Von API bis Two-Speed-IT

Glossar für die digitale Transformation

01.02.2017
Von 
Heinrich Vaske ist Editorial Director a.D. von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO.

Cognitive Computing

Cognitive Computing, so definiert der ITK-Branchenverband Bitkom, beschreibt selbstlernende IT-Systeme, die - auch natürlichsprachig - mit Menschen und anderen Computersystemen in Echtzeit kommunizieren, sich an frühere Interaktionen erinnern und eigenständig Schlüsse ziehen können. Dabei berücksichtigen sie ihr Umfeld und verarbeiten in hoher Geschwindigkeit große Datenmengen aus unterschiedlichsten Quellen. Kognitive Assistenten beantworten Fragen etwa im juristischen Umfeld, der medizinischen Diagnostik, in der Forschung oder der hochautomatisierten Produktion.

Wissenschaftler gehen nicht davon aus, dass alle menschlichen Denkfähigkeiten von der Maschine simuliert werden können, weshalb das Zusammenspiel von Mensch und Maschine hier den eigentlichen Fortschritt in der Wissensarbeit bringen soll. Doch der Bitkom warnt: "Das Verhältnis des Wissensarbeiters zu seinem Wissenswerkzeug wird sich radikal wandeln. Er wird neue Kompetenzen erwerben müssen, um seine Werkzeuge effektiv nutzen zu können. Und auch die Organisationen bleiben nicht verschont: Heutige Entscheidungswege werden ausgehöhlt, Arbeitsprozesse werden sich beschleunigen, Berufsprofile werden sich schleichend, aber stetig transformieren. Die genauen individuellen und organisationalen Auswirkungen sind derzeit schwer vorhersagbar. Aber die Veränderungen werden viele Menschen betreffen und tiefgreifend sein." (siehe auch den Bitkom-Leitfaden für Kognitive Maschinen)

Wie weit Cognitive Computing bereits fortgeschritten ist, zeigte Anfang 2016 der fünffache Sieg des Google-Programms "AlphaGo" gegen den Profispieler des asiatischen Brettspiels Go, Fan Hui. AlphaGo war von der Google-Tochter DeepMind als Kombination aus zwei Neuronalen Netzwerken und der sogenannten Monte-Carlo-Baumsuche (MCTS) geschaffen worden. Da Go den Spielern bei jedem Zug rund 200 Möglichkeiten einräumt und ein Spiel im Schnitt ebenfalls 200 Züge lang dauert, galt eine Automatisierung bis dahin als aussichtlos.

IBM nimmt sich für sich in Anspruch, mit seiner Watson-Technologie besonders weit zu sein: Sie kann demnach strukturierte und unstrukturierte Massendaten auswerten und interpretieren, dabei ständig hinzulernen und - basierend auf Persönlichkeit, Tonalität und Emotionen des Nutzers - Empfehlungen abgeben.

Der japanische Versicherer Fukoku Mutual Life will die Technik nutzen, um Unterlagen von Hospitälern sowie Ärzten auf Plausibilität zu prüfen. In die Schlagzeilen geriet das Projekt, weil 34 Mitarbeiter ihren Job verlieren sollen. Derweil nutzt das Rhön-Klinikum Watson, um seltenen, unerkannten Erkrankungen auf die Spur zu kommen. Dazu werden Patientendaten bis ins kleinste Detail auf Auffälligkeiten hin untersucht. Auch BMW forscht mit Watson Cognitive Computing, um Fahrerlebnisse stärker personalisieren zu können und Fahrerassistenzsysteme intuitiver zu gestalten.

Crowdsourcing

Das Auslagern von Dienstleistungen an freiwillige oder bezahlte Helfer im Netz nennt man Crowdsourcing. Der Begriff wurde 2006 von Jeff Howe ("Wired") geprägt, der einen Beitrag mit dem Titel "The Rise of Crowdsourcing" veröffentlichte. Kerngedanke ist es, die Schwarmintelligenz mit der Outsourcing-Idee und der Allgegenwart des Internet zu verbinden und beispielsweise Aufgaben rund um Innovations-, Produktions- und Entwicklungsprozesse in die "Crowd" auszulagern.

Der Ansatz hat zu Beginn große mediale Aufmerksamkeit erhalten, dabei aber nicht nur Freunde gefunden. Werden Dienstleistungen an interessierte, talentierte Menschen im weltweiten Netz vergeben, kann das ganze Berufsgruppen massiv unter Druck setzen. Man denke beispielsweise an Grafik- und Design-Experten, Softwaretester oder Fotografen, die durch billige Konkurrenz aus dem weltweiten Netz teilweise ihre Existenzgrundlage verloren haben.

Unternehmen nutzen den Crowdsourcing-Ansatz heute häufig für ihren Innovationsprozess, sprechen aber lieber von Open Innovation. Sie möchten neue Umsatzquellen erschließen oder im Zuge der Digitalisierung datenbasierte Geschäftsmodelle entwickeln. Dafür wollen sie den Ideenreichtum möglichst vieler Akteure anzapfen. Innovationen entstehen nicht nur im eigenen Unternehmen und dessen Netzwerk, sondern vor allem in Zusammenarbeit mit industrie- oder unternehmensfremden Ökosystemen.

