Fotos: 1 Kopf von Sam Engagierte Online-Diskussion unter www.computerwoche.de

Götterdämmerung in der New Economy

16.02.2001
MÜNCHEN (CW) - Einst waren sie die jung-dynamischen New-Economy-Gründer, die mit Ideen und Enthusiasmus Geldgeber sowie die ersten Mitarbeiter in ihren Bann zogen. Dann wurden sie an der Börse gefeiert, und viele Beschäftigte sahen sich schon als Aktienmillionäre. Inzwischen scheinen die Gründer alles verloren zu haben: ihre Millionen und ihre Glaubwürdigkeit als Führungskräfte.

"Startup-Gründer haben oft gute Geschäftsideen, sind dynamisch, nett und voll guten Willens. Aber die meisten haben vorher nicht genügend Erfahrung im Umgang mit Menschen. Sie machen im Bereich Menschenführung alles falsch, was falsch gemacht werden kann." Saskia Wiese findet im Online-Forum zum Thema "Nie wieder New Economy?", das die COPUTERWOCHE auf zwei Websites (www.computerwoche.de, www.youngprofessional.de) initiiert hat, deutliche Worte. In ihren Augen haben die Führungskräfte in Startups noch erheblichen Nachholbedarf in Sachen Mitarbeitermotivation: So begnügten sie sich mit "vollmundigen Prämien- und Aktienversprechen", satt Strukturen wie "geregelte Arbeitsabläufe, klare Zuständigkeiten und fest definierte Verantwortungsrahmen" einzuführen, die so wichtig für das Betriebsklima seien.

Dass zu einem guten Betriebsklima mehr als nur "tolle Frühstücke und rauschende Feste" gehören, ist auch anderen Diskutanten im Online-Forum klar. Vernünftige Arbeitszeiten sind für viele der Schlüssel zum Erfolg. Für Barbara Schieche ist es logisch, dass die "Wir-arbeiten-Tag-und-Nacht"-Mentalität zu mangelnder Distanz zum eigenen Tun und somit zur Orientierungslosigkeit führt. Sie fordert von den jungen Führungskräften mehr Gelassenheit und Weitsicht ein. Die fatalen Auswirkungen von 80-Stunden-Wochen bestätigt auch ein anderer Teilnehmer: "Der immense Einsatz führt sehr schnell zur Ideenlosigkeit. Kreativität und Innovationskraft sind unverzichtbar, wenn die New Economy wirklich abheben will."

Nach drei Monaten ausgebranntEine Abkehr vom Arbeiten ohne Ende will auch Alexander Samwer schaffen. Als er mit seinen beiden Brüdern und zwei Freunden das Internet-Auktionshaus Alando.de nach dem Vorbild der amerikanischen Plattform von Ebay gründete, es bereits nach wenigen Monaten für kolportierte 30 Millionen Mark an Ebay verkaufte und dann die Online-Firma in Europa groß machen wollte, war er der Vorzeigeunternehmer der New Economy. Mittlerweile sind die Brüder bei Ebay ausgestiegen und versuchen sich mit einem zweiten Startup namens "Jamba", das sie zum führenden Portal für das mobile Internet ausbauen wollen. Im Online-Forum der COMPUTERWOCHE schreibt Samwer, dass er aus den Erfahrungen der Vergangenheit lernen möchte: "Es geht darum, ein Team langfristig zu motivieren. Deshalb muss der Lebensrhythmus ausgeglichener sein, als dies bei den meisten Startups der Fall ist. Es hilft nichts, wenn alle nach drei Monaten total ausgelaugt sind. Jeder soll auch Freunde abends treffen und am Wochenende ausspannen können. Der Fokus soll also nicht auf Arbeitszeit, sondern auf den Resultaten liegen. Darum muss das Team optimal strukturiert sein."

Dass sich die Diskussion im New-Economy-Forum vor allem mit der Rolle der Führungskräfte beschäftigt, ist kein Zufall. Immer wieder waren es die jung-dynamischen Gründer, die das Startup personifizierten und durch ihren Enthusiasmus auch viele neue Mitarbeiter, die sich mehr als Mitunternehmer denn als Angestellte empfanden, gewannen. Um so mehr stehen jetzt auch sie und ihre Führungsfähigkeiten im Mittelpunkt der Kritik und nicht ihre Geschäftsidee oder das Unternehmen als solches.

