Ericsson liefert Handys im zweiten Quartal

"GPRS ist ein Paradigmenwechsel"

23.02.2001
Höhere Transferraten für Daten im Mobilfunk kündigen die deutschen Netzbetreiber mit dem neuen Standard General Packet Radio Service (GPRS) an. Doch hält das paketorientierte Verfahren wirklich, was es verspricht? Mit Mikael Halen, Director Product Marketing bei Ericsson Radio Systems, sprach CW-Redakteur Peter Gruber über das wahre Leistungsvermögen von GPRS und dessen Nachfolgetechniken.

CW: Viag Interkom und T-Mobil haben in Deutschland ihren GPRS-Betrieb aufgenommen. Glauben Sie, dass die Dienste angenommen werden, obwohl UMTS bereits seinen Schatten vorauswirft?

HALEN: In der Evolution des Mobilfunks ist GPRS ein großer Schritt. Ich würde sogar sagen, ein Paradigmenwechsel, weil im Mobilfunk erstmals ein paketbasiertes Verfahren Anwendung findet. Es wird also nur nach tatsächlich übertragenem Volumen abgerechnet, und außerdem ist das Handy always-on, das heißt, es besteht eine permanente Verbindung zum Beispiel zum Internet. Die Notwendigkeit der wiederholten Einwahl wie bei einer Modemverbindung entfällt.

CW: Was heißt das konkret für den Anwender?

HALEN: Während des Always-on-Betriebs behält das Handy entweder seine IP-Adresse bei oder wird - nach längeren Übertragungspausen - vom Benutzer unbemerkt über seine Rufnummer wieder angesprochen, mit einer neuen temporären IP-Adresse.

CW: Welchen Vorteil hat der Nutzer davon?

HALEN: Die Services werden künftig jedem Kunden unmittelbar und mit individuell auf ihn zugeschnitten Inhalten zur Verfügung stehen.

CW: Führt der Always-on-Modus nicht zu einer enormen Belastung der Netze?

HALEN: Nein, die Anwender sind zwar ständig mit dem Netz verbunden, aber nicht alle gleichzeitig aktiv. Das kann man mit dem PC am Arbeitsplatz vergleichen, der mit vielen anderen Rechnern ins LAN eingeloggt ist, aber die Netzkapazität nicht permanent belastet.

CW: Aber wird es bei Diensten, deren Datenvolumen und Nachfrage steigen, nicht doch problematisch, die Intensität des Netzverkehrs richtig vorherzusagen?

HALEN: Die exakte Einschätzung des Netzverkehrs wird künftig mit Sicherheit komplizierter, da haben Sie Recht. Dennoch werden die Netze diese Burst-artige Last bewältigen.

CW: Die GSM-Netze in Deutschland werden jetzt zwar für die GPRS-Dienste aufgerüstet, es fehlt aber an den nötigen Handys. Wann liefert Ericsson?

HALEN: Das GPRS-Handy "R520m" wird zur CeBIT vorgestellt und im zweiten Quartal 2001 in Stückzahlen ausgeliefert.

CW: Die Transferrate mit GPRS ist gegenwärtig nicht berauschend. Die Handys sollen nur 20 bis 40 Kbit/s schaffen, eigentlich war immer von 115 Kbit/s die Rede.

HALEN: Die Übertragungsrate von 115 Kbit/s wird nur dann erreicht, wenn alle acht Time Slots einer Frequenz genutzt werden. Das wird kein Netzbetreiber zulassen. Die Handys sind heute so konzipiert, dass sie maximal vier Zeitfenster einer Frequenz beanspruchen können. Würden mehr als vier Time Slots benötigt, müssten in die Geräte Duplexfilter integriert werden. Das stellt eine erhebliche technische Hürde dar. Die Telefone würden nicht nur komplexer, sondern auch teurer werden. Deshalb unterstützen die Mobiles heute nur vier Time Slots. Damit ist die Geschwindigkeit ungefähr mit der eines Modems vergleichbar.

