Globale Helpdesks erfordern viel Planung

09.06.2006
Die zunehmende Komplexität gefährdet vor allem die Ticket-Weiterleitung und den Wissenstransfer.
Bei Bayer Business Services werden nur A-Level-Anrufe in den lokalen Helpdesks bearbeitet. Komplexere Anfragen übernehmen regionale und globale Teams.
Bei Bayer Business Services werden nur A-Level-Anrufe in den lokalen Helpdesks bearbeitet. Komplexere Anfragen übernehmen regionale und globale Teams.

Der Konsolidierungstrend macht auch vor dem Helpdesk nicht halt. Eine globale Serviceorganisation, deren Prozesse, Service-Level-Agreements (SLAs), Kennzahlen und Remote-Tools für alle Länder im Idealfall von einer einzigen Plattform gesteuert werden, bewirkt Synergieeffekte und hilft, Kapazitäten besser ausnutzen und Engpässe zu vermeiden.

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Der Weg zum globalen Helpdesk

• einheitliche Support-Strukturen schaffen;

• Prozesse und Tools standardisieren;

• Abläufe institutionalisieren;

• zentrale Wissensdatenbank implementieren;

• Administratoren und Agenten intensiv schulen;

• Kultur-Workshops veranstalten:

• Helpdesk-Mitarbeiter aktiv in das Vorhaben einbinden.

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569639: Gegentrend: Dezentraler Helpdesk;

569089: Itil wird zum Helpdesk-Standard.

Wie länderübergreifender IT-Support aussehen kann, zeigt das Beispiel Bayer AG, deren IT-Dienstleister Bayer Business Services (BBS) seit drei Jahren einen internationalen Servicedesk mit dreistufiger organisationsstruktur für die weltweit rund 80 000 Anwender des Konzerns betreibt (siehe Grafik "Organisation eines globalen Servicedesks").

Voraussetzung für die Schaffung einheitlicher Supportstrukturen auf globaler Ebene ist die Standardisierung aller Helpdesk-Tools und -Prozesse. "Wichtig ist dabei, die Abläufe zu institutionalisieren, also sicherzustellen, dass alle Tickets weitergeleitet werden und jeder Helpdesk-Mitarbeiter die jeweilige Klassifizierung versteht", betont Astrid Surmann, Leiterin des Servicedesks von BBS. Neben Itil-Schulungen (IT Infrastrucure Library) in den einzelnen Ländern sei ein zentrales Knowledge-Management-System daher unerlässlich.

Zu neuen Strukturen gezwungen

Insgesamt handelte es sich bei der Neuausrichtung um einen "extrem aufwändigen Prozess, der bis heute nicht abgeschlossen ist", fasst die Servicedesk-Leiterin zusammen. "Die einzelnen Länder hatten ja zum Teil völlig heterogene Supportlandschaften - unterschiedliche Komponenten, Betreuungsformen und Standards." Dass sich Bayer der Mammutaufgabe trotzdem stellte, lag nicht zuletzt an der Umwandlung des Konzerns in eine Holding, aus der diverse GmbHs hervorgingen, die BBS heute als Kunden bedient. "Damit waren wir zu einer übergreifenden Supportstruktur gezwungen", so Surmann.

Helpdesk bestellt Taxi

Vor ähnlichen Herausforderungen steht die Wacker Chemie AG, die vor einem Jahr begonnen hat, ihre einzelnen User-Helpdesks zu einem zentralen, virtuellen Servicedesk zu konsolidieren: Angesichts einer gewachsenen Struktur mit überwiegend regionalem Fokus waren über Jahre hinweg diverse Servicemodelle für die rund 20 Produktionsstätten und 100 Tochterunternehmen entstanden, durchgehende Prozesse fehlten.

Nach Ansicht von Martin Rasch, Leiter des globalen User-Supports bei Wacker, lohnt der Aufwand aber - schon allein, um das Problem der verschiedenen Zeitzonen in den Griff zu bekommen. "Um weltweiten Anforderungen gerecht zu werden, brauchen wir einen Helpdesk, der rund um die Uhr besetzt ist", fordert Rasch.

