Telecom-Markt/Für Anbieter gilt: Differenzierung statt "me too"

Global Services erleben eine Renaissance

05.04.2002
Das gute, alte Wide Area Network (WAN) hat längst noch nicht ausgedient. Global aufgestellte Unternehmen haben wie eh und je das Problem der Standortanbindung. Erst recht im Zeichen von Internet-Kommunikation und IP-basierender Telefonie. Netzsicherheit und das berühmte One-Stop-Shopping spielen bei der Auswahl des Dienstleisters nach wie vor eine zentrale Rolle. Von Micheline Wens*

Wird der Horizont wirklich heller? Jedenfalls häufen sich die Meldungen, die im Dunkeln zumindest Mut machen sollen. So berichtet der Deutsche Multimedia Verband (DMV), dass die Umsatzzahlen im Internet-Dienstleistungsbereich seit Ende 2001 wieder deutlich nach oben gehen. Spätestens im zweiten oder dritten Quartal 2002 werde sich der Aufschwung einstellen.

Wie realistisch solche Prognosen auch immer sein mögen - das Ende der Dotcom-Krise ist sicher eine Voraussetzung für die Belebung des gesamten TK-Marktes. Allerdings nur eine von mehreren. Ein wichtiger Grund der akuten Schwierigkeiten der TK-Branche sind die ruinösen Preiskämpfe, die nach der Liberalisierung in wichtigen Sektoren ausbrachen. Diese wiederum sind Ergebnis einer verbreiteten Me-too-Strategie, die teilweise gewaltige Überangebote schuf. Das begann bei der Telefonie - mit dem Resultat, dass beispielsweise die Tarife für Auslandstelefonate auf den zehn wichtigsten Hauptstrecken seit 1998 bis zu 95 Prozent gesunken sind. Für den Kunden erfreulich, für viele Anbieter jedoch Ursache ihres finanziellen Ruins.

Neuer Boom der DatenkommunikationBei der Datenkommunikation hat sich diese Entwicklung zum Teil wiederholt. Sie hat seit Anfang des Jahrzehnts die Sprachkommunikation überholt und soll sich aktuellen Prognosen zufolge exponentiell weiterentwickeln: laut Giga Group von 177000 Terabyte im Jahr 2000 auf 2,5 Millionen Terabyte im Jahr 2005. Der weltweite Sprachverkehr dürfte demnach im selben Zeitraum eher moderat von 117 Milliarden auf 160 Milliarden Minuten wachsen (siehe Abbildung Seite 45).

Investitionen wurden deshalb zunehmend in die Datenkommunikation umgelenkt, und zwar vor allem in die reine Übertragungskapazität. Deutschland als weltweit drittgrößter Telekommunikationsmarkt war für die Investoren besonders attraktiv. In Erwartung hoher Traffic-Zuwachsraten haben hier mehr als ein Dutzend Unternehmen in den vergangenen Jahren hochleistungsfähige Glasfaserkabel verlegt - nach Angaben der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post (Reg TP) bis heute insgesamt 286000 Kilometer. Und wieder dominierte besagter Me-too-Effekt: Die meisten Anbieter konzentrierten sich auf die wichtigsten Strecken in und zwischen den Ballungsgebieten, wo sie Leitungen mit hohen Übertragungsraten (2 MB und mehr) anbieten.

Bei geschätzten Kosten von rund 500 bis 800 Euro pro verlegtem Meter in den Metropolen wurden gewaltige Investitionen regelrecht verbuddelt. Mit dem Beginn der Internet-Krise jedoch blieb der erhoffte Zuwachs an Traffic aus.

In Konsequenz daraus besteht heute ein enormes Überangebot an Bandbreite auf den Hauptstrecken. Mehr als 90 Prozent, bei manchen Anbietern sogar 99 Prozent der vergrabenen Dark Fibers sind ungenutzt. Das heißt: Jeder Euro zusätzlicher Umsatz trägt hier zur Kostensenkung bei - was wiederum Preisangeboten Vorschub leistet, die durch keine seriöse betriebswirtschaftliche Kalkulation gedeckt sind. Nicht umsonst prägten in letzter Zeit zahlreiche Insolvenzen von TK-Unternehmen die Schlagzeilen.

Doch nicht nur die Dotcom-Krise hat die Entwicklung des Datenverkehrs gebremst. Während in allen Industrieländern die Strecken zwischen den Metropolen mit Bandbreite überversorgt sind, blieben traditionell strukturschwache Regionen (beispielsweise in Südeuropa oder Lateinamerika) ebenso unterentwickelt wie die Anschlüsse in der Fläche.

