieren, um diese zu einem Bericht aufzubereiten.

Office-ERP-Kopplung kann aber auch helfen, Medienbrüche in der täglichen Arbeit zu reduzieren. Darüber hinaus kann eine Integration von Frontend und Backend dafür sorgen, dass beispielsweise Adressen und Termine in beiden Systemumgebungen konsistent bleiben. Wenn Anwender ihre Kontaktinformationen nur in Outlook, Lotus Notes oder anderen Desktop-Programmen pflegen, fehlen möglicherweise wichtige Angaben in den zentralen Applikationen. Darum wollen viele Firmen Datenbestände zwischen Office- und Business-Software abgleichen können.

ERP-Software erlaubt Abgleich mit Desktop-Programmen

Da Anwender Termine und Kontaktdaten in Desktop-Programmen wie Outlook und Lotus Notes pflegen, diese aber mit Einträgen in CRM- und ERP-Datenbanken abgleichen müssen, bieten ERP-Hersteller entsprechende Methoden an. "Vor allem bidirektionale Abgleichfunktionen sind gefragt, wenn Firmen eine ERP-Software auswählen", sagt Arno Schambach, Berater beim Marktforschungs- und Beratungshaus Softselect aus Hamburg. Ein Beispiel dafür liefert das Softwarehaus Nissen & Velten aus Stockach. Dessen aktuelles ERP-Release "Nvinity 2.0" beispielsweise vermag in der Datenbank gespeicherte Kundeninformation an die Outlook-Kontaktverwaltung zu übermitteln. Eine weitere Funktion gleicht den Kalender, die Ressourcen- sowie Aufgabenverwaltung zwischen ERP-Programm und Outlook automatisch ab. Zahlreiche andere ERP-Anbieter haben ähnliche Konzepte entwickelt.

Viele Nutzer von CRM- und ERP-Software benötigen für ihre Arbeit zusätzlich Dokumente und E-Mails. Um seine Aufgaben erledigen zu können, verwendet beispielsweise ein Verkäufer neben einer Kundendatenbank Outlook und Word. Dass er aus einer CRM-Kontaktansicht einen Brief oder eine E-Mail erzeugen kann, erwartet der Nutzer heute von einer Software für das Kunden-Management. Doch nicht alle Programme gestatten es dem Bediener, eingehende Nachrichten sowie Angebote auf einfache Weise einem Kundendatensatz zuzuweisen. Auf diese Weise erspart sich der Vertriebsexperte aber das lästige Suchen nach Angeboten oder Protokollen in Dateiverzeichnissen, wenn der Kunde anruft. Einige CRM-Hersteller haben die Funktionen hier deutlich ergänzt.

ERP-Hersteller kopieren das Office-Frontend

Andere Hersteller binden nicht nur Office ein, sondern versuchen darüber hinaus, dessen Aussehen zu kopieren. Der Rechnungswesenspezialist Diamant Software aus Bielefeld beispielsweise bietet eine Benutzeroberfläche für "Diamant/3", die sich wie die aktuelle Version der Bürosoftware von Microsoft präsentiert. Die von "Office 2007" bekannte Ribbon-Leiste stellt Buchhaltern jedoch keine Textverarbeitungs-, sondern Belegfunktionen zur Verfügung. Das Softwarehaus rechnet damit, dass sich mit Office vertraute Nutzer so schneller in der Rechnungswesensoftware zurechtfinden. Einen ähnlichen Schritt vollzog Sage Software aus Frankfurt am Main mit dem ERP-Komplettpaket "Office Line Evolution".

Nissen & Velten, Sage und Diamant haben ihre Produkte auf Grundlage der Microsoft-Plattform .NET entwickelt, weshalb ihnen die Kopplung mit Microsofts Office-Technik nicht allzu schwer fällt. Doch auch ERP-Hersteller, die auf anderen Systemumgebungen zu Hause sind, bemühen sich um eine Frontend-Kopplung. Beispielsweise hat Meinikat Informationssysteme aus Hannover, Hersteller der auf der IBM-Plattform System i (AS/400) aufsetzenden ERP-Lösung "Concentix", unlängst einen neuen Java-Client mit Office-Anbindung herausgebracht. Anwender können ihre Termine, Kontakte und Aufgaben im integrierten CRM-Modul der Software verwalten. Den E-Mail-Versand etwa per Outlook kann der Nutzer über die Java-Oberfläche anstoßen. Zudem lassen sich über die Java-Oberfläche Daten aus Masken nach Excel und in das Portable Document Format (PDF) exportieren. Die Frontend-Anbindung beschränkt sich indes nicht auf Windows und Office: Der ERP-Spezialist Abas aus Karlsruhe bietet einen Linux-Client, der sich an die Open-Source-Suite Openoffice anbinden lässt.