CW: Wird es jemals GPRS-Handys mit maximaler Transferrate von 115 Kbit/s geben?

HALEN: Ich glaube eher nicht, aber letztlich hängt das davon ab, wie effektiv die Mobiltelefone gefertigt werden können und was sie die Kunden kosten. Möglicherweise werden Technologien wie EDGE oder UMTS diesen GPRS-Entwicklungsschritt gar nicht mehr erforderlich machen.

CW: Benötigt der Anwender ein neues GPRS-Handy, falls es doch noch zu einer Erhöhung auf fünf oder mehr Time Slots kommt?

HALEN: Ja, in diesem Fall müsste das Handy ausgetauscht werden.

CW: Sind Interessenten dann nicht gut beraten, in Sachen GPRS erst einmal abzuwarten?

HALEN: Das ist die immer wiederkehrende Frage, wann ist ein Markt reif? Wenn man bedenkt, dass heute 60 bis 70 Prozent der europäischen Bevölkerung ein GSM-Handy nutzen, dann ist die Stunde von GPRS gekommen. Die Marke I-Mode des japanischen Anbieters NTT Docomo, die auf dem WAP-ähnlichen Standard c-HTML sowie der Norm Personal Handyphone Systems (PHS) basiert, beweist das. I-Mode ist ein gutes Beispiel dafür, wie leistungsfähig paketorientierte Verfahren und das Konzept des Always-on sind. GPRS ist damit vergleichbar, und deshalb wird auch die Nutzung des Wireless Application Protocol (WAP) eine enorme Steigerung erfahren.

Übrigens, noch eine Anmerkung: Die Japaner wechseln ihre Handys im Schnitt alle neun Monate. Was spricht also dagegen, auch ein GPRS-Handy nach einer Weile auszutauschen?

CW: Dagegen sprechen die Preise und möglicherweise auch die fehlenden Applikationen.

HALEN: Natürlich wird das Konsumverhalten von den Preisen, aber vor allem davon abhängen, wie interessant die Anwendungen sind. Das Beispiel I-Mode stimmt uns da sehr zuversichtlich.

CW: Welche Anwendungen sehen Sie?

HALEN: Informationsdienste wie Gelbe Seiten, Börsennachrichten, Downloads von Ruftönen, Horoskopen etc.

CW: Wo bleiben die Services für professionelle Kunden?

HALEN: Die sehe ich in der Folge mehr bei UMTS, zum Beispiel für Unternehmen mit Außendienstmitarbeitern. UMTS, auch 3G oder WCDMA genannt, ist eine Revolution, weil es ein komplett neu entwickeltes Verfahren ist und mit einem Spektrum von zwei Gigahertz arbeitet.

CW: Und was ist mit EDGE?

HALEN: EDGE kann im Bereich 900 und 1800 Megahertz genutzt werden und stellt im Gegensatz zu UMTS mehr eine Evolution dar. Das Potenzial für Geschwindigkeiten bis zu 10 Mbit liegt aber ausschließlich bei UMTS, während das Vermögen von EDGE begrenzt ist, weil es lediglich das Spektrum von GSM ausdehnt. Beides sind aber 3G-Technologien, weil sie die Anforderungen der ITU erfüllen.

CW: Glauben Sie, dass die Netzbetreiber im Vorfeld von UMTS noch auf EDGE migrieren werden?

HALEN: Es sieht eher nicht so aus, weil unter den Betreibern eine starke Orientierung auf UMTS sichtbar ist. Diese Technologie wird favorisiert, weil das Frequenzspektrum wesentlich höher ist. Hinzu kommen die hohen Investitionen, die in UMTS-Lizenzen getätigt wurden. EDGE dürfte aber für die Carrier von Interesse sein, die GSM-Netze fahren, aber keine UMTS-Rechte besitzen.

