Business-Anwendungen im Internet / "Internet-Dienst am Kunden" heißt die Devise

Goldgräberstimmung feuert Internet-Markt-Prognosen an

20.03.1998

Seit Jahren investieren viele Unternehmen, wenn auch zögerlich, ins Internet, doch ohne spürbaren Erfolg, wie es scheint. Dennoch sind sich nahezu alle Marktforscher einig: Dem elektronischen Marktplatz Internet werden für das kommende Jahrtausend rosige Zeiten vorausgesagt.

Manche Prognosen versprechen dem Internet sogar, einer der umsatzstärksten Wirtschaftszweige überhaupt zu werden. Kaum zu glauben, sieht man sich die bislang etwas flügellahme deutsche Internet-Welt an. Der Gesamtumsatz des deutschen Einzelhandels beispielsweise betrug im letzten Jahr 714 Milliarden Mark. Nicht einmal drei Promille oder 2,1 Milliarden Mark entfallen davon auf den Online-Umsatz.

Bei genauerem Hinsehen sind aber bereits die ersten Vorboten des prognostizierten Aufschwungs zu sehen. Immerhin hat allein der Online-König Otto-Versand schon 430 Millionen Mark im Online-Geschäft umgesetzt, und Quelle ist mit 85 Millionen Mark Umsatz dabei. Auch die Steigerungsraten im Werbeinvestment sprechen für sich: Vom vierten Quartal 1996 zum zweiten Quartal 1997 haben sich die Investitionen im Internet von 110 Millionen auf etwa 214 Millionen Dollar fast verdoppelt (Media Gruppe München).

Bis zum Jahr 2000 sollen diese Zahlen nach Meinung der Marktforscher auf 1,5- und vier Milliarden Dollar (je nach Erhebung) gestiegen sein. Außerdem rechnet der Hauptverband des deutschen Einzelhandels damit, daß im Jahr 2005 die direkt per Internet erbrachten Online-Umsätze auf 21 Milliarden Mark gestiegen sein werden. Weltweit soll das Web bereits im Jahr 2000 bis zu 200 Milliarden Dollar an Warenumsatz erwirtschaften.

Wie sich das Online-Business entwickeln wird, kann jedoch kaum jemand genau voraussagen. Das Internet ist strukturell und technologisch zu sehr in Bewegung. Der Anteil der Online-Nutzer erhöhte sich allein im letzten Jahr in Deutschland von 2,48 Millionen auf 3,75 Millionen Anwender. Jeden Monat kommen nur bei T-Online mit schöner Regelmäßigkeit etwa 45000 weitere Nutzer hinzu. Die weltweite Internet-Gemeinde ist mittlerweile auf mindestens 80 Millionen angewachsen.

Ähnlich spektakulär verändern sich Architektur und Technologie des Internet. Innerhalb der letzten vier Jahre stieg die Zahl der im Internet installierten Host-Rechner von gut einer Million auf das 18fache. Parallel dazu kommen ständig neue Technologien hinzu, die das Netz schneller und vor allem komfortabler machen sollen. Die eindeutigen Trends für die unmittelbare Zukunft, die das Internet-Business begünstigen können, sind:

-Die Push-Technologie: Beliebige Informationen kommen gezielt zum Kunden, ohne daß dieser teure Online-Gebühren zahlen muß.

-Die Werbemöglichkeiten im WWW werden allein durch die Push-Technologie extrem ansteigen.

-Kontrollierte Werbe-Mailings über das Internet können die Flut der mittlerweile gesetzwidrigen Junk-Mails ablösen.

-Neue Technologien (zum Beispiel sicherere Verschlüsselungen und E-Money etc. ) werden die Vorsicht der Kunden gegenüber Online-Geschäften senken.

Push (engl. für: drücken) heißt das Zauberwort, mit dem in Zukunft die Herzen der Internet-Gemeinde gewonnen werden sollen. Die Technologie versucht, die Hauptschwachpunkte des Internet - hohe Online-Gebühren und großer Zeitaufwand beim Suchen - zu unterminieren. Bisher mußte sich jeder Anwender seine Informationen mühsam selbst aus dem Internet ziehen. Diese Pull-Technik (pull, engl. für: ziehen) soll nun durch die Push-Technologie ersetzt werden. Mit speziellen push-fähigen Browsern kann der Anwender einen Internet-Channel wählen, aus dem er regelmäßig Informationen bekommen möchte. Bei der nächsten Einwahl ins Netz bekommt der Browser automatisch die gewünschten Informationen über die gewählten Channel zugespielt und "drückt" diese auf die Festplatte. Der Anwender kann genau festlegen, um welche Uhrzeit und wie oft sich der Browser ins Netz einwählt, welcher Cache den Channels zur Verfügung steht und wie viele Ebenen der jeweiligen Internet-Seite geladen werden sollen. Auf dem Desktop des Internet-Anwenders befindet sich dann eine Kopie der Internet-Seiten des Anbieters, in denen er kostenlos offline recherchieren kann. Bei jeder neuen Verbindung werden nur die aktualisierten Inhalte der Seiten nachgeladen.

