Berufsbild des DV-Leiters im Wandel

GRATWANDERUNG

13.02.1981

Mit den neuen Kommunikations- und Informationstechniken vollzieht sich ein Wandel in der Datenverarbeitung, der die DV-Verantwortlichen in erheblichem Maße herausfordert. Doch das Berufsbild des DV-Leiters ist noch immer von den Aufgaben der sechziger und siebziger Jahre geprägt: Den Wünschen der Fachbereiche nach mehr Rationalisierung und besserer Information steht heute meist ein Mangel an Verständnis gegenüber. Nicht selten geraten DV-Chefs gar in die Position derer, die den Fortschritt verhindern und letztlich nur Eigeninteresse vertreten. Der Konflikt zwischen DV-Leitung und Geschäftsführung ist somit vorprogrammiert, wenn die DV-Verantwortlichen nicht bereit sind, sich neuen Gegebenheiten anzupassen.

*Fritz R. Müller ist Mitglied der Geschäftsleitung der Diebold Deutschland GmbH in Frankfurt.

Dieser Beitrag ist in der Univac-Zeitschrift "Datascope" erschienen.

Um die Problematik, die der Wandel im Berufsbild des DV-Managers hervorrufen kann, einmal exemplarisch zu verdeutlichen, wird ein Fallbeispiel beschrieben, das aus der Personalberatung stammt. Dabei sind aus Gründen der Vertraulichkeit Verfremdungen von persönlichen Daten vorgenommen worden. Dr. Karl Heinz Überberg, 47 Jahre, ist seit vier Monaten stellungslos. In mehr als 40 Bewerbungen, die aus der direkten Ansprache ihm bekannter Unternehmen, Kontakten zu Personalberatern als auch der Beantwortung von Anzeigen hervorgingen, kam es nicht zu einer Einstellung.

Betrachtet man den beruflichen Werdegang des Dr. Überberg und die allseits beklagte Personalknappheit im Bereich der Datenverarbeitung, so scheint dieser Fall zunächst unverständlich. Folgende Stationen hatte Dr. Überberg in seiner fast zwanzigjährigen Tätigkeit in der Datenverarbeitung durchlaufen:

- 1959 Promotion und Eintritt in ein Versicherungsunternehmen

- 1960 Wechsel zur Lochkartenstelle im Unternehmen

- 1962 Programmierung

- 1964 Leiter der Programmierabteilung

- 1966 Tätigkeit beim DV-Hersteller als Leiter für Kunden-Software

- 1970 Wechsel zum letzten Unternehmen (Industriebetrieb mit 3000 Beschäftigten) als stellvertretender DV-Leiter

- 1973 Leiter Programmierung und Organisation

- 1975 Hauptabteilungsleiter Datenverarbeitung (zirka 80 Mitarbeiter)

- 1977 Prokura

- 1980 Trennung im gegenseitigen Einvernehmen .

Dieser Berufsweg kann durchaus als ausgewogen und vorbildlich bezeichnet werden. Jedoch stehen drei entscheidende Punkte einer Einstellung entgegen:

- das relativ hohe Alter

- die hohen finanziellen Ansprüche die sich aus der letzten Tätigkeit herleiten

- eine nicht ganz freiwillige Trennung vom letzten Arbeitgeber.

Die Situation des Dr. Überberg kann ohne Zweifel als nicht alltäglich bezeichnet werden; dennoch mag sie zunächst als Beispiel für sich anhäufende Probleme zwischen hochdotierten, sehr qualifizierten und langjährig bewährten Führungskräften in der Datenverarbeitung und der Unternehmensleitung stehen.

Nach einer eingehenden Analyse des Falles Dr. Von Fritz R. Müller Überberg wird deutlich daß in erster Linie das Verhältnis Anwender - Datenverarbeitung zu seinem Scheitern führte. In einer Reihe von Problembereichen, die auf vier Punkte konzentriert werden können äußerte sich das Spannungsverhältnis:

- zu lange Entwicklungszeiten bei neuen Anwendungen

- unpünktliche und fehlerhafte Produktion

- zu lange Antwortzeilen und zu schwierige Handhabung von Dialoganwendungen

- zu hohe DV-Kosten.