Entscheidend für einen funktionierenden globalen Servicedesk sind gute Fremdsprachenkenntnisse. Allerdings kann man in manchen Ländern nicht einmal Englisch voraussetzen. Vor allem Japan bereitet in dieser Hinsicht Probleme: "In Japan sprechen wenige Leute Englisch, dadurch ist es viel schwieriger, Mitarbeiter zu schulen, als in China oder Thailand", so Surmann. BBS plane zwar, die globalen Strukturen noch in diesem Jahr in Japan auszurollen: "Ehrlich gesagt weiß ich aber noch nicht, wie wir das hinkriegen sollen."

Auch kulturelle Unterschiede erschweren die Konsolidierung: So hat sich die Problemlösung über Web-basierende Q&As in den USA mittlerweile als wirksame Methode etabliert, die Zahl der Tickets zu reduzieren - zumindest bei einfachen Office-Problemen. In Europa ist die Resonanz auf Self-Service-Tools dagegen noch sehr schwach. Überhaupt haben die Beschäftigen in manchen Ländern recht eigene Vorstellungen von den Aufgaben des IT-Supports: "In Großbritannien erleben wir es sogar, dass Mitarbeiter beim Servicedesk anrufen, um ein Taxi zu bestellen", so Surmann. In Asien bereitet higegen die hohe Fluktuation Sorge: "Die asiatischen Agenten identifizieren sich nicht mit ihrem Arbeitgeber, sie nutzen ihn als Sprungbrett für andere Jobs", warnt Rasch. Erschwert wird die Expansion auch durch Security-Aspekte und den mangelnden Schutz geistigen Eigentums: "Wir werden in diesen Ländern regelrecht ausspioniert", so der Wacker-Manager.

Tatkräftige Asiaten

Trotz solcher Hürden kommen Bayer und Wacker Chemie im Asien-Pazifik-Raum mit der Helpdesk-Konsolidierung am schnellsten voran. Die "hemdsärmelige" Art der Asiaten trage dazu bei, Projekte voranzutreiben, meint Wacker-Mann Rasch: "Dass Vereinbarungen nicht viel zählen, hat auch sein Gutes - etwa wenn ein Agent, dessen Vertrag ab dem neuen Jahr gültig ist, schon im November anfängt, weil Not am Mann ist." Kulturelle Unterschiede versucht Wacker in Workshops mit Mitarbeitern aus allen Regionen auszugleichen. Nach Ansicht von Rasch lässt sich damit das gegenseitige Verständnis fördern und ein "Wir-Gefühl" schaffen.

Fremdsprachenprobleme

Konsolidierung ist allerdings nicht immer der Königsweg, wie das Beispiel Schüco International zeigt. Der mittelständische, weltweit agierende Fassadenspezialist beliefert seine Kunden - vorrangig Handwerksbetriebe - mit Hardware und Netzinfrastruktur sowie mit einer technisch-kaufmännischen Spezialsoftware samt Support, Beratung und Schulungen. Da Schüco die hochkomplexe Software mittlerweile in 20 Sprachversionen in mehr als 30 Ländern vertreibt, ist der internationale Support geschäftsentscheidend.

Eine Zentralisierung des Helpdesks ließ sich angesichts der begrenzten finanziellen Mittel jedoch nicht stemmen. "Unsere Hotline ist nur zu 60 bis 70 Prozent erreichbar - eine Katastrophe", beschreibt IT-Support-Leiter Uwe Stebner das Problem. Die Technik werde den Anforderungen an einen globalen Helpdesk ebenfalls nicht gerecht: "Ich schätze die Verfügbarkeit des Systems auf höchstens 90 Prozent." Zudem verlangt die spezielle Kundenstruktur nach einem Support vor Ort: "Die Handwerker sprechen ja kein Englisch und sind auch für fremde Kulturen nicht besonders offen", begründet Stebner.

Regionale Stützpunkte

Schüco entschied sich daher für den Aufbau regionaler Stützpunkte und einen dezentralen Support über Call-Center und Helpdesks. Damit entfallen sprachliche und kulturelle Barrieren sowie das Zeitzonenproblem. Zudem kann der Fassadenbauer seinen Kunden zumindest in der Anfangsphase einen persönlichen Ansprechpartner zur Verfügung stellen und damit die Kundenbindung erhöhen - ein bei komplexen Anfragen entscheidender Aspekt. (sp)