Die Hemmschwelle dürfte bald sinken

Neu ist die Push-Technologie nicht. Die Vorläufer sind Offline-Reader, die automatisch jede gewünschte Seite und ihre Unterseiten bis zu einer fest eingestellten Tiefe laden können. Doch die Bedienung dieser Spezialsoftware ist nicht einfach und nur Internet-Insidern vorbehalten. Die Push-Technologie ist deshalb so interessant, weil nun auch der Normalverbraucher auf einfachste Weise Informationen aus dem Netz ordern kann. Die Hemmschwelle des typischen Endverbrauchers dürfte dadurch deutlich sinken, da er sich mit der Komplexität des Internet nicht mehr auseinandersetzen muß. Aktuelle Warenangebote können so schneller zum Kunden gelangen. Die Kosten sind geringer, die Trefferquote ist wesentlich höher, da nur wirklich interessierte Personen die Informationen erhalten.

Der Anbieter kann zudem gezielt definieren, welche Informationen er für den Push-Dienst zur Verfügung stellt. Dazu muß ein Push-Button auf den Seiten installiert sein, über den festgelegt wird, ob der Anwender nur die Überschriften oder auch die gesamten Inhalte der Seiten abrufen kann. Auch die automatische Aktualisierung von Software per Updates ist dadurch möglich.

Software für individuelle, virtuelle Tageszeitung

In Amerika sind Push-Dienste schon etwas länger verbreitet als hierzulande. Pointcast Network und Marimba Castanet heißen dort die etablierten Programme. Die vom Marktführer Marimba verwendete Technik wird auch von Netscapes Push-Software, dem Netcaster, eingesetzt. Pointcasts Software präsentiert sich als individuelle Tageszeitung, in der die gewünschten Inhalte nach Themengruppen sortiert dargestellt werden. Die kostenlos bereitgestellte Pointcast-Software finanziert sich übrigens einzig und allein durch Werbeseiten, die in der virtuellen Zeitung eingeblendet werden.

Microsoft geht in Verbindung mit seinem neuen Explorer eigene Wege. Active Desktop heißt hier die Push-Funktion des Browsers, die sich der CDF-Technik (Channel Definition Format) bedient, bei der nur ein Channel die Push-Infos überträgt. Der Vorteil ist, daß bestehende Seiten weiter benutzt werden können, der Nachteil, daß nur Windows 95 unterstützt wird. Die anderen Push-Technologien sind dagegen plattformübergreifend auf Windows-, Mac-, OS/2- und Unix-Systemen einsetzbar.

Der Kunde will gefragt werden

Junk-Mail verstopft den E-Mail-Briefkasten und setzt sich über die Wünsche des Kunden hinweg. Wichtige Nachrichten und News gehen unter. Häufig versuchen Junk-Mail-Absender den Eindruck einer persönlichen Meldung zu erwecken. Solche Mailings sind unseriös, und kein Unternehmen mit gutem Ruf sollte sie einsetzen. Das Landgericht Traunstein hat außerdem inzwischen die Aussendung unverlangter E-Mail-Werbung verboten.

Trotz allem ist die E-Mail ein schnelles und preiswertes Medium, um den Kunden regelmäßig über Waren- und Preisangebot zu informieren. Es gibt kaum ein idealeres Werkzeug, um den direkten Kundenkontakt zu halten, als per Mail-Verteiler.

Registrierte Kunden sind immer an Werbeinformationen interessiert, sofern sie vorher ihre Zustimmung erteilt haben und die Informationsflut jederzeit stoppen können. Für sie ergibt sich dadurch die interessante Möglichkeit, die Angebote der Mitbewerber direkt zu vergleichen. Warenkataloge wurden irgendwann gedruckt und können, selbst wenn sie regelmäßig überarbeitet werden, nie mit der Aktualität von E-Mails konkurrieren.

Kunden-Mailings sollten deshalb vom Anbieter als Service verstanden und dementsprechend gestaltet werden. Detaillierte Produktvorstellungen, Preislisten, Katalogauszüge, Aktionen und ähnliches werden von jedem Kunden positiv aufgenommen. Ideal wäre eine Verteilung der Mails nach Interessengebieten, die aus bisherigen Bestellungen ersichtlich sind. Die Trefferwahrscheinlichkeit erhöht sich dadurch erheblich. Mit der Einwilligung zukünftiger oder bisheriger Kunden, die übrigens auch per E-Mail eingeholt werden kann, ist der Mail-Versand ein kostengünstiges, weil automatisierbares Marketing-Werkzeug.