In immer wiederkehrenden Diskussionen, zunächst mit den Fachbereichen, später jedoch verstärkt mit der Geschäftsleitung, wurden die genannten Punkte in verschiedenen Formen behandelt. Durch die Kenntnis einer Reihe von Unternehmen kann nur unterstrichen werden, daß es sich hierbei nicht um einen Einzelfall handelt. Vielmehr werden ähnliche Vorwürfe generell den heutigen Verantwortlichen für Datenverarbeitung und Organisation entgegengehalten. In vielen Fällen ist es sicherlich auch gerechtfertigt, den DV-Leiter für

Mißstände zur Verantwortung zu ziehen. Dennoch muß aber zu denken geben, daß es sich in aller Regel beim DV-Management um gestandene und oft seit Jahren bewährte Mitarbeitern handelt, denen nun eine unzureichende Arbeit angelastet wird die - wie im Falle des Dr. Überberg - durchaus zu einer Trennung vom Unternehmen führen kann, Es ist bezeichnend, daß die Betroffenen kaum ein Schuldempfinden entwickeln, da sie Stil und Umfang der Aufgabenentwicklung seit Jahren kaum geändert haben. Nachfolgend wird versucht, herauszüfinden, wie die Diskrepanz zwischen Selbsteinschätzung der DV-Verantwortlichen und deren Beurteilung durch die Fachbereiche und die Unternehmensleitung entsteht.

Durch eine Befragung in einigen Anwenderbereichen wurde das in Abbildung 1 gezeigte Profil des heutigen DV-Leiters deutlich.

Diese Einschätzung der Anwender muß durchaus nicht den objektiven Gegebenheiten entsprechen. Sie zeigt, daß man den DV-Leiter zwar fachlich und von der Durchführung seiner Aufgabe her (Involvierung in Probleme, Gemeinschaftsverantwortung und Pioniergeist) positiv beurteilt, jedoch gegenüber der Lösung von Anwenderproblemen (Verständnis für Schwierigkeiten und Wirtschaftlichkeitskriterien) als unzureichend in seinen Leistungen einschätzt. Ebenfalls wird eine gewisse konservative Haltung und geringe Flexibilität (Denken in Hardware-Kategorien, Beharren auf vorhandenen Strukturen) als negativ bewertet.

Interpretiert man die starke positive Bewertung des Selbstbewußtseins richtig, so unterstellt man von der Anwenderseite, daß ein DV-Manager sich möglicherweise für zu wichtig hält und eine Ausrichtung der Umwelt nach seinen Anforderungen erwartet.

Dieses Profil unterstreicht die Diskrepanz zwischen fachlichem Können und hohem Selbstbewußtsein auf der einen Seite sowie einem Mangel an Verständnis für die Probleme des Anwenders auf der anderen.

Die Entwicklung des Berufsbildes

Fragt man nach der Ursache dieser Diskrepanz, müssen das Berufsbild und das Aufgabenspektrum des heutigen Verantwortlichen für Datenverarbeitung in der historischen Entwicklung betrachtet werden. In vielen Fallen ist die Erfahrung der Vergangenheit prägend für die Zukunft. So haben, wie im Falle des Dr. Überberg, die Mehrzahl der heutigen DV-Leiter in den 60er und frühen 70er Jahren ihre praktischen Kenntnisse in der Datenverarbeitung erworben (Abbildung 2), in einer Zeit, die in erster Linie durch die Beherrschung der Hardware und Betriebssysteme gekennzeichnet war. Teure Geräte, Schwierigkeiten mit Programmiersprachen, nahezu komfortlose Betriebssysteme und große Fehleranfälligkeit sind nur einige der Schwierigkeiten, die in diesen Jahren zu bewältigen waren. Damals hatte man es mit einem nahezu völlig desinteressierten Anwender zu tun, der gern alle Aufgaben dem DV-Leiter beziehungsweise der DV-Abteilung überließ.

Es darf angenommen werden, daß in all den Fällen, wo es heute zu Schwierigkeiten mit Fachbereichen kommt, die oben beschriebene Grundorientierung (Systemprobleme und Desinteresse der Anwender) in den Unternehmen noch vorliegt. Dort wurde kaum zur Kenntnis genommen, daß etwa seit 1975 der Anwender mehr und mehr Selbständigkeit erlangt hat und heute Daten- und Informationsverarbeitung in vielfältiger Form beherrscht (Abbildung 3). Auch scheinen DV-Leiter oft noch nicht zur Kenntnis genommen zu haben, daß von Herstellerseite eine Vielzahl von Vertriebsbeauftragten die Anwender direkt ansprechen und sehr oft auch erfolgreich ohne Kenntnis der sich zuständig wähnenden DV-Abteilung einen eigenen Bürocomputer absetzen können .

