Datentelefone von Siemens und Nixdorf:

Geteilte Meinung über die Wirtschaftlichkeit

26.08.1977

Als ein Kommunikationsmittel, "das jedem Mitarbeiter einen Weg bietet, schnell und wirtschaftlich zu den aktuellsten Informationen zu gelangen", kündigte die Nixdorf Computer AG, Paderborn, in diesem Frühjahr das Datentelefon ("Datatel") 8811 an. Intimkenner der Datatel-Problematik (Verknüpfung von Datenverkehr und Fernsprechen!) reagierten mit Skepsis, bezeichneten den ersten Nixdorf-Sproß auf dem Sektor Nachrichtentechnik gar als , totgeborenes Kind, das sich im Sande verläuft". Denn noch stehen der Verwendung des Telefons als Datenendgerät Vorschriften der Bundespost entgegen. Aber auch das dahinterstehende Marketing-Konzept ist nicht neu. Denn bereits Anfang der siebziger Jahre war von zwei namhaften EDV-Herstellern der Versuch unternommen worden, den Fernsprecher als Terminal in Datenfernverarbeitungs-Systeme zu integrieren. So wurden Nebenstellenfernsprecher um Drucker und Leuchtanzeigen erweitert, übernahmen Nebenstellenanlagen Vorverarbeitungsaufgaben wie Formatprüfung und Geschwindigkeitsumwandlung. Daß sich derartige Fernsprech-Nebenstellenanlagen mit Datenverkehr nicht durchgesetzt haben, erklärt Siemens damit, "daß der Fernsprecher als sehr einfaches Datenterminal nur beschränkte Einsatzmöglichkeiten hat". Denn die Fernsprechanlage, die für Sprachkommunikation optimiert sei, könne anwenderorientierte Fachkommunikation nicht oder nur in sehr begrenzter Form übernehmen. Nach Siemens-Verständnis sollte deshalb das öffentliche Fernsprechnetz nur als Transportsystem für den Datenverkehr benutzt werden. Terminals, Vorverarbeitungsrechner oder Datenverarbeitungszentralen könnten über genormte Schnittstellen an das Fernsprechnetz angeschlossen werden.

Gehen die Münchner davon aus, daß ein um diverse Peripheriegeräte wie Drucker, Leser, Bildschirm etc. erweitertes Telefon-Terminal als Vielzweckgerät nicht wirtschaftlich eingesetzt werden könne und vom Markt auch nicht akzeptiert werde, so vertritt Nixdorf neuerdings ein längst totgeglaubtes Konzept (siehe oben). Wer genauer hinsieht, wird allerdings kaum Gegensätze feststellen. Verwirrung schafft allein der Begriff "Datatel". Während Siemens immer das "normale" Tasten-Telefon meint, hat

Nixdorf dieses Wort für ein System adaptiert, das weit mehr ist. Insofern lassen sich die Argumente beider Hersteller nicht vergleichen. Was Siemens für zwar technisch machbar aber nicht am Markt durchsetzbar hält, ist für die Paderborner lediglich eine Frage der Kooperationsbereitschaft der Deutschen Bundespost.

Auf CW-Fragen zum Themenkomplex "Datentelefon" erhielten wir aus dem Hause Nixdorf folgende Antworten:

- Um gleich zu einer Klärung des Begriffs "Datentelefon" zu kommen: Wenn Nixdorf im Zusammenhang mit dem neuen System 8811 von "Datatel spricht, ist dann der normale Fernsprechapparat gemeint?

Das System 8811 ist weit mehr, als im Begriff "Datentelefon" vordergründig zum Ausdruck kommt. Es ist erstens ein "intelligentes" Telefon, das bestimmte Funktionen einer Nebenstellenanlage, wie etwa Rufnummernwiederholung oder Rufumschaltung übernehmen kann. Das Datentelefon ist zweitens aber auch ein "intelligentes" Fernschreibsystem sowie ein Gerät zur internen Textkommunikation. Es kann schließlich Terminalfunktionen in Verbindung mit zentral oder dezentral arbeitenden Rechnern ausführen.

- Hier wurde die Terminalfunktion des Telefons angesprochen. Weiches Marketing-Konzept verfolgt Nixdorf mit dem System 8811?

Dieses Datenendgerät ist preiswert. Deshalb kann es vielen Arbeitsplätzen Zugriff zur EDV ermöglichen und damit die Forderung nach Dezentralisierung nachhaltig fördern.

- Eine derartige Philosophie ist nicht neu. Bereits andere Hersteller haben versucht, das Telefon als "eierlegendes Wollmilchsau"-Terminal zu vermarkten - die Mißerfolge sind bekannt.