CW: Werden die ersten UMTS-Handys nur diesen Standard unterstützen oder Protokoll-Stacks für GSM und GPRS enthalten?

HALEN: In Europa werden es sicher Dual-Mode-Handys sein, das heißt, sie beherrschen UMTS, aber auch GSM plus GPRS. Da-ran wird kein Weg vorbeiführen, weil die Reichweite der UMTS-Netze nicht so groß sein wird wie die der GSM-Netze - zumindest nicht zu Beginn. Der Handover zwischen den Netzen muss also reibungslos funktionieren. Single-Mode-Handys wird es nur in Japan geben, weil dort GSM nicht verbreitet ist.

CW: Wann werden die ersten UMTS-Handys vorgestellt?

HALEN: Ich denke, Anfang nächsten Jahres.

UMTS-Produktionsstart

Mit der Auslagerung seiner defizitären Handy-Produktion an Flextronics sorgte Ericsson kürzlich für Schlagzeilen (siehe CW 5/01, Seite 14). Bei den Mobiles rangieren die Schweden mit einem Marktanteil von zehn Prozent auf Rang drei hinter Nokia und Motorola. Doch im gesamten Konzerngeschäft machen die Consumer-Produkte nur 20 Prozent aus, der Löwenanteil mit 70 Prozent entfällt auf Systemtechnik für Netzbetreiber. Mit 30 Prozent des weltweiten Marktvolumens sind die Schweden in diesem Segment die Nummer eins vor Motorola und Lucent. Um diese Position zu verteidigen, hat Ericsson in Schweden bereits mit der Produktion von Basisstationen und Platinen für die kommenden UMTS-Netze begonnen und erste Systeme für den realen Netzbetrieb an den japanischen Betreiber NTT Docomo geliefert. Eigenen Angaben zufolge konnte der Hersteller bei 33 Ausschreibungen 22 UMTS-Aufträge für sich gewinnen.

Glossar

EDGE: Das Kürzel steht für Enhanced Data Rates for GSM Evolution. Dabei handelt es sich um eine Highspeed-Übertragungstechnik, die auf der Grundlage von GSM und GPRS durch Kanalcodierung Bandbreiten von 384 Kbit/s erreicht. Die Technik soll ab 2001 einsatzbereit sein.

GPRS: Der General Packet Radio Service ist eine Weiterentwicklung von GSM und ermöglicht den Datentransfer mit Geschwindigkeiten von bis zu 115 Kbit/s. Im Gegensatz zum heutigen Datenfunkmodus in GSM ist GPRS nicht leitungsvermittelt, sondern paketorientiert. Damit eignet sich das Verfahren besser für eine volumenabhängige Tarifierung. Bei diesem Verfahren ist der Anwender ständig mit dem Netz verbunden (always-on).

GSM: Global System for Mobile Communications ist ein in Europa entwickelter, aber auch da-rüber hinaus weit verbreiteter Mobilfunkstandard. Er stellt die gegenwärtig aktuelle zweite Generation des Mobilfunks dar, wird den Anforderungen der modernen Datenübertragung mit einer Transferrate von nur 9,6 Kbit/s aber nicht mehr gerecht.

UMTS: Das Universal Mobile Telecommunications System, auch dritte Mobilfunkgeneration oder 3G genannt, ist für mobile Multimedia-Dienste ausgelegt. Es wird eine Bruttoübertragungsrate von 2 Mbit/s bieten, die sich jedoch alle Insassen einer jeweiligen Funkzelle teilen müssen. Als Einführungstermin wird das Jahr 2002 gehandelt.

WAP: Das Wireless Application Protocol ist ein Standard, der den Versand von Texten und Bildern an mobile Endgeräte definiert. In der aktuellen Version verwendet WAP den Datenmodus der GSM-Netze mit einer Transferrate von 9,6 Kbit/s. Um die Informationen auf dem Handy anzuzeigen, benötigt dieses einen WAP-Browser.