BDE-Konzept kann nicht auf der grünen Wiese aufsetzen, denn:

Gewachsene DV-Struktur ist zu berücksichtige

13.11.1987

Betriebsdatenerfassung (BDE) hat heute in vielen Anwenderbetrieben noch einen Inselstatus. Dabei wären die technischen Mittel zur Realisierung eines voll integrierten DV-Konzepts bereits vorhanden. Harald Schmid* beschreibt in seinem Beitrag den Aufgabenbereich eines BDE-Systems und zeigt die erforderlichen hard- und softwaretechnischen Voraussetzungen auf.

Ein Wirtschaftsunternehmen, das sich bis zu einem bestimmten Grad technisch organisiert hat, kann bei der Einführung von BDE-Systemen nicht mehr auf der grünen Wiese anfangen. Es gibt zwar in den verschiedenen Bereichen eines Unternehmens die Möglichkeit, Systeme relativ genau voneinander abzugrenzen und lediglich technische Schnittstellen einzuhalten, doch gilt dies nicht für das BDE-System. So stellt sich vorerst die Frage, welchem Unternehmensbereich ein BDE-System zugeordnet sein soll, beziehungsweise ob nicht bereits viele (Betriebs-) Datenerfassungssysteme bestehen.

Der Disponent in der Fertigung will zum Beispiel jederzeit Informationen abrufen können, die ihm Aufschluß darüber geben, an welchem Arbeitsplatz sich die Aufträge gerade befinden und welchen Status sie erreicht haben. Auch der Vertriebsmann möchte dem Kunden am Telefon ad hoc eine spezielle Versandart bestätigen und gegebenenfalls eine Änderung sofort veranIassen, während der Auftrag schon im Versand bearbeitet wird. Der Personalsachbearbeiter fordert, jederzeit über den Stand der an- und abwesenden Mitarbeiter per Bildschirm Kenntnis zu erlangen. Der Mitarbeiter an der CNC-Maschine möchte ein bestimmtes Programm aus der Bibliothek anwenden es optimieren, einsetzen und genauso wieder in die Bibliothek zurücksenden. Des weiteren erwartet er, daß seine lohn- und gehaltswirksamen Faktoren korrekt erfaßt und bearbeitet werden. Der Betriebsrat wiederum verlangt, daß alle betriebsverfassungs- und datenschutzrechtlichen Normen eingehalten werden. Und schließlich wünscht das Management, laufend über die Eckdaten im Unternehmen informiert zu sein.

Offenbar benötigt jeder Mitarbeiter für seine Aufgabenstellung ein eigenes BDE-System, so wie er auch zum Beispiel sein Buchhaltungssystem oder sein Vertriebssystem braucht. Die entsprechenden BDE-Features sind zwar in diesen Systemen partiell auch immer vorhanden, jedoch differieren die jeweiligen Techniken und Organisationsformen. So sind denn auch spröde Systemgrenzen teilweise nur durch aufwendige, heterogene Schnittstellenanpassungen durch den Anwender zu überwinden.

Die Schlußfolgerungen für den Anwender lauten deshalb: Grundsätzlich haben alle BDE-Teilsysteme die gleichen Aufgabenstellungen. Ein dem Unternehmen angepaßtes Informations-Tool trägt nur dem System Rechnung, welches sich integrativ verhält. Dazu muß sich dieses System allen vorhandenen DV-Einrichtungen anpassen. Auch dürfen die einzelnen Anwendungsaufgaben des BDE-Systems nicht fix "verdrahtet" sein, sondern müssen sich individuell auch von DV-Laien formulieren lassen. Und schließlich müssen jene Funktionen die in vorhandenen Lösungen bereits enthalten sind, vom BDE-System mit verwendet werden. Funktionen, die noch fehlen, sollen durch das BDE-System ergänzt werden.

Zusammenfassend kann gesagt werden, daß ein Betriebsdatenerfassungs-System in erster Linie als integriertes "Meldesystem-Tool" und als Bindeglied zwischen Planung, Produktion und Verwaltung zu verstellen ist. Nur ein System, das diesen ,Anforderungen gerecht wird, kann auch dabei helfen, den CIM-Gedanken, also die Integration, weiter zu verfolgen (siehe Abbildung 1).

