Google dreht an vielen Rädern

17.05.2007
Von Jürgen Liebherr
Google ist schon längst mehr als eine Suchmaschine. Immer weiter dringt das kalifornische Internet-Unternehmen in die Bereiche Office, Media und Mobile vor.

Raten Sie mal, wie viele Google-Dienste es gibt. Klar, da fällt einem die typische Suchfunktion ein, dann Froogle und Google News; von Desktop und Toolbar hat man schon gehört, und Web-Profis kennen natürlich Adsense oder Google Earth und Maps ... Auf der deutschen Übersichtsseite von Google stehen allein 24 Dienste, auf der amerikanischen 36. Je nach Zählweise (Tools und Inoffizielles mitgerechnet) kommt man aber sogar auf rund 60! Die Entwickler in den Google Labs sind unglaublich produktiv. Mit jeder Betaversion wird das Spinnen-Netz der Google-Gründer Larry Page und Sergey Brin dichter und größer; immer mehr Unternehmen (wie zuletzt der Konkurrent DoubleClick) werden assimiliert. Kritiker sprechen nicht zu Unrecht von einem Internet-Imperium, von einer ungesunden Vormachtstellung im Web.

Googles Weg an die Spitze

Dabei scheint die Strategie des in Mountain View, Kalifornien, ansässigen Unternehmens besonders in jüngerer Zeit nicht immer klar zu sein. Doch blicken wir zurück:

In der zweiten Hälfte der 90er-Jahre bemüht sich Google noch ausschließlich um die Optimierung der Suchfunktionen. Erfolgreich. Denn schon 1999 werden täglich rund eine halbe Million Suchanfragen bearbeitet. Im Jahr 2000 werden die Benutzerströme in bare Münze umgesetzt - durch Anzeigen ("Ads") in den Ergebnislisten. Das Geschäftsmodell steht damit auf relativ festen Beinen. 2001 kommt die Bildersuche Google Images mit einem Index von 250 Millionen Bildern dazu. 2002 gehen die Nachrichtensuche Google News sowie die Produktsuchmaschine Froogle an den Start. Das erste große Rätsel in der bis dahin meist logischen Expansionsstrategie gibt das Unternehmen 2003 auf. Google kauft die Blogging-Software-Firma Pyra Labs - doch zu welchem Zweck? Will Google Weblogs durchsuchen, selber welche erstellen? Das Jahr 2004 verläuft dann wieder nach bekanntem Muster: Mit der Einführung der lokalen Suche wird ein weiterer Schritt in Richtung kommerzielle Nutzung gegangen. Auch die kurz darauf vorgestellte personalisierte Suche verspricht Umsatzsteigerung durch Werbeeinnahmen. Denn durch die Vorauswahl von Interessengebieten bei einer Suchanfrage passen nicht nur die Ergebnis, sondern auch die darüber eingeblendeten Anzeigen besser zum Benutzer. Drei weitere wichtige Ereignisse passieren 2004: Im April nimmt der E-Mail-Dienst Gmail die Arbeit auf, und im Juli wird überraschenderweise die frisch aufgekaufte Fotosoftware "Picasa" kostenlos als Download bereitgestellt. Warum, weiß keiner so genau. Der Börsengang von Google im August kommt weitaus weniger überraschend. Mit den so gefüllten Kassen scheint es für die frischgebackene Aktiengesellschaft kein Halten mehr zu geben. Die folgenden zwei Jahre stehen ganz im Zeichen der unaufhaltsamen Expansion.

Google hebt ab

Als 2005 Google Earth in der Betaversion gelauncht wird, ist die Internet-Gemeinde verzückt. Ein Web-basiertes Programm, mit dem man quasi über unseren Planeten, über Länder, über einzelne Gebäude "fliegen" kann. Respekt. Wenige Monate später folgt der nächste strategisch kluge Schachzug: Google Maps und Google Local werden zusammengeführt. Die lokale Suche nach beispielsweise einem Restaurant wird mit Kartenausschnitt und Wegbeschreibung kombiniert. Optionale Bilder von Google Earth machen das Ganze noch interessanter. Und so wird einem erst einige Zeit später bewusst, welches Potenzial in Google Earth steckt. Mittlerweile nutzen manche Reisebüros den Geo-Dienst, um einen Blick auf ein Urlaubsgebiet, die Lage eines Hotels zu werfen. Und Google verdient natürlich mit.

Dieser Ansatz - ein Projekt unbekümmert zu entwickeln, zu kaufen, zu launchen, bis sich dann die (teils) unerwarteten Erfolge einstellen - scheint fast schon symptomatisch für die Google-Denkart. Nicht alles ist bis ins i-Tüpfelchen durchdacht, Page und Brin sind nicht nur Wissenschaftler, sondern auch Spieler - und behalten immer wieder Recht.

Google greift an

2006 kommt der nächste Schlag: Google eröffnet seinen Video-Store mit bezahlpflichtigen Inhalten und zieht sich damit selbst die Eintrittskarte in die Medienwelt. Geschickt vorbereitet wurde das Ganze durch die genau ein Jahr zuvor gestartete Online-Video-Plattform Google Video.

Datenschutz mit Fragezeichen

Dann, ebenfalls im letzten Jahr, dringt Google sogar direkt auf die heimischen Rechner vor. Die mittlerweile optimierte Version von Google Desktop sucht mit dem bewährten Algorithmus auf unseren Festplatten. Das Programm indexiert E-Mails, Outlook-Adressbücher, Dateien der Formate Excel, Word, PDF sowie Musik- und Bild-Files. Bei den "ganz nebenbei" mitgelieferten/angebotenen, entzückenden und praktischen Gadgets vergisst so mancher die eingebaute Gefahren: Immerhin ist die Desktop-Suchfunktion auch mit der Außenwelt verbunden, über das Internet! Und Google ist beileibe nicht dafür bekannt, der Hüter des Datenschutz-Grals zu sein.