Die Angst vor Mißbrauch sitzt bei deutschen Kunden tiefer als anderswo. Ob E-Money oder Kreditkarte: Sie trauen den bestehenden Sicherheitsvorkehrungen nicht. Ganz anders bei den Dänen und natürlich den Amerikanern. Der Einkauf per Online-Medien beginnt sich da bereits zu etablieren. Angst vor Kreditkartenmißbrauch gibt es dort zwar auch. Doch wird das Risiko nicht höher eingeschätzt als bei einer Scheckkarte.

Die Angst der Deutschen ist allerdings zum Teil begründet. Die Gefahren lauern übrigens weniger beim knackbaren Code während der Datenübermittlung, sondern im Alltag: Jeder Verkäufer, der sich Nummer und Name einer Kreditkarte eines Kunden notiert, kann im Internet auf dessen Rechnung bestellen. Das wird sich erst ändern, wenn jeder PC einen Scheckkartenleser besitzt, der die eindeutige Identifizierung der Karte erlaubt.

Einen sicheren Kompromiß bietet bis dahin die häufig praktizierte Methode, neben Kartendaten und Name auch eine persönliche Kundennummer abzufragen, die auf dem Postweg zugeteilt wurde. Das führt allerdings den Vorteil des Internet, leicht Neukunden gewinnen zu können, ad absurdum.

Der Kunde möchte auch hier die Freiheit besitzen, jederzeit bei jedem einkaufen zu können, ohne tagelang auf eine Kundennummer warten zu müssen. Doch immerhin bleibt dem Kunden die Sicherheit, daß er nur bis 100 Mark für einen Schaden, der durch Kreditkartenmißbrauch entstanden ist, haften muß. Den Rest übernimmt die Kreditkartengesellschaft. Das ist aber nur wenigen Kunden bewußt. Hier ist Aufklärungsarbeit erforderlich, und zwar durch jeden, der in Zukunft am Online-Business teilhaben will.

Die Amerikaner schwören schon heute auf die Sicherheit des Online-Einkaufs. So setzte der Cyber-Bookshop Amazon (Amazon. com) aus Seattle allein im zweiten Quartal 1997 runde 28 Millionen Dollar mit Online-Bestellungen um - per Kreditkarte, wohlgemerkt. Der Service steht allerdings dem realen Kundenservice in nichts nach: Jedes Buch kann ohne Aufpreis als Geschenk verpackt (online auswählbar) geordert werden. Bei Kartenmißbrauch erstattet Amazon dem Kunden sogar den Eigenanteil von 100 Mark (beziehungsweise in Amerika 50 Dollar). Ganz offensichtlich zahlt sich der Service bereits überdurchschnittlich gut aus.

Beim Datenaustausch während einer Online-Bestellung ist mittlerweile ein hohes Sicherheitsniveau zu erreichen. Der neue von Visa und Mastercard initiierte SET-Standard (Secure Electronic Transaction) soll in Kürze die letzten Bedenken beseitigen: Die Bestellung wird zunächst mit SET-Verschlüsselung an den Händler gesandt. Der schickt sie, mit einem digitalen Zertifikat versehen, an das Kontrollorgan GZS (Gesellschaft für Zahlungssysteme, Frankfurt), das die Identität von Händler und Kunde überprüft und der Bank das Okay für den Zahlungstransfer bezie- hungsweise die Belastung des Kreditkartenkontos gibt. Die GZS will noch dieses Jahr das sehr sichere SET-Zahlungssystem etablieren.

Eines kleinen Java-Applets bedient sich hingegen das Zahlungssystem der Telecash, einem Zusammenschluß aus IBM und Telekom. Das Java-Applet dient quasi als elektronisches Portemonnaie ("Session-Wallet"), das vom Anwender zunächst geladen wird und die Karten- und Bestelldaten aufnimmt. Die Java-Software verschlüsselt nun die Daten und sendet sie an den Händler zurück. Dessen Server ist mit der Abrechnungsstelle Telecash verbunden, die den weiteren Zahlungsvorgang übernimmt. Beide Verfah- ren gelten heute als absolut sicher und wurden selbst vom Chaos Computer Club noch nicht geknackt.

Angeklickt

Selbst der skeptische deutsche Kunde beginnt dank wachsender Sicherheit und Aufklärung langsam Vertrauen zu fassen und interessiert sich zumindest dafür, wer im Internet präsent ist. Die Vorreiter im Online-Geschäft haben es natürlich trotzdem am schwersten, doch der technologische Vorsprung macht sich mit Sicherheit bezahlt. Bis dahin ist die Internet-Präsenz als Dienstleistung zu verstehen, die trotz Zurückhaltung heute schon vom Kunden erwartet und mit Aufmerksamkeit honoriert wird.

Andrea Heerdt ist freie Journalistin in Partenheim bei Mainz.