Von besonderer Bedeutung sind hierbei:

- der Informationsbedarf in sachlicher und zeitlicher Hinsicht

- die unterschiedlichen Informationsinhalte im Blick auf die gegebene Organisationsstruktur

- vorhandene Organisationssysteme und deren zentrale/dezentrale Verfügbarkeit;

- die Varianz der Informationen im zeitlichen Wandel der Unternehmensaufgaben aller Ebenen;

- der gegebene Technisierungsgrad und die vorhandenen Geräte in der Datenverarbeitung.

Alle Informationsarten müssen in Form von "Meldetypen" darstellbar erfaßbar und versendbar sein. Hierbei sind die Formate und Algorithmen der sendenden beziehungsweise empfangenden Systeme zu beachten. Die jeweiligen Meldungen haben zum Teil besondere zeitliche Relevanz. Sie müssen im Realtime-Verfahren weitergegeben werden. Auch ist zu berücksichtigen, daß technische oder logische Vorfälle, zum Beispiel Stillstand irgendeiner DV-Software-Komponente, eine zeitweise Verwaltung von Meldungen erfordert, so daß der Betrieb deshalb nicht stillsteht. Andere Gegebenheiten, beispielsweise die Kommunikation mit einem dezentralen Standort, der aus mangelnden Wirtschaftlichkeitsaspekten in ein Netzwerk nur per Wählleitung und zeitweise eingebunden ist, erfordern eine automatische "Nachrichtenverwaltung".

Bestimmte Informationen müssen nicht nur einem, sondern mehreren Systemen zur Verfügung gestellt werden, allerdings in verschiedenen Ausprägungen, anderer Dichte und zu unterschiedlichen Zeiten. Meldungen über Beginn und Ende eines Fertigungsvorgangs mögen für die Fertigungsdisposition zu jeder Zeit von Interesse sein. Die Lohn- und Gehaltsabrechnung beziehungsweise das Zeiterfassungs- und -abrechnungssystem hingegen sollen den Lohnschein mit den Angaben der verfahrenen Zeiten zur Ermittlung des Leistungslohns erst zum Monatsende erhalten. Möglicherweise kann der Mitarbeiter auch entscheiden, welche Lohnscheine er abgibt und welche nicht.

Das BDE-System kann als "Wasserträger" für andere Systeme angesehen werden. In dieser Eigenschaft stellen sich ihm die verschiedensten Anforderungen als Vor- oder Nachverarbeiter. Die Zutrittskontrolle muß also im dezentralen Werk 24 Stunden pro Tag gewährleistet sein, da die Verbindung zum Host unterbrochen ist. Das System muß deshalb als Stand-alone-Lösung eingesetzt werden können, denn weder das Zeitmanagement- noch das Fertigungssteuerungssystem, die auf dem Host-Rechner in der Zentrale installiert sind, stehen jederzeit zur Verfügung. Hierzu benötigt das BDE-System Datenbestände, die ihm vom Host zur Verfügung gestellt werden.

Ist das zentrale Werk dann mit dem Host-Rechner verbunden, kann das BDE-System wieder realtime operieren, also zwischengespeicherte Zeit-, Auftrags-, Zutritts-, Transport-, Verkaufs-, Tankdatenmeldungen etc. übertragen und alle ab jetzt entstehenden Meldungen online weiterleiten.

Diese Online-Fähigkeit ist beim heutigen Stand der Technik eine Grundeigenschaft, auf die keinesfalls verzichtet werden sollte. Hand in SIand damit geht die Erfordernis eines operatorlosen Betriebs in jeder Situation. Alles, was an Eingriffen erforderlich sein mag, muß die Systemzentrale DV/Org. von der Hostseite her erledigen können. Daraus folgt daß die technische Bedienung jedem Host-Operator in der ihm geläufigen Sprache möglich sein muß, besser noch, das BDE-System ist aus seiner Sicht "Teil" seines Rechners.

Der Anwender, also der Arbeiter an der Werkzeugmaschine, die Küchenhilfe bei der Essenausgabe, der Werkschutzmann bei seinem nächtlichen Kontrollgang, darf demgegenüber nur ganz bestimmte, auf seinen Anwendungsbereich zugeschnittene Aktionen am Terminal ausführen, und dos bei einem Verfügbarkeitsgrad von nahe 100 Prozent..

Sollte einmal eine Systemkomponente ausfallen, so sind die Meldungen automatisch genau dorthin zu vermitteln, von wo aus Abhilfe erwartet werden kann. Solange der Fehler nicht behoben ist, müssen andere Komponenten die jeweiligen Aufgaben übernehmen. Die Anforderung geht so weit, daß selbst bei Stromausfall der Betrieb über mindestens eine Stunde gewährleistet sein muß. Darüber hinaus sind alle Daten und Programme für mehrere Tage systemintern zu sichern. Wiederanlaufroutinen müssen einen Systemzustand herbeiführen, der manuelle Eingriffe vermeidet.

