Gesundheitsreform verlangt Anpassung bei der Software Innungskassen entwickeln fuer Wettbewerb und Kundenservice

28.01.1994

BERGISCH-GLADBACH (CW) - "Wettbewerbsorientierte Geschaeftspolitik", "Pflegeversicherung", "Versichertenkarte" - das sind die Schlagworte des neuen Gesundheitsstrukturgesetzes. Um sich 1996 der Herausforderung stellen zu koennen, arbeitet derzeit der Bundesverband der Innungskrankenkassen (IKK-BV) an der Abloesung seiner veralteten DV-Systeme. Die neue Kernbereichssoftware "OS-IKK", entsteht in einer ungewoehnlichen Entwicklungsumgebung.

Als einen "Sturm der Entruestung, der sich in Wellen von unten nach oben fortsetzte", beschreibt Erhard Geiss, Hauptabteilungsleiter Informatik beim IKK-BV in Bergisch-Gladbach, die interne Bewegung, die dem bisherigen System, das zum Teil 17 Jahre alt ist, den Garaus machte. Es ist so oft verbessert worden, "dass es einfach nicht mehr zu pflegen war". "Ad-hoc-Abfragen waren unmoeglich", weil das System keine Moeglichkeit bot, in flexibler Art und Weise die notwendigen Daten zusammenzusuchen, geschweige denn auszuwerten. Darueber hinaus litten Sachbearbeiter auch bei den ueblichen Routinen unter allzu langen Antwortzeiten. Weiter brauchte jede gesetzliche Aenderung "unendlich Zeit", bis sie in der Software abgebildet werden konnte.

Daher schien es Geiss unmoeglich, etwa die neue Pflegeversicherung oder die Einfuehrung der Versichertenkarte mit dem alten System bewaeltigen zu koennen.

Mehr Verantwortung fuer die Sachbearbeiter

Die neue Software soll eine effektivere "stromlinienfoermige" Organisation des Verbandes unterstuetzen sowie dem Sