"Gibt es ein Herrschaftswissen der EDV?"

09.01.1981

Wenn, einem Shakespeare-Zittat zufolge, Wissen gleich Macht ist, dann müßte es irgendwo Herrschaftsstrukturen geben, in denen sich das geflügelte Wort bestätigt findet. Und in der Tat erhebt man gegen die Spezialisten der Informatik oft den Vorwurf, durch ihr großes Fachwissen in Sachen Computer einen solchen Machtfaktor zu verkörpern. Dort wo EDV-Systeme angeschafft werden und man dabei das Wirtschaftsleben nachhaltig verändert, sind die Technokraten mit ihrem elitären Know-how am Werk.

Ich vermute, daß, wenn es um die Anschaffung von Computern geht, nicht wenige Firmenchefs etwa so empfinden: Sie verspüren ein Gefühl der Ohnmacht, verbunden mit der grimmigen Entschlossenheit, doch in irgendeiner Form zu beweisen, daß sie nicht ohne weiteres überspielt werden können. Der Vorstandsvorsitzende wird beispielsweise nicht müde, zu erklären, daß er von Computern nichts verstünde, aber über ausgezeichnete Fachleute verfüge, denen er uneingeschränkt vertraue - und während er das beteuert, erschwert er die anstehenden Verhandlungen mit überspitzten Forderungen auf Gebieten, wo er in der Tat fachkundig ist: Zahlungsbedingungen, Lieferfrist-Garantien etc.

Manipulierte Chef-Entscheidung

Dann gibt es den Firmeninhaber, der mit gezielten Fragen über alle möglichen und unmöglichen Einzelheiten Tritt zu fassen versucht, dabei aber kaum eine Chance hat, die wesentlichen Punkte herauszufinden oder den Kern der Sache zu treffen. Der Redegewandtheit eines fachkundigen Vertriebsmannes ist er in der Regel nicht gewachsen - und so erfolgt die Auftragsvergabe mehr aus Verwirrung als aus präziser Kenntnis.

Nicht viel besser dran ist, wer eine Beratungsfirma mit der Auswahl des richtigen Computermodells beauftragt. Der lnhaber ergänzt die Reihe der Technokraten durch einen weiteren, dem er auch noch Geld bezahlen muß. Selbst für den glücklichen Besitzer eines Computers kommt unweigerlich die Stunde, wo der zuständige Mitarbeiter ihm mit minuziöser Akribie erläutert, daß für das geplante und von der Geschäftsleitung mit höchster Priorität versehene Projekt einer Online-Auftragsbearbeitung die derzeitige Systemkapazität nicht ausreicht. Das habe eine genaue Analyse jetzt ergeben. Die mit dem Hersteller diskutierten Abhilfen zeigten zwei Alternativlösungen. Entweder müsse das System auf das Modell X/1 aufgerüstet werden oder man müsse die Anlage um die wesentlichen Komponenten so ergänzen, daß jede wichtige Einheit doppelt vorhanden ist. Im ersten Fall wäre der ermittelte Leistungsmehrbedarf von rund 35 Prozent mit einer tatsächlichen Mehrleistung von 45 Prozent genügend abgedeckt. Sogar die erforderliche Hauptspeichererweiterung ist in der Investition - sie beträgt rund 525 000 Mark - noch enthalten. Er - der Rechenzentrumsleiter - würde jedoch die zweite Alternative vorschlagen, also die Verdoppelung vitaler Aggregate. Das würde nämlich mit einer Leistungssteigerung von 80 Prozent ausreichende Reserven für die Zukunft schaffen und, wichtigster Punkt: Mit einem Systemausfall sei aufgrund der erzielten Redundanz kritischer Teile nicht mehr zu rechnen. Die erforderliche Investition betrüge zwar 730 000 Mark, 200 000 Mark mehr als im ersten Fall, doch die gewonnen Leistungsreserven und die Sicherheit gegen Ausfälle rechtfertigen diesen Aufwand.