Baukastensystem ist für den Anwender hilfreich

Dies alles ist nur zu erreichen, wenn sich das BDE-System in die gegebene DV-Infrastruktur genau einpassen laßt. Daraus folgt, daß sich der Anwender mit einer Art Baukastensystem des Herstellers sowohl von der Software- als auch von der Hardwareseite mit genau den Elementen bedienen kann, die zu ihm passen: zum Beispiel Software für den Host mit VM-Native/SQL für den Abteilungsrechner IBM 9370, Kommunikationssoftware für die SNA-Netzwerkstruktur mit Anbindung von DEC/VAX-Systemen, BAM-Prozeduren für die Siemens-BS2000-Welt und BDE-Software mit einer interaktiven Formulierungssprache. Diese dient dazu, Meldetypen auf die sich stetig ändernden Anforderungen anzupassen. Weitere Elemente umfassen Anwendungssoftware zur Zeit- und Akkordlohnbewertung, Bausteine zur spezifischen Gestaltung einzelner Terminals je Arbeitsplatz und Aufgabenstellung. Rechnerbausteine zur Gewährleistung der notwendigen Vor- und Nachverarbeitung sowie zur Aufrechterhaltung des Betriebes bei Ausfall irgendwelcher Komponenten, und schließlich ein Leitungskonzept, das in ein LAN einzubinden ist.

Die Wirtschaftlichkeit des BDE-Systems schließt die anwendungsspezifische Individualität eines Unternehmens, die Sicherheit in der Datenverarbeitung und die systematische technische Integration nicht aus - im Gegenteil: Sie wird erst dadurch möglich. Denn ohne ein nahtloses Zusammenspiel aller DV-Komponenten mit höchster Verfügbarkeit liegen die Kapazitäten schlagartig lahm.

Die DV-Technik steht im Spannungsfeld exklusiver Exoten und dem bewährten Industriestandard, also in erster Linie der IBM.

Die Voraussetzungen für die Realisierung von BDE, ohne das bestehende DV-Equipment aufzugeben, sind zum Beispiel (siehe Abbildung 2): ein 370-Mainframe mit Systemsoftware aus der VM-, Mvs-, VSE- oder BS2000-Welt einschließlich der entsprechenden Systemtools im DB/DC-Bereich wie IMS oder SQL.

Als "Vermittlungszentrale" aller Meldetypen zwischen dem BDE-System beziehungsweise seinen Terminals und den Anwendungen auf dem Host (PPS, Materialwirtschaft etc.) sollte Standardsoftware mit einer systemnahen Sprache eingesetzt werden. Als BDE-Terminalsysteme können IBM-PCs unter MS-DOS verwendet werden, die, um die Betriebssicherheit und den Durchsatz sowohl hardware- wie softwareseitig zu gewährleisten, um spezielle Features erweitert wurden.

Des weiteren sollte eine BDE-Terminalsoftware, die alle oben erwähnten Anwendungsbereiche in Form von Standardsoftware bedient, vorhanden sein und vor allem als interaktives Tool jeden User seine eigenen Anwendungen einfach und schnell schreiben läßt.

Online-Service hilft bei der Fehleranalyse

Vom Hersteller sollte ein Online-Service eingerichtet werden, der ermöglicht, via Softwaretools sofort in laufende Anwendungen einzusteigen, so daß Fehler analysiert und beseitigt werden können. Eine wichtige Voraussetzung, um künftigen Entwicklungen leicht folgen zu können, ist auch die Transparenz im Soft- und Hardwarebereich.

Obwohl in der Realität die DV-Organisation sowohl in den Unternehmen als auch auf der Seite der Hersteller noch mehr oder weniger weit von einer solchen integrierten Systemstruktur entfernt ist, ist die Technik heute bereits vorhanden.

Es kann und muß dem Systemanwender also darum gehen, zur Lösung seiner Aufgaben die richtigen Partner zu finden. Eigenentwicklungen derartiger Komplexität sind für ein einzelnes Unternehmen normalerweise nicht realisierbar. Der Anwender wird das "totale System" auch nicht fix und fertig vorfinden, sondern vielmehr daran mitarbeiten, vorgefertigte Rahmensysteme auf seine Belange unter Einsatz ausreichend mächtiger Tools anzupassen.