Rechnungsprüfung ohne langes Suchen

Nicht nur Vertriebsleute haben Bedarf an einer Integration von elektronischen Schriftstücken und Geschäftsapplikationen. Softwareanwender werden produktiver, wenn sie Aufgaben, für die sowohl Dokumente als auch betriebswirtschaftliche Daten erforderlich sind, möglichst automatisiert erledigen können. Ein Paradebeispiel dafür ist die Rechnungsprüfung. "Statt Rechnungen auf Papier zu begutachten und dann sich im Buchhaltungssystem die betreffende Bestellung herauszusuchen, können Anwender heute weitaus bequemer arbeiten", erläutert Martin Böhn, Dokumenten-Management-Experte beim Beratungshaus Barc in Würzburg. Firmen führten Lösungen ein, bei denen der Nutzer auf Papierbelege und die Suche in ERP-Datensätzen verzichten könne.

Der Rechnungsprüfer erhält eine E-Mail, in der die wichtigsten Angaben zur Rechnung enthalten sind. Über einen Link auf eine Web-Seite gelangt er auf eine simple Oberfläche, über die er per Mausklick die Rechnung freigeben kann, wenn er nichts zu beanstanden hat. Zudem findet er eine Auswahl an Kostenstellen, auf die er buchen darf. Will er es genau wissen, kann er sich auch noch die eingescannte originale Papierrechnung in einem Viewer anschauen. Gibt er die Rechnung frei, vermerkt die Software dies im Hintergrund im ERP-System. Böhn zufolge hat dies einerseits den Vorteil, dass auf diese Weise Anwender effizient arbeiten können, ohne sich durch meist komplizierte Buchungsmasken hangeln zu müssen. Andererseits benötigt so nicht jeder Rechnungsprüfer eine Nutzerlizenz für die ERP-Lösung.

Office als Ersatz fürs ERP-Frontend

Noch einen Schritt weiter gehen Entwicklungen, die für bestimmte Benutzergruppen Office-Programme als Frontend-Ersatz für ERP-Software vorsehen. Anwender, die nur alle paar Wochen ERP-Funktionen in Anspruch nehmen, wollen sich nur ungern an eine komplexe Business-Software gewöhnen - auch die Arbeitgeber würden sich entsprechende Schulungen gern sparen. Über Programme wie Outlook und Excel sollen ERP-Gelegenheitsanwender in der Lage sein, Backend-Funktionen zu benutzen, die für ihren jeweiligen Aufgabenbereich eingebunden wurden. SAP und Microsoft hatten hierfür das gemeinsame Produkt "Duet" entwickelt. Nach Herstellerangaben werden beide Systemwelten über Web-Services miteinander verbunden. Hinzu kommen Add-ons auf Seiten der Office-Software am Desktop sowie am SAP-Server. Des Weiteren gehört das Messaging-System "Exchange Server" dazu. Es dient beispielsweise dazu, Warnmeldungen aus dem ERP-Backend per E-Mail an die Outlook-Clients der Duet-Anwender zu übermitteln. Ein "Duet Server" agiert als Bindeglied zwischen SAP-Backend und Office-Frontend. "Duet 1.5" umfasst eine Reihe von vorgefertigten Lösungsszenarien. Dazu zählen Funktionen für das Zeit-Management, mit dem Anwender über den Kalender von Outlook Arbeits- und Projektzeiten erfassen und an die SAP-Software überspielen können. Auch das Bewerber-Management soll so leichter vonstatten gehen. Statt in die SAP-Masken des Personalwesenmoduls verzweigen zu müssen, kann der Duet-Nutzer über Office-Programme Bewerberinterviews planen, das Potenzial von Bewerbern auswerten sowie Ranglisten der Kandidaten erstellen.

IBM öffnet Lotus Notes für SAP-Nutzer

Noch im Entstehen ist eine Integrationslösung, die Lotus Notes von IBM mit SAP-Applikationen verbinden soll. Unter dem Codenamen "Atlantic" bauen IBM und SAP eine Integration, die zumindest im Ansatz Duet sehr ähnelt. Nutzer der IBM-Groupware sollen über den Client SAP-Funktionen nutzen können. Wer mit Notes vertraut ist, so das Motto, soll ohne aufwändige Schulung seine Aufgaben unter Einbeziehung von ERP-Software erledigen können. Hierzu wollen die Softwareanbieter die E-Mail-, Kalender- und Groupware-Funktionen von Notes mit SAP-Applikationen koppeln.