Wer nach Beispielen für solche innovativen Projekte sucht, wird beispielsweise auf der Open-Innovation-Plattform "Innovationskraftwerk" fündig, die aus der Standortinitiative "Deutschland - Land der Ideen" erwachsen ist. Dort ist etwa zu lesen, wie die Wella GmbH einen mit 13.000 Euro ausgeschriebenen Wettbewerb zum Thema neue Haarpflegeprodukte und Friseurbedarf initiiert hat. Der Paketdienstleister Hermes ließ sich die "Dienstleistungen der Zukunft" von der Crowd entwerfen und SGL Carbon sammelte Ideen, welche Produkte sich mit dem hochsoliden Verbundwerkstoff Carbon-Beton herstellen lassen.

Customer Insights

Der Tanz um den vernetzten Kunden steht klar im Mittelpunkt aller Digitalisierungsbemühungen. Begriffe wie Customer Experience Management, Customer Journey oder Customer Lifetime-value - um nur drei zu nennen - bezeichnen gängige Termini in Marketing- und Vertriebsabteilungen. Deren Ziel ist es, vorhandene und potenzielle Kunden auf möglichst allen digitalen Kanälen und an jedem denkbaren Kontaktpunkt ("Touchpoint") zu erreichen und zum Kauf von Produkten, Downloaden von Inhalten, Abonnieren von Newslettern, Teilnehmen an Gewinnspielen oder vielfältigen anderen Aktionen zu bewegen (Customer Engagement).

Da immer mehr Konsumenten im Internet generell oder im Social Web ihre Spuren hinterlassen, können sie gemäß ihrem Verhalten oder ihrer Interessen verfolgt, analysiert und angesprochen werden (Targeting). Dabei lässt sich die Kontaktaufnahme beliebig aussteuern, nachvollziehen und vermessen. Das digitale Marketing ist bereits zu einer kleinen Wissenschaft geworden, doch die Ziele sind altbekannt: Immer geht es darum, neue Kunden zu gewinnen, Bestandskunden zu halten, den Umsatz je Kunde zu erhöhen und - im besten Fall - Kunden zu begeisterten Botschaftern einer Marke zu machen.

In der Praxis tun sich viele Unternehmen, die schon lange am Markt sind, immer noch schwer damit, ihrer Klientel eine optimale Channel-übergreifende Customer Experience zu bieten. Unflexible Abteilungsstrukturen (Silos) verhindern strukturiertes, koordiniertes Vorgehen. Datenbestände liegen nur fragmentiert vor, und die Systeme in Abteilungen wie Vertrieb, Marketing und Support sind oft mangelhaft oder gar nicht integriert. Damit wird die Analyse von Kundendaten über physikalische und virtuelle Kontaktpunkte hinweg schwierig oder unmöglich.

Sichtbar wird das beispielsweise, wenn im Webshop des bevorzugten Einzelhändlers unsinnige Empfehlungen zu Einkäufen gemacht werden, obwohl der Kunde dort im stationären Handel seit Jahren einkauft. Oder wenn die Beantwortung einer Beschwerde im Web Tage oder Wochen dauert, weil der zuständige Experte die Kundenhistorie nicht kennt. Oder wenn Kundenanfragen auf einer Fanpage bei Facebook gar nicht erst beantwortet werden.

Der Druck auf die Marketing-Abteilungen ist immens. Die digitalen Kanäle sind zunehmend die erste Anlaufstelle für Kunden. Die Berater von McKinsey haben errechnet, dass schon in diesem Jahr rund die Hälfte aller Kaufentscheidungen weltweit durch das Web beeinflusst wird. Hinzu kommt, dass das digitale Marketing ein Moving Target ist: Jeden Tag ändern sich die Möglichkeiten, mit denen Kunden angesprochen, zu Engagements bewegt und in ihrem Verhalten analysiert werden können.

Zunehmend spielen Instrumente eine Rolle, die den Kunden ganzheitlich erfassen und auch seine Gefühlswelt durchleuchten. Beispiel dafür ist die sogenannte Empathie-Karte, ein vom US-Beratungshaus Innosight entwickeltes Tool. Es zielt darauf ab, Aufgaben, Probleme und Bedürfnisse der Kunden möglichst vollständig zu erfassen. Es gilt herauszufinden, was der Kunde denkt und fühlt, was er liebt und hasst, was ihm Sorgen bereitet und wonach ihm gelüstet. So entstehen Kundenprofile die sich optimal mit dem eigenen Produkt- und Service-Angebot abgleichen lassen.

Manche Unternehmen stellen sich heute bereits komplett von außen nach innen auf oder bauen sich demgemäß um (Outside-in). Sie beteiligen ihre Kunden an der Produkt-, Service- und Markenentwicklung, indem sie an den Touchpoints kommunzieren und Emotionen aufbauen. Die Konzentration liegt nicht mehr auf zentralen Ansagen und hierarchischen Strukturen, sondern auf effektiver "Beziehungsarbeit mit dem Kunden". Das Web öffnet die Tore dafür, da das Verhalten der Kunden beobachtet und analysiert werden kann und die Kontaktaufnahme keine Barriere mehr darstellt.