Man kann daraus folgern, daß DV-Leiter in großer Zahl zu sehr dem Tagesgeschehen unterworfen sind und versäumt haben, sich anbahnende Trends bewußt zur Kenntnis zu nehmen. Damit konnte die notwendig werdende Veränderung des Berufsbildes und des Aufgabenverständnisses nicht zeitgerecht mitvollzogen werden. Hier liegen wohl die meisten Konflikte, die am Beispiel des Dr. Überberg exemplarisch vorgestellt wurden, begründet.

Im Fall Dr. Überberg wurde der Konflikt zwischen Fachbereich und DV-Leitung geschildert. Es wurde auch herausgearbeitet, daß wesentliche Ursachen dieses Konfliktes darin bestehen, daß der heutige verantwortliche Leiter für Organisation und Datenverarbeitung mit einer Vielzahl von Tagesproblemen konfrontiert ist und daher den Wandel des Umfeldes- insbesondere aber die Neuorientierung des Benutzers - nicht zur Kenntnis genommen hat. Nachfolgend wird auf die Schwierigkeiten eingegangen, die heute das Tagesgeschehen eines DV-Leiters maßgeblich mitbestimmen .

Ohne diesen Begriff strapazieren zu wollen, sollten die durch den Anwender hervorgerufenen Anforderungen an den DV-Leiter diskutiert werden.

In erster Linie äußert sich diese Müdigkeit durch eine Vielzahl von Wünschen nach Rationalisierung, Automatisierung und besserer Information im Fachbereich. Diese oft nur allzuberechtigten Wünsche stehen im Gegensatz zu den Möglichkeiten, neue Anwendungen zu realisieren. Das wachsende Volumen an DV-Anwendungen, hervorgerufen durch den Fachbereich ist ein Ausdruck stärkerer Wettbewerbstätigkeit allgemein, aber auch der Tatsache, daß etwa beginnend ab 1975 Mitarbeitern in Fachbereichen in vielen Beispielen die Möglichkeiten der Datenverarbeitung vor Augen geführt wurden.

Den berechtigten Wünschen steht eine lange Wartezeit gegenüber, da Kapazität und Werkzeuge der heutigen Programmentwicklung diesen Anforderungen nur unzulänglich gewachsen sind. Oft ist auch die Schnittstelle zwischen Anwender und Datenverarbeitung nicht ausreichend geklärt, so daß fertiggestellte Anwendungen lückenhaft, fehlerhaft oder im Extremfall nur eingeschränkt brauchbar sind. Diese Ergebnisse als Antwort auf den Wunsch nach Rationalisierung, besserer Information oder höherem Komfort im Fachbereich stoßen auf Unverständnis und werden nur selten akzeptiert. An dieser Stelle setzt die Kritik am DV-Leiter ein, an dessen Managementqualitäten man zu zweifeln beginnt. Da oft die gesamte Problematik der DV- Entwicklung nicht gesehen werden kann, sind Anwender gern bereit, zu simplifizieren und möglicherweise die komplexe Bewältigung von Datenstrukturen auf eine Ebene mit der Bewältigung eines Taschenrechner-Problems zu stellen.

Dies hat dazu geführt, daß die DV-Abteilung nicht mehr als einziger Lieferant der Problemlösung betrachtet wird. Kleine Computersysteme- direkt im Fachbereich - bieten sich als Lösung an.

Sie wird nur zu gern in Betracht gezogen, da sie eine Reihe von Vorteilen aufzuweisen scheint:

- schnelle Lösung des Problems, die meist demonstriert werden kann

- vergleichbare Lösungen werden als Referenzen benannt

- Kosten sind erträglich und oftmals sogar noch geringer als das Angebot der eigenen DV-Abteilung.

Sachlich begründend oder nur den eigenen Bestand fürchtend, tritt oft der DV-Leiter an und kämpft gegen derartige Lösungen. Nicht selten gerät er dabei in die Position dessen, der den Fortschritt verhindern will oder nur Eigeninteressen vertritt und dabei das Wohl des gesamten Unternehmens aus den Augen verloren hat. Oft sind diese Anschuldigungen unberechtigt, da derartige unkontrollierte Entwicklungen in den Fachbereichen mit großen Risiken verbunden sind:

- es kann eine unkompatible Hardware-Landschaft entstehen

- Wünsche der Fachbereiche werden nur scheinbar oder vordergründig gelöst

- mangelnde Erfahrung führt zu hohen Fehlerquoten bei der Bearbeitung .

Derartige Konflikte geraten nur zu oft in emotionale Bereiche und können sachlich keiner Lösung zugeführt werden. Es wird nun deutlich, daß durch die Anwendermüdigkeit auch Kräfte der Datenverarbeitung in nicht unerheblichem Umfang gebunden und verschlissen werden.