Letzte Meile ist nach wie vor teuerSinkenden Preisen auf den Hauptstrecken stehen in den Industrieländern nach wie vor extrem hohe Kosten für die "letzte Meile" gegenüber, die die Gesamtausgaben wieder steigen lassen. Deshalb haben viele Unternehmen geplante Netzprojekte zurückgestellt - wiederum zu Lasten des Datenaufkommens und der wirtschaftlichen Gesundung der Branche.

Gerade multinationale Unternehmen stehen deshalb derzeit vor einer paradoxen Situation. Zwischen den großen Städten können sie auf ein Überangebot an Bandbreite zu niedrigsten Preisen zurückgreifen - aber nur 20 Prozent der Belegschaften arbeiten in diesen Lokationen, wie David Neil, Gartner-Vice-President, in seiner Studie "The Global Networking Market" festgestellt hat. Die wachsende Zahl derjenigen, die in kleineren Niederlassungen, von unterwegs oder zu Hause arbeiten, ist nach wie vor unterversorgt.

Große Hoffnungen werden in diesem Zusammenhang auf den neuen Mobilfunkstandard UMTS gesetzt. Aber noch ist nicht absehbar, wann hier erste Lösungen angeboten werden. Eine gewisse Erleichterung könnte die Überbrückung der "letzten Meile" mit GPRS bringen. Hier gibt es etwa in Japan schon vielversprechende Beispiele. Die Schlüsselfrage bleibt jedoch, wie Unternehmen aus ihren insgesamt nach wie vor knappen WAN-Ressourcen das Beste machen können.

Sind also wieder einmal goldene Zeiten für multinationale Provider angebrochen, nachdem einige der einst mit viel Vorschusslorbeeren gestarteten "Dinosaurier"der Branche, zum Beispiel die Gemeinschaftsunternehmen Global One oder Concert, inzwischen ein unrühmliches Ende gefunden haben? Die Antwort lautet ja und nein. Es kommt auf das Konzept an, denn die Vergangenheit hat gezeigt: Diejenigen multinationalen Anbieter, die auf die Bereitstellung reiner Bandbreite setzten, haben erhebliche Schwierigkeiten oder sind bereits vom Markt verschwunden. Aber auch die eben erwähnten Joint Ventures mit einem differenzierteren Angebot haben sich nicht als "Winning Concept" erwiesen.

Die bekannten Zusammenschlüsse großer TK-Unternehmen litten unter zwei Belastungen. Erstens wurden sie meist aus defensiven Erwägungen gegründet: Den Partnern ging es vor allem darum, die jeweils anderen aus ihren Heimmärkten fernzuhalten. Ein solches Motiv ist jedoch keine gute Grundlage für eine offensive und innovative Marktstrategie. Zweitens litten sie unter erheblichen Integrationsproblemen sowohl bei den Netzen als auch bei ihren Mitarbeitern. Deutlich formuliert dies die jüngste Telemark-Umfrage (Oktober 2001), die alle drei Jahre unter mehr als 500 IT- und Datennetz-Managern in 30 Ländern durchgeführt wird: "Viele der Allianzen und Partnerschaften haben anscheinend Koordinationsprobleme, wenn sie nahtlosen (internationalen) Service liefern sollen."

Große Allianzen haben ausgedientDie Zeit großer Allianzen ist ohnehin vorbei. Die verschiedenen Gesellschaften setzen heute auf eigene globale Strukturen oder die Dominanz bei Käufen. Aber ein wirklich funktionierendes internationales TK-Unternehmen aufzubauen ist nicht allein eine Frage des Geldes. Globale Netze können nur durch enge Zusammenarbeit mit dem Kunden an den verschiedenen Standorten betrieben werden. Erfolgreich sein werden deshalb künftig nur TK-Unternehmen, die keine standardisierten Produkte wie Bandbreite anbieten, sondern sich durch Mehrwertdienste und Service differenzieren.

Welche Serviceaspekte dabei besonders wichtig sind, nennen globale Unternehmen detailliert in der schon erwähnten Telemark-Umfrage, die den Kundenbedarf über Jahre hinweg beobachtet hat. An erster Stelle stehen die Zuverlässigkeit des Netzes sowie ein effizienter Fehlerbehebungs-Prozess bei Störungen und hohe Verfügbarkeit.