Auch bei einem der jüngsten Coups sträuben sich Datenschützern die Nackenhaare: Google versorgt jeden, der will, mit Online-Office-Tools. Eingeleitet wurde der Angriff auf den Softwaregiganten Microsoft Anfang 2006 durch die Übernahme der Online-Textverarbeitung "Writel".

Online-Pendants zu MS-Programmen

Die zweifellos genialen Programme der Kategorien Textverarbeitung und Tabellenkalkulation laufen direkt im Browser. Aber auch wenn dank der zugrunde liegenden Ajax (Asynchronous Javascript and XML) Websites so schnell und einfach genutzt werden können wie Desktop-Programme, sollte der Anwender doch nie vergessen, dass er immer online ist, ohne SSL-Verschlüsselung. Der große Vorteil, Dokumente mit anderen Teilnehmern online zu tauschen, zu bearbeiten, sie im Web abzulegen, kann logischerweise schnell zum Sicherheitsrisiko werden.

Ein Online-Pendant zu Microsofts Outlook existiert ebenfalls. Google Calendar hat die üblichen Anzeigemodi wie Tages-, Wochen- und Monatsansicht, erinnert an Termine. Und natürlich ist auch hier der Zugriff auf die Einträge für andere Benutzer möglich, sofern erlaubt. Eine direkte funktionale Anbindung an Google Mail ist wohl schon in der Pipeline.

Ein paar Fakten...

  • Larry Page und Sergey Brin haben Google im September 1998 gegründet.

  • Heutiger Börsenwert zirka 150 Milliarden Dollar - damit Platz 14 der amerikanischen Unternehmen und Platz 3 der IT-Firmen weltweit.

  • Mit 49,5 Prozent Marktanteil weltweiter Spitzenreiter in Sachen Online-Suche

Apropos Pipeline: Laut den jüngst publizierten Mitteilungen aus den Google Laboratorien scheint das Unternehmen sich wieder mal auf seine frühen Erfolge zu besinnen: Mit Google Archive und Google Patent Search geht es wieder ganz klar in Richtung Suchen und Finden. Archive gliedert sich an den Nachrichtendienst Google News an. Damit kann man endlich auch erfolgreich in älteren Ausgaben etwa des "Time Magazin" und des "Guardian" stöbern. Es werden aber auch kostenpflichtige Artikel aus der "New York Times", dem "Wall Street Journal" und der "Washington Post" angezeigt.

Google Earth: Mit dem Web-basierten Programm kann man über unseren Planeten, über Länder und Gebäude "fliegen".
Google Earth: Mit dem Web-basierten Programm kann man über unseren Planeten, über Länder und Gebäude "fliegen".

Google Patent Search durchsucht mehr als sieben Millionen Patente. Wird die Maschine fündig, erhält der Besitzer nicht nur eine Beschreibung rund um das Patent, sondern auch die dazugehörigen Zeichnungen und bildlichen Erklärungen.

Über seine Zukunftspläne gibt Google wenig Preis. Doch natürlich köchelt auch die Gerüchteküche. Angeblich will der Suchmaschinenanbieter gemeinsam mit dem Mobilfunkbetreiber Orange ein Handy mit Google-Software und Location Based Services (Empfehlungen für nahe gelegene Restaurants, Kinos etc.) auf den Markt bringen. Das für 2008 erwartete Handy könnte vom taiwanischen Hersteller HTC gebaut werden. Kommentar eines Google-Sprechers: "Wir kommentieren keine Marktspekulationen oder Gerüchte, aber wir haben unseren Fokus auf dem Mobilsektor." Insider hatten schon lange ein Engagement in Sachen Handy prophezeit; Anzeichen dafür gab es immer wieder. Zuletzt im Herbst 2006 mit der Veröffentlichung einer Java-Anwendung für den mobilen Zugriff auf Google-Mail-Accounts. Die "Mobile App" läuft auf (zunächst nur) diversen amerikanischen Java-fähigen Handys.

Eine ganz andere kommerzielle (Aus-) Richtung zeigt eine im Dezember publizierte Meldung. Google steigt jetzt anscheinend auch in das Geschäft mit der Registrierung von Internet-Domains ein. In Zusammenarbeit mit GoDaddy.com und eNom sollen Nutzer künftig Domain-Namen der Endungen .com, .net, .biz und .info beim Suchmaschinengiganten registrieren können. Google will für diesen Service jährlich zehn Dollar verlangen.

Fazit: Google webt sein Spinnennetz unablässig weiter. Es gibt wohl bald kaum mehr einen Bereich des Internets, ja überspitzt gesagt sogar der modernen Medienwelt, den der Suchmaschinenspezialist noch nicht mit seinen Fäden überzogen hat. Sollte Google die daraus resultierenden Informationen und Daten verknüpfen, auswerten oder gar unrechtmäßig nutzen, so bekämen die zahlreichen Datenschützer und Kritiker von Google Recht. Und aus der braven kleinen Such-Spinne könnte eine mutierende Riesen-Daten-Tarantel werden. Tatsache ist: Weder in der Medien- noch in der Internet-Landschaft sollte es zu einer Monopolisierung kommen. Fragt sich bloß, was man dagegen tun soll. Google meiden, neue Gesetze entwerfen - oder lieber darauf hoffen, dass die Spinne Google ihrem Motto "Don’t be evil" treu bleibt, und niemanden auffrisst?

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