Programmatische Reden zum Schloßberg in St. Augustin:

GMD-Chef: Durchstarten mit dem Mut zur Lücke

23.10.1981

ST. AUGUSTIN - Eine im DV-Forschungssektor verbreitete "Gap-Hysterie" kritisierte Professor Dr. Norbert Szyperski auf dem alljährlichen Schloßtag der Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung, kurz GMD, in St. Augustin. Der neue Hausherr der Großforschungseinrichtung der öffentlichen Hand monierte und charakterisierte damit die Mentalität, die immer wie der nur "Löcker stopfen" wolle, nicht aber den Mut und die Kraft aufbringe, tragfähige Neukonstruktionen im Bereich Forschung und Entwicklung zu errichten. Notwendig sei es vielmehr, sich auf das für die Bundesrepublik im internationalen Zusammenhang strategisch Richtige zu beschränken heziehungsweise mit aller Kraft zu konzentrieren.

Vor einem geladenen Publikum von zirka 250 Gästen aus Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Verwaltung hatte zunächst der Bundesforschungsminister Dr. Andreas von Bülow gesprochen. Er forderte unter anderem, daß die Informationstechniker in den Forschungseinrichtungen und der Industrie das Gespräch mit dem Bürger und den Medien intensivieren und die berechtigten Sorgen der Bürger stärker beachten als bisher. Die "deutliche Verengung der Spielräume öffentlicher Haushalte und speziell des BMFT-Etats" hätten in der Daten- und Informationsverarbeitung zu Kürzungen führen müssen, die er gerne vermieden hätte.

Nicht ohne Restrisiken könnten wir die Vorteile der Informationsverarbeitungstechnik nutzen. Diesen Realismus müßten allerdings die Verantwortlichen aufbringen, um zu verdeutlichen, warum mitunter auch Nachteile in Kauf genommen werden müssen, um im ganzen Beschäftigungseinbrüche und Verluste an Wettbewerbsfähigkeit zu verhindern oder zusätzliche Beschäftigung durch Wettbewerbsvorteile zu erzeugen.

Forschungspolitische Arbeitsschwerpunkte sind nach den Worten des Ministers vor allem in fünft Bereichen zu setzen:

- Softwaretechnologie sei ein strategischer Ansatzpunkt, um die Beherrschung und Anwendung der Informationstechnik zu fördern.

- Systemtechnik und Gerätetechnologien, vor allem neuartige Rechnerarchitekturen, sollen gefördert werden.

- Mustererkennung, also Bild- und Sprachverarbeitung, ist dritter Schwerpunkt der Förderpolitik, vor allem im Hinblick auf die Bürotechnik der Zukunft.

- Der Anwendungsbereich Büro und Verwaltung bleibt bei der Förderung nicht unbeachtet.

Einschränkend versicherte Bülow jedoch, daß er generelle Anwedungsförderung von Informationsverarbeitungstechnik nicht für sinnvoll halte. Kritisch beobachte er den Leistungsstand derjenigen Herstellerfirmen, die sich im Büroautomationssektor stark machen. Für ihn bleibt jedoch die Frage unbeantwortet, ob es größere Forschungs- und Entwicklungskomplexe gibt, die Breitenimpulse für die betroffenen Branchen auslösen können, oder ob es sich hierbei nicht um unternehmensspezifische Produktentwicklungen handelt, die vom Unternehmen selbst zu finanzieren wären.

Die Budesregierung hat für die Förderung der fünf Forschungsschwerpunkte im Haushaltentwurf für 1982 55 Millionen Mark an Projektfördermitteln vorgesehen. Hinzu kommen die Mittel für die GMD; diese Mittel liegen nach Aussagen des Ministers in er gleichen Größenordnung.

Schwache Positionen aufgeben

Szyperski entwickelte in seiner Rede nach einer Analyse der strategischen Ausgangslage der Informationstechnologie im internationalen Zusammenhang und insbesondere der nationalen Situation die zukünftig zu lösenden Aufgaben. Aus nationaler Sicht müßten strategische Optionen gefunden und beurteilt, werden, die die Chancen bieten, in einem Ressourcen-Nachfrageland, wie es die Bundesrepublik ist, die wirtschaftliche und gesellschaftige Position zu halten und einseitige Abhängigkeiten unseres Landes aufzufangen. Um die knappen Ressourcen so effizient wie möglich einsetzen zu können, wäre es notwendig sein, starke Positionen zu halten und möglichst auszubauen, aber auch schwache Positionen aufzugeben.

Verstärkungen seien sicherlich nötig im Bereich der Very Large Scale Integration Entwicklung und Fertigung (VLSI), Wissenhandhabung im Sinne von Artificial Intelligence, Bürokommunikation etc. Durchgestartet werden sollte in den Bereichen der Computerarhitektur, der Assoziativspeicher und des System-Engineerings. Hier liegen Kenntnisse und Entwicklungen in der Bundesrepublik vor; im internationalen Wettbewerb bestehe aber die Gefahr, daß sich der nationale Stand verschlechtert.