Wenn der Experte dem Vorstand gegenüber so argumentiert, kann letzterer sich beglückwünschen. Hier werden ihm in plausibler Diktion echte Entscheidungshilfen geboten. Es könnte aber genausogut geschehen, daß der Fachmann die Story anders auftischt. Beispielsweise so: "Die Online-Auftragsabwicklung ist fertig programmiert, wir beginnen jetzt termingerecht mit der Installation der Terminals in den Fachabteilungen. Aber entgegen der ursprünglichen Planung haben wir nach sorgfältiger Absprache mit den Benutzern eine wesentliche Funktionserweiterung vorgesehen. In den Abschlußtests hat sich dann gezeigt, daß wir dadurch eine höhere Systemleistung benötigen. Wenn wir die erwünschte Funktionalität und darüber hinaus vertretbare Antwortzeiten am Bildschirm erreichen wollen (und das wollen wir), können wir nicht umhin, unsere Anlage auf das Modell X/1 aufzurüsten. Die Mehrkosten betragen . . ." und so weiter.

Ob der Entscheidungsträger jetzt wohl merkt, daß die Nebelwerfer in Aktion treten? Denn offenbar soll doch verschleiert werden, daß die untere Ebene bei der seinerzeitigen Projektplanung von völlig falschen Voraussetzungen ausging und die Systemleistung nach der Formel "Pi mal Daumen" kalkulierte. Es dürfte dem Manager allerdings schwerfallen, die Hintergründe konkret auszuloten und zu beurteilen.

Karrieredenken erkennbar

Kann ein Geschäftsführer unterscheiden, ob ihm ein Entschluß gewisser Sachzwänge nahegelegt wird, oder ob möglicherweise ein persönliches Karrieredenken dahintersteckt? Da wird beispielsweise ermittelt, daß das technischwissenschaftliche Ressort monatlich 15 000 Mark für EDV-Arbeiten "außer Haus" - in einem Lohnrechenzentrum also - budgetiert. Die Firma verfügt zwar selbst über einen Computer, der für kommerzielle Aufgaben eingesetzt wird und sich in der bestehenden Form für technisch-wissenschaftliches "Time Sharing" oder auch für die "interaktive Programmentwicklung" nicht eignet. Die Wissenschaftler legen dem Vorstand einen Investitionsantrag vor, in dem sie einen Ressort-eigenen Rechner für ihre autonom abzuwickelnden Aufgaben verlangen. Kostenpunkt: 1,2 Millionen. Der Aufwand, so wird argumentiert, sei in zirka 5 Jahren amortisiert.

Der Rechenzentrumsleiter, der die bestehende kommerzielle Anlage betreibt, macht's billiger Vom Vorstand zur Stellungnahme aufgefordert, will er nachweisen. daß die vorhandene Anlage für nur Dreiviertel der geforderten Summe mit neuartiger Software (und etwas Speicher-Erweiterung) so weit aufrüstbar sei, daß sie die von der Technik aufgelisteten Forderungen ebenfalls erfüllt. Man brauche keinen zusätzlichen Computer.

Der Vorstand wird sich wahrscheinlich für den kostengünstigeren Weg entscheiden. Er kann nicht wissen, daß sein Rechenzentrumsleiter nur deswegen gegen ein neues System argumentiert, weil diese Anlage, wurde sie angeschafft, nicht unter seine Jurisdiktion fiele, sondern unter separater Leitung im technischen Bereich zur Aufstellung käme - und dagegen hat er was. Sein Vorschlag, die alte Anlage softwaremäßig zu erweitern, ist zwar billiger, birgt aber die Gefahr von Engpässen und bietet den Technikern, Wissenschaftlern und Forschem bei weitem nicht das zukunftssichere Potential, das sie auf Dauer brauchen.

Die EDV-Experten wissen das - der Chef, als relativer Laie, hat Glück, wenn er dahinterkommt.