Diese Prioritäten haben ihren guten Grund. Zum Verständis der Kundenanforderungen gehört darüber hinaus, dass die wechselseitige Abhängigkeit zwischen den konkreten Anwendungen und dem Netz genau analysiert und die Netzstruktur darauf zugeschnitten wird. Und End-to-End-Management impliziert, dass der TK-Anbieter dem Kunden auch jenseits der gut versorgten Metropolen kurzfristig neue Knoten bereitstellt und alle dazu notwendigen Prozesse mit den lokalen PTTs abwickelt. Wie sonst soll beispielsweise ein internationales Chemieunternehmen, das in landwirtschaftlich geprägten, somit kommunikationstechnisch wenig erschlossenen Regionen seine Pflanzenschutzmittel anbietet, in neue Märkte vordringen?

All diese Anforderungen kann ein Netzbetreiber nicht "remote" von einem beliebigen Standort aus managen. Vielmehr muss er Struktur und Entwicklungsgeschichte der jeweiligen Kundennetze genau verstehen und vor Ort die notwendige Unterstützung anbieten.

Was bleibt festzuhalten? Das Ende der Konsolidierungsphase im TK-Markt zeichnet sich ab. Vor allem internationale Unternehmen dürften mit ihrem hohen Kommunikationsbedarf einen Investitionsschub auslösen: Gartner rechnet damit, dass nach Auflösung des Investitionsstaus der WAN-Verkehr dieser Unternehmen bis 2005 um jährlich 300 Prozent zunehmen wird.

Angesichts der hohen strategischen Bedeutung der internationalen Kommunikation für ihr Kerngeschäft müssen Unternehmen vor allem an langfristig stabilen Kooperationen mit gesunden Partnern interessiert sein, die individuelle Services anbieten können. David Neil von Gartner: "Bei der Wahl ihrer globalen Provider sollten Unternehmen die Servicequalität in den Vordergrund rücken. Der Preis ist wichtig und wird es immer sein - aber ein billiges Netz, das den Anforderungen eines Unternehmens nicht genügt, ist ein schlechtes Geschäft." Dem ist nichts hinzuzufügen. (gh)

*Micheline Wens ist Geschäftsführerin der Infonet Network Services GmbH in Frankfurt am Main.

InfonetInfonet Services Corp. mit Sitz in El Segundo, USA, bietet seit über 30 Jahren globale Kommunikationslösungen für multinationale Unternehmen an. Mehr als 2600 Kunden weltweit nutzen die Netzdienste der Kalifornier. Infonet betreibt das "World-Network-Backbone" mit Service- und Supportzentren in über 70 Ländern und beschäftigt mehr als 1500 Mitarbeiter. Der Umsatz des Unternehmens betrug im Jahr 2001 rund 662 Millionen Dollar. Die Infonet Network Services Deutschland GmbH wurde 1988 in Frankfurt am Main gegründet. Sie betreut als Vertriebs- und Supportorganisation mit rund 80 Mitarbeitern zirka 400 multinationale und nationale Kunden. Die Deutsche Telekom AG hält mit 82 Prozent die Mehrheit an der Gesellschaft, die restlichen Anteile gehören der Infonet Services Corp.

Link zur Telemark-Studie:

www.telemark.uk.com

Beispiel VolkswagenWie sehr das Kerngeschäft internationaler Unternehmen heute von der Qualität ihres Netzes abhängt, belegt das Beispiel Volkswagen. Die Werke an den jeweiligen Standorten stellen standardisierte Aggregate wie etwa Motoren oder Getriebe her. Durch die Vernetzung von rund 60 Standorten können in einem globalen Entwicklungsverbund Projekte kontinuierlich bearbeitet werden. So wird etwa weltweit auf Motorenprüfstände zugegriffen.

Ein solches Konzept ist nach Aussage von Klaus Schulz, Leiter Kommunikationssysteme bei der Volkswagen AG, nur mit einem hochverfügbaren, homogenen Netz zu realisieren, das alle Standorte abdeckt und einschließlich aller Komponenten und Systeme von einem einzigen Dienstleister betrieben wird (seit über drei Jahren von Infonet). Auch ein aussagekräftiges Reporting, das beispielsweise genaue Informationen über die Netzauslastung liefert und ein proaktives Trouble-Ticketing anbietet, ist ihm wichtig. Und ganz entscheidend ist die Möglichkeit, im Frame-Relay-Netz unternehmenskritische Anwendungen zu priorisieren.

Abb: Daten- und Sprachaufkommen im Vergleich

Vieles spricht dafür, dass die erste Dekade im neuen Jahrhundert ein Jahrzent der Datenkommunikation wird. Quelle: Giga Group