Sowohl Office- als auch Lotus-Notes-Programme konnten Firmen schon vorher mit SAP-Systemen verbinden, doch gab es dazu keine Standardfunktionen, sondern Schnittstellen sowie Lösungen von Drittanbietern. Neben diesen von den großen Softwarehäusern getriebenen Produkten und den Out-of-the-Box-Funktionen der ERP-Hersteller bauen nämlich zahlreiche Systemhäuser spezielle Integrationsprodukte.

Das in Angelburg beheimatete Unternehmen Actiware verspricht, mit dem Produkt "Active Server" unterschiedliche ERP-Lösungen mit Office-Tools verbinden zu können. Laut Hersteller lassen sich so Business-Software von Infor ("ERP.COM" und "EPL LN/Baan"), Sage ("Sage Bäurer" und "Office Line") sowie die Microsoft-Applikationen Dynamics NAV und AX sowohl mit Microsoft Office als auch mit der Open-Source-Alternative Open Office koppeln. Über die Standardfunktionen wie den E-Mail-Versand über den ERP-Client hinaus gestattet es das Produkt laut Hersteller, aus der Office-Umgebung heraus beliebige ERP-Informationen abzurufen, um Geschäftsdokumente zu erzeugen.

Elektronische Formulare

Office-Frontend und ERP-Backend lassen sich elegant mit Microsoft-Produkten wie "Sharepoint" und "Infopath" miteinander verbinden. Mit ihrer Hilfe können Firmen formularbasierende Abläufe über Workflows steuern und dabei ERP-Daten einbinden. Der in Hamburg beheimatete Systemintegrator Hansevision hatte für ein Energieversorgungsunternehmen auf der Grundlage dieser Programme ein Bestellsystem gebaut. Die Endanwender sammeln die Bestellanforderungen mittels elektronischer Formulare, die mit Infopath gebaut wurden. Infopath greift hierbei auf unterschiedliche Anwendungen zu, um Formularfelder mit für die Bestellung erforderlichen Daten zu füllen. Ein Genehmigungs-Workflow gestattet dem Zeichnungsberechtigten, die Warenbestellungen freizugeben. Eine E-Mail in seinem Outlook-Eingangskorb informiert ihn über zu prüfende Bestellaufträge. Nach erfolgter Genehmigung gelangen die Bestelldaten über einen entsprechenden Adapter an die zentrale SAP-R/3-Umgebung, ohne dass die beteiligten Nutzer das SAP-Frontend bedienen müssen. Über ein Sharepoint-gestütztes Portal lassen sich Berichte über den Status von Bestellungen abrufen.

Neben Microsoft entwickelt auch Adobe Systems Produkte, die sich dazu eignen, strukturierte Daten aus ERP-, CRM- oder schlichten Datenbanksystemen mit unstrukturierten Informationen zu verknüpfen. SAP beispielsweise programmierte gemeinsam mit Adobe Systems intelligente Formulare. Anwender sollen über PDF-Dokumente Informationen erfassen können, die über eine Workflow-Komponente in das ERP-Backend überspielt werden können.

Microsoft Sharepoint agiert als Vermittler

Bei der ERP-Office-Anbindung kann darüber hinaus das Microsoft-Produkt "Sharepoint" behilflich sein. Damit können Firmen Dokumente in Teams verwalten und Abläufe (Workflows) steuern. Darüber hinaus lassen sich Portalanwendungen entwickeln, um auf ERP-Software zuzugreifen. "Microsoft Infopath" eignet sich dazu, elektronische Formulare zu erzeugen, um Daten zu erfassen und an Geschäftsapplikationen zu übertragen. Viele Aufgaben werden auf diese Weise einfacher, da einerseits die Komplexität der ERP-Software hinter einem Portal verschwindet und sich andererseits Dokumente und Backend-Daten unter einem Dach verwalten lassen. Funktionen verschiedener Systeme sowie Datenquellen kann der Anwender über Web-Services einbinden. Allerdings ist hier nicht mehr die Rede von Out-of-the-Box-Funktionen, wie sie die ERP-Softwareanbieter zur Office-Kopplung bieten. Vielmehr werden solche Umgebungen im Rahmen von Projekten realisiert.