Noch stehen vielen Verwendungsmöglichkeiten Vorschriften der Bundespost entgegen. Das Datentelefon ist nun einmal das erste Gerät, das eine umfassende Integration der verschiedenartigsten Anwendungen am Arbeitsplatz ermöglicht.

- Nun hat sich die Deutsche Bundespost in der Vergangenheit nicht gerade übermäßig kooperativ verhalten, wenn es um die Einführung neuer Technologien ging. Ist das anders geworden?

Es ist erstaunlich, welche Kooperationsbereitschaft die Bundespost heute zeigt. Wir sind sicher, daß die entsprechenden Vorschriften, Verordnungen und Anweisungen der Bundespost den technischen Möglichkeiten in Stufen angepaßt werden.

- Es besteht zur Zeit die Einschränkung, daß im öffentlichen Wählnetz posteigene Modems verwendet werden müssen. Ist damit die Wirtschaftlichkeit des Datentelefons nicht in Frage gestellt?

Da Wählverbindungen zum öffentlichen Netz über einen zentralen Rechner laufen können, ist dies nur für Besitzer von Einzelanschlüssen ein Nachteil. Im Inhouse-Verkehr bleibt der Datenverkehr von der Frage der Modem-Kosten unberührt, weil wir ein eigenes Modem einsetzen.

- Von einigen Experten wird die Meinung vertreten, das Telefon sei zum Datenerfassungs-Terminal nicht geeignet, weil die Eingabe über Nummerntasten nicht sicher ist.

Das Nixdorf-Datentelefon hat durch Redundanz und Sicherungsprozeduren alle Sicherungstechniken eines normalen Terminals. Alle Eingaben können zusätzlich über den Bildschirm kontrolliert werden.

- Gibt es eigentlich - und das betrifft sowohl die Anwender- als auch die Herstellerseite - genügend Spezialisten, die sowohl EDV-Kenntnisse als auch Erfahrung auf dem Gebiet der Nachrichtentechnik haben?

Viele Fachleute aus dem EDV-Bereich sind noch erstaunlich starr in bezug auf die normale Nachrichtentechnik. Sie wissen häufig nicht ein nachrichtentechnisches System bis hin zur Einbindung in die Fernmeldeordnung und die entsprechenden Nutzungsmöglichkeiten heutiger Nebenstellenanlagen zu analysieren. Nachrichtentechnik und Datenverarbeitungsbereich werden oft noch nicht als Teile eines Gesamt-Informationssystems gesehen. Dieser Einwand gilt übrigens nicht nur für EDV-Spezialisten, er gilt ebenso bis hin in den unternehmerischen Bereich.

- Wirkt die Normung auch beim Datentelefon als Technologie-Bremse?

Es ist wohl kein Fall bekannt, wo sich durch Normung neue Anwendungsmöglichkeiten in der Datenverarbeitung durchgesetzt haben. Durchgesetzt hat sich die Datenverarbeitung - und die Normung hat versucht, dann den jeweiligen Stand zu erfassen.

- Welche genormten Schnittstellen wurden in das System 8811 einbezogen?

Das Übertragungsverahren entspricht den Normen nach CCITT V. 23, die Übertragungsart entspricht ISO 7-Bit-Code nach DIN 66003 mit Parity-Bit nach DIN 66022. Die Anpassung an das Telexnetz geschieht über einen zentralen Rechner. 0 Wie beurteilen Sie die Zukunftschancen des Datentelefons?

In den USA ist eine Innovationswelle in Hinsicht auf das Zusammenwachsen von Nachrichtentechnik und Datenverarbeitung im Gange, die die übrigen Industrienationen entsprechend ihrer Infrastruktur und den volkswirtschaftlichen Möglichkeiten nachvollziehen müssen. Andernfalls würden sie sich selbst aus dem Wettbewerb ausschließen.

- In der Bundesrepublik gehen die Uhren bekanntlich anders. . .

Auch hierzulande gibt es bereits große, allerdings noch isolierte Märkte für ein System wie das Datentelefon. Wir gehen deshalb ganz bewußt auf den nordamerikanischen Markt, um gerüstet zu sein, wenn. auch hier die ganze in den USA übliche Anwendungsbreite möglich wird.

- Woran denken Sie dabei?

Einsatzmöglichkeiten wie etwa der Zugriff auf externe Datenbanken vom Privathaushalt aus lassen erahnen, wie weit die Grenzen des Datentelefons gesteckt sind. Es wird deutlich, daß im Grunde genommen mit dem Datentelefon eine vollkommen neue Ära der Informationsübermittlung und -verarbeitung beginnt.