Google: Wo soll das enden?

04.10.2005
Das Geheimnis des Unternehmenserfolgs ist das Geheimnis, das sich um die Strategie rankt.

Als Microsoft unlängst seine interne Umstrukturierung mitteilte und bekannt gab, die bislang sieben Geschäftseinheiten in nur noch drei zu verwandeln, war sich die weltweite Presse einig: Googles Wettbewerbsdruck zwingt das Microsoft-Management zu massiven Anpassungen. Wirklich neu und überraschend war der Tenor der Analysen nicht, denn seit geraumer Zeit muss sich mindestens ein etablierter Konzern pro Woche dafür rechtfertigen, wieso er nicht ebenfalls das verschenkt, was bei Google als Betaversion kostenlos verfügbar ist. Das Google-Phänomen erinnert zeitweise an den Wettlauf vom Hasen und dem Igel - nur dass Google ein Heer geklonter Steroid-Igel gegen viele alte Hasen ins Rennen geschickt hat.

Google diversifiziert

Das Angebot Googles ufert immer weiter aus. Neben der klassischen Suchmaschine tritt das Unternehmen inzwischen in folgenden Disziplinen an, wobei die Sammlung keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben kann:

Spezielle Suchmaschinen für Produkte, für Büchertexte, für Desktop-Inhalte, Such-Appliances für Firmen, Web-Mail-Angebote, Web-Video-Angebote, Nachrichtenportale, Routenplaner und Satellitenbilder, Internet-Telefonie und Instant Messaging, Glasfaser-Backbone, WLAN-Zugänge, Powerline-Verbindungen, Bildverwaltungsprogramme, Social Software, Blogs und Newsgroups.

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www.computerwoche.de/go/

*81465: Geheimniskrämerei;

*81440: Buchprojekte;

*81321: Google gegen Microsoft und AOL?

*81010: Google stellt Internet-Vater ein;

*80048: Börsenjubiläum;

*80203: Pressemaulkorb;

*75625: IT-Infrastruktur.

Eine Wette auf die Zukunft

In der Auseinandersetzung Googles gegen den Rest der Welt geht es nicht um bestehende Produktportfolien, sondern einzig und allein um die richtige Interpretation der Zukunft. Wer im Internet-Zeitalter die dominierende Rolle spielt, dem eröffnen sich Perspektiven - auch an den Geldmärkten. Und hier spricht einiges für Google: Knapp die Hälfte aller Internet-Recherchen weltweit läuft immer noch über die Suchmaschine, eine Ausgangsbasis, von der aus die Company neue Geschäftsfelder erschließen will. Die Umsätze explodieren, und zu allem Überfluss ist Google auch noch hochprofitabel.

Der Autor Stephen Arnold hat sich mit den von Google angemeldeten Patenten sowie den öffentlich zugänglichen Entwicklungsdokumenten beschäftigt. In seinem nur als PDF-Datei erhältlichen Buch "The Google Legacy: How Google’s Internet Search is Transforming Application Software" heißt es unter anderem: "Google ist die alles verändernde Computing-Plattform dieser Jahre und könnte es schaffen, Microsoft von seinem Thron zu stürzen." Arnold argumentiert unter anderem damit, dass Google 99 Prozent seiner Einnahmen mit Werbung erwirtschafte und seine Anwendungen daher, anders als die meisten Wettbewerber, kostenlos anbieten könne. Das trifft schon jetzt auf Programme wie Google Mail, Google Talk oder Google Earth zu und wird in Zukunft wohl für noch viel mehr Anwendungen gelten.

Bargeldreserven von fast sieben Milliarden Dollar deuten darauf hin, dass Google auch künftig beliebig Programme entwickeln oder zukaufen kann. Anders als in der restlichen Welt scheint Geld in Googles Universum aber keine große Rolle zu spielen. Es ist Mittel zum Zweck, und genau der ist das große Geheimnis: Was verfolgt die Company abseits ihres exorbitanten Wachstums eigentlich für Absichten? "Google positioniert sich als Lieferant von Anwendungen für jeden Gerätetyp", meint Buchautor Arnold, der zuvor 30 Jahre als Finanz- und Technologieanalyst tätig war. Das dahinter stehende Paradigma sei ein anderes als Microsofts Desktop-zentrierte Ausrichtung.

Services über das Netz

Auch Sun und Oracle hätten die Zukunft des netzbasierenden Computings beschworen und die Bedeutung mobiler Endgeräte erkannt. Doch es gebe einen entscheidenden Unterschied: "Sun definierte Network Computing, Oracle versuchte es zu etablieren, aber Google setzt es wirklich um." Wenn die Zukunft der Software tatsächlich im Service liegt, hat das Unternehmen gegenüber den alten Anbietern einen nicht zu unterschätzenden Wettbewerbsvorsprung.

Aber Anwendungen sind nicht alles. Ein Abkommen, das Google kürzlich mit T-Mobile abschloss, aber auch Zukäufe von Mobility-Startups wie Dodgeball oder Android untermauern die Spekulationen, dass der Internet-Gigant zudem noch eine "Google-everywhere-Strategie" verfolgt. Insbesondere bei Android handelt es sich um eine geheimnisvolle, nicht einmal zwei Jahre alte Company, deren Gründer Andy Rubin zuvor Wireless-Geräte entwickelt hatte. Gegenüber dem Wirtschaftsmagazin "Business Week" sagte Rubin, Mobilgeräte, die Lokalisierungseigenschaften besitzen und auf die Vorlieben des Benutzers verweisen, gehöre die Zukunft.

