Die Blockade von Google in China kam nicht völlig überraschend. Seit März verschlüsselt der Internetriese standardmäßig die Suchwörter, so dass Zensurbehörden oder Geheimdienste ihre liebe Not haben, politisch heikle Suchen zu sperren oder ihre Urheber zu identifizieren. Statt "Tian'anmen-Massaker" oder "Dalai Lama" sind für sie nur kryptische Reihen aus Zahlen und Buchstaben mitzulesen. So war schon befürchtet worden, dass Chinas Meinungswächter als letztes Mittel die Verbindungen zu Googles Internetadressen komplett kappen könnten, um dem verschlüsselten Treiben ein Ende zu bereiten.
Was etwas überrascht, ist der Zeitpunkt. Ausgerechnet vor dem 25. Jahrestag der blutigen Niederschlagung der Demokratiebewegung an diesem Mittwoch schlägt Chinas Zensur zurück. Die Sperre lenkt die Aufmerksamkeit der Welt erst recht auf den Jahrestag des brutalen Militäreinsatzes in der Nacht zum 4. Juni 1989, den Chinas Führer am liebsten verschweigen wollen. Auch wirft die Internetblockade noch größere Schatten auf das kommunistische Regime, das ohnehin schon durch Festnahmen, Hausarrest für Kritiker und eine "beispiellose Verfolgungswelle" vor dem Jahrestag am Pranger steht.
Aber vielleicht hängt beides auch zusammen. "Mit der völligen Blockade der Google-Adresse in diesen Tagen verhindert die Regierung, dass junge Leute nach der historischen Wahrheit suchen können", sagt der chinesische Internetexperten Michael Anti der dpa. Auch der US-Experte Jeremy Goldkorn sieht einen Zusammenhang mit dem 4. Juni, glaubt aber, "dass dies einen Vorgeschmack auf das gibt, was noch kommt". Nach den Enthüllungen über den US-Abhörskandal durch Edward Snowden und die Anklagen in der USA gegen chinesische Hacker mehrten sich Rufe in China nach mehr Internetkontrolle und auch Forderungen, US-Internetriesen durch chinesische Firmen zu ersetzen.
Schon heute sperrt Chinas Zensur alles, was Internetnutzern im Westen am meisten Spaß macht - zum Ärger der chinesischen Online-Kommune. Die mit mehr als 800 Millionen Nutzern größte Internetgemeinde der Welt muss auf Facebook, Twitter und Youtube verzichten, weil Chinas Behörden solche sozialen Netzwerke nicht kontrollieren können. Dafür haben sich in China die Weibo genannten Mikroblogs entwickelt, die zensiert werden. Seit die Hüter des Internets vor einem Jahr eine Kampagne gegen "Gerüchte" gestartet und Hunderte Blogger festgenommen haben, wichen viele auf Messenger-Apps auf Smartphones aus.
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Solche Dienste wie WeChat von Tencent, der 800 Millionen Accounts hat, verhießen vermeintlich mehr Privatsphäre. Aber seit vergangener Woche haben die Behörden sieben dieser beliebtesten Dienste ins Visier genommen und vage der "Infiltration von Kräften aus dem In- und Ausland" den Kampf angesagt. Die Sperre der Google-Dienste erscheint auch vor diesem Hintergrund als Teil der laufenden, breit angelegten Kampagne - und nicht als vorübergehende Maßnahme wegen des Jahrestages. "Es ist höchst wahrscheinlich, dass Google von jetzt an schwer gestört und kaum noch benutzbar sein wird", meint die Webseite Greatfire.org, die Chinas Zensur verfolgt.
Für den US-Internetriesen ist die Verschlüsselung der Suchfunktion eine Konsequenz aus dem Skandal um den US-Abhördienst NSA, den Snowden vor einem Jahr ausgelöst hatte. "Die Enthüllungen des vergangenen Sommers haben für uns die Notwendigkeit unterstrichen, unsere Netze zu stärken", sagt Google-Sprecherin Niki Christoff der dpa. Die verschlüsselte Suche baue auf die Bemühungen auf, "die Industrie zu ermutigen, strengere Sicherheitsstandards einzuführen".
China steht mit Google ohnehin auf Kriegsfuß, seit der Internetgigant sich 2010 weigerte, seine Suchen weiter selbst zu zensieren. Damals musste Google dem Wachstumsmarkt China den Rücken kehren und ins autonom verwaltete Hongkong umziehen, da in der 1997 an China zurückgegebenen früheren britischen Kronkolonie weiter Meinungsfreiheit herrscht. Die vorrangige Suchmaschine in China war ohnehin immer der chinesische Konkurrent Baidu, der alles zensiert und dem Milliardenvolk damit eine verfälschte Suchwelt ohne Menschenrechtskritiker und Tibet-Aktivisten vorgaukelt.
Bei Google wurde der Sucher aus China seither automatisch nach Hongkong umgeleitet, wo er alles fand, aber am Ende die kritischen Seiten auch nicht öffnen konnte, weil sie hinter der "Großen Firewall" in China gesperrt sind. Immerhin wusste der Nutzer aber anhand der Suchergebnisse, was ihm die Zensur vorenthielt. Seit dem Wochenende ist es aber nicht nur damit vorbei, sondern auch mit Gmail, Google-Maps, Kalender und selbst dem Fotodienst Picasa. (dpa/tc)