Das liegt laut Steve X. daran, dass "es auch in vielen traditionellen Unternehmen Nieten in den Führungsetagen gibt, sich deren Entscheidungen in der New Economy aber auswirken". Er führt an, dass sich Startups nach einer ausreichenden Finanzierung organisieren und schließlich professionalisieren müssten. Dazu gehören nach seiner Ansicht die Spezialisierung der Mitarbeiter, geregeltere Abläufe und festere Organisationsstrukturen, um aus dem "Know-how einzelner Köpfe Firmen-Know-how zu machen". Genau damit wollen sich nach der Erfahrung von Steve X. aber die wenigsten Führungskräfte anfreunden: " Viele Gründer und Vorstände können sich nicht damit abfinden, dass sie nicht mehr die unumschränkten Götter sind, sondern dass es normal ist, dass sich ein Spezialist in seinem Bereich besser auskennt als der Chef." Die Akzeptanz der Führungsriege beruhe häufig auf ihrem Fachkönnen und ihrem Einsatz und verliere sich, wenn Koordination und "menschliche Größe" gefragt seien.

Bei aller Kritik an den Führungsqualitäten der Startup-Gründer heben einige der Teilnehmer der Online-Diskussion auch die Vorzüge der New Economy hervor. Frank etwa warnt vor vorschnellen Urteilen: "Der Hype wie auch das Ende wurden viel zu schnell ausgesprochen. Man sollte die Möglichkeiten der jungen Firmen bedenken und ihnen auch eine Chance geben, sich zu entwickeln, bevor man sie zum Spott und vor den Augen aller steinigt." Schließlich ging es um Wachstum, Aufschwung, die Schaffung von Arbeitsplätzen und letztendlich auch um eine andere Art zu arbeiten. Auch Petra weist auf die positive Seite des Startup-Aufschwungs hin: So sei bewiesen worden, dass auch in Deutschland ideenreiche und motivierte Menschen ungeahnte Möglichkeiten hätten.

Diskutieren Sie mit uns!New-Economy-Frust oder Startup-Lust, beim zweiten Mal alles besser zu machen? Ob Sie nun schlechte oder gute Erfahrungen gemacht haben - schreiben Sie uns und diskutieren mit Gleichgesinnten über leere Versprechungen von Firmenchefs, enttäuschte Aktienhoffnungen oder neue Lösungsmöglichkeiten. Unser New-Economy-Forum finden Sie im Internet unter www.computerwoche.de oder www.youngprofessional.de. Die CW-Redaktion will auch offline mit ihren Lesern weiterdiskutieren und bietet darum zum Auftakt der CeBIT in Hannover ein Podiumsgespräch zum Thema "Nie wieder New Economy?" an. Die Veranstaltung beginnt am Donnerstag, 22. März 2001, um 14 Uhr im Zentrum für Jobs & Karriere der COMPUTERWOCHE in Halle 10 (5. Stock).

New-Economy-Frust: MeinungenIch kenne einige Startup-Vorstände und alle sind - menschlich gesehen - Versager. Sie demotivieren ihre Mannschaft absichtlich und unabsichtlich immer wieder aufs Neue. Und zwar, weil es ihnen zu Kopf gestiegen ist, sich Vorstand nennen zu können. Sie verlieren den Bodenkontakt und vergessen, dass ein Unternehmen auch ohne Vorstände gut laufen kann, aber niemals ohne Mitarbeiter!

Saskia Wiese

Vorstand werden kann absolut nicht jeder. Jeder, der es werden will, muss sich selbstkritisch fragen, ob er die Voraussetzungen dafür erfüllt. Das sind sehr wohl fromme Wünsche, und wenn man davon ausgeht, dass nur ein begrenztes Reservoir an fähigen Führungskräften zur Verfügung steht, kann man heute schon sehen, wohin die Reise geht - vor allem, weil immer mehr Firmen an die Börse ziehen.

M.

Ein "Oh yeah - wir sind ein tolles Team und arbeiten Tag und Nacht und auch am Wochenende" führt nicht zum Erfolg. Im Gegenteil: Wer die Distanz zum eigenen Tun verliert (und das ist leider oft der Fall), wird blind und rennnt wie ein gehetztes Tier, ohne zu wissen, wohin.

Barbara Schieche

Die ehemals hochgelobte New Economy hat Großes versprochen und davon leider nur wenig gehalten. Dies lag jedoch meist nicht an den Firmen, auch nicht (nur?) an den Vorständen und schon gar nicht an den Mitarbeitern, sondern zuerst einmal an der schlagartigen Veränderung der Marktlage. Dieser Wandel wurde zwar oft beschworen, konnte aber vorhergesehen werden. Wer anderes behautet, den fragen Sie doch einfach mal, wie viele Millionen er durch seine richtige Prognose verdient hat. Oder wusste er es nur und hat nicht gehandelt? Dann ginge es ihm wie den kritisierten Startups.

Frank