Auch technisch ist Google den Ausführungen Arnolds zufolge in der Lage, als weltweiter Anbieter von Applikationen in zunehmender Vielfalt aufzutreten: "Das Unternehmen verfügt über eine skalierbare IT-Architektur auf der Basis von Commodity-Hardware." Google könne seine Kapazitäten schnell und zu geringen Kosten beliebig ausweiten - anders als manche Konkurrenten, die sich eng an die Architekturen einzelner Anbieter gebunden hätten. Viele billige Server, geclustert und mit Open-Source-Software bestückt, fügen sich zu einer leistungsfähigen IT-Landschaft zusammen. Defekte Rechner können jederzeit und durch neue ersetzt werden, ohne dass die Infrastruktur leidet.

Das Szenario einer beliebig skalierbaren IT-Landschaft, die mit jeder Last umgehen kann, wird durch Googles jüngsten Aufkauf ungenutzter Glasfaserkapazitäten noch gestützt. Das Unternehmen, dem auch Interesse am Aufbau eines eigenen weltweiten Backbones nachgesagt wird, könnte damit erst einmal ganz pragmatisch eine preiswerte und leistungsfähige Kommunikation zwischen seinen Datenzentren sicherstellen. Dabei ist auch hier nicht klar, ob Google das überhaupt will oder ob das Backbone für andere Zwecke genutzt werden soll.

Google ist die bedeutendste Suchmaschine, bietet eine rasch wachsende Palette an Applikationen und engagiert sich darüber hinaus im TK-Geschäft, wie nicht nur der Einstieg in den Voice-over-IP-Sektor mit Google Talk zeigt. Das Unternehmen beteiligt sich gleichzeitig an Current Communications, einem Anbieter, der Internet-Zugänge über das Stromnetz offeriert. Mitte September wurde außerdem "Google Secure Access" in einer Testregion angeboten: eine zum Download bereitstehende Client-Anwendung, die Einwohnern in bestimmten Gebieten von San Francisco den kostenlosen Zugang zu einem öffentlichen Wireless-LAN ermöglicht. Inzwischen wurde bekannt, dass die Company ein Funknetz über die gesamte Stadt ausbreitet. Wird Google ein Provider?

Auch an Satelliten soll Google angeblich interessiert sein - möglicherweise, um sein Programm Google Earth besser vorantreiben zu können. Hierfür sprach vergangene Woche auch eine weit reichende Forschungsallianz mit der US-Weltraumbehörde Nasa, deren Details nicht preisgegeben wurden. Alles andere hätte auch wirklich überrascht. Die Welt der Medien drehte sich trotzdem um Google und seine Geheimnisse.

Moderner Medienkonzern

Ein sicherer Punkt im strategischen Rätselraten lässt sich trotz des dichten Nebels erkennen: Google ist auf dem besten Weg, eines der einflussreichsten Medienunternehmen der Welt zu werden. Es verbindet die Nutzer mit den für sie interessanten Nachrichten, Analysen und Grundlagen. Web-Seiten wie Google News verwässern auf Dauer die Marken der etablierten Anbieter, weil die Redundanz der verfügbaren Informationen offen zutage tritt und dies traditionelle Bindungen lockern kann. Dies betrifft nicht nur das Textformat, sondern künftig auch Sprach- und Videonachrichten.

Profitieren können im Gegenzug Personen, denen Google als eine Art Verleger hilft, via Blogger.com ins globale Rampenlicht zu treten. Hier nivelliert die Suchmaschine die traditionellen Vorteile etablierter Vertriebsorganisationen im Medienbereich. Jeder Blogger kann in kürzester Zeit bekannt werden, und das auch noch interkontinental. Das Zukunftsinstitut von Matthias Horx bezeichnet einen Trend als "Medialution" - von den Massenmedien zur digitalen Individualisierung. "Mediale Communities übernehmen die Programmhoheit, Narrowcasting ersetzt Broadcasting", heißt es in einer aktuellen Studie des Zukunftsinstituts. Während Broadcasting auf Medienmarken setzt, leben die individuellen Angebote durch Suchmaschinen.

Über die eigentlichen strategischen Ziele von Google sind sich indes weder Arnold noch die meisten Marktbeobachter einig. Vielleicht ist genau das der Plan: Das Unternehmen ist deshalb so interessant, weil es keine endgültigen Antworten über seine Pläne gibt und jede Menge Spielraum für Phantasien lässt. Das betrifft nicht nur die Frage, was Google mit den Milliarden an täglich eingegebenen Suchanfragen vorhat, die ja immerhin die Interessen, Wünsche und Ängste eines Gutteils der Weltbevölkerung spiegeln. Es geht auch ganz pragmatisch um die anstehende Ausrichtung des Konzerns.

Ob die vielfältigen Initiativen und Beteiligungen von Google am Ende das stimmige Bild einer Gesamtstrategie ergeben, ist nicht absehbar. In jedem Fall entsteht der Eindruck, dass das Unternehmen alle Hebel in Gang gesetzt hat, um auf Dauer wichtigster Player im Internet-Zeitalter zu sein. Dabei werden immer neue Visionen geschaffen und mit einer Phantasie und Schnelligkeit verfolgt, der etablierte Konzerne nicht folgen können. Google ist derzeit eine der wenigen Companies, denen alles zuzutrauen ist. Vielleicht liegt es daran, dass sich die Manager und Mitarbeiter gegenwärtig einfach alles zutrauen. (hv/ajf)