Betrachtet man die Verlagerung der Kosten im DV-Bereich (Abbildung 4), so wird die Bedeutung der Software-Entwicklung in der Zukunft deutlich.

Die wachsenden Kosten resultieren zum einen aus dem sich verschiebenden Verhältnis von Hard- und Software durch eine extreme Reduktion der Hardware-Preise. Zum anderen tragen der wachsende Bedarf der Fachabteilungen sowie die permanent steigenden Personalkosten für das Entwicklungspersonal zur Kostensteigerung der Software-Entwicklung bei. Selbst wenn man bereit ist, dem wachsenden Bedarf an DV-

Anwendungen durch einen höheren Kostenbetrag Rechnung zu tragen, so ist durch das Kapazitätsproblem beim Entwicklungspersonal eine klare Grenze gesetzt.

Nicht selten werden heute 60 Prozent und mehr der Entwicklungskapazität für Wartung und Stabilisierung von Anwendungsprogrammen aufgewendet. Dieser Aufwand ist notwendig, um nur den laufenden Betrieb aufrechtzuerhalten. Will man die Kapazität erweitern, stößt man sehr schnell auf einen nahezu leergefegten Personalmarkt. Lange Ausbildungszeilen verhindern die schnelle Einarbeitung von berufsfremden Mitarbeitern. Soweit externe Kapazität eingesetzt wird, muß mit entsprechend hohen Kosten gerechnet werden, wobei die bereitgestellten Fachkräfte nicht immer dem geforderten Standard entsprechen. Hier wird die Problematik deutlich, mit der ein DV-Leiter heute fertig zu werden hat. Selbst beim besten Willen lassen sich oft die Anforderungen der Fachbereiche unter diesen Umständen nicht lösen. Gleich welcher Weg eingeschlagen wird, er führt zu Kritik.

Allerdings ist der Vorwurf berechtigt, daß DV-Leiter oft gar nicht oder nur halbherzig den Einsatz von softwaretechnologischen Methoden betreiben. Eine Nutzung dieser Instrumente erfordert zwar ein gewisses Maß an Disziplin und Einengung der "künstlerischen Freiheit" des Entwicklungspersonals, erzeugt aber mittel- und langfristig erhebliche Effizienzsteigerungen.

Gleichermaßen ist auch anzukreiden, daß systematische Planung und Bedarfserhebung in den Fachbereichen nur selten oder unvollständig vorgenommen wird. Hierdurch wird versäumt, aktiv die Bedürfnisse der Fachbereiche aufzugreifen und einer

Lösung zuzuführen. Man vergibt einen entscheidenden psychologischen Vorteil, wenn Forderungen durch den Fachbereich aufgegriffen werden und von dort auch Terminvorstellungen artikuliert werden, die in aller Regel nicht mit den laufenden Planungen ins Einklang zu bringen sind.

In Abbildung 5 wird die Situation des DV-Leiters, wie sie sich heute in vielen Fällen darstellt, beschrieben. Den Zwängen der Unternehmensführung (Kosten, Ziele) stehen die aus Entwicklung und Rechenzentren resultierenden Tagesprobleme gegenüber.

Bei dieser Gegenüberstellung lassen die neuen Einsatzformen für den Anwender einen sehr hohen direkten Nutzen erkennen, da diese Gerate meist "vor Ort" in seinem Bereich eingesetzt sind und er somit die Nutzenentwicklung genau verfolgen kann. Auch handelt es sich bei diesen Einsatzformen meist um einfache Applikationen, die keine umfassenden Vorbereitungen erfordern und deren Bedienungsprobleme minimal sind. Solche Anwendungen haben eine hohe Akzeptanz .

Demgegenüber bringt die Verbesserung des Hardware-Angebotes bei bestehenden Anwendungen dem Anwender nur einen indirekten Nutzen, der sehr oft überhaupt nicht transparent wird.

Das liegt daran, daß beispielsweise höherer Systemkomfort in erster Linie im Systemumfeld - der Programmentwicklung und dem Operating - einen Vorteil bringt. Ebenso werden höhere Systemstabilität oder die Beseitigung von Engpaßsituationen nur als eine Herstellung des Normalzustandes .empfunden und nicht als eine erhebliche Verbesserung gesehen.

Das erklärt, daß sich der Anwender in erster Linie für neue Einsatzformen wie Textverarbeitung, Bildschirmtext oder dedizierte Anwendungen (Fakturiersystem, Gleitzeit, Dateiverwaltung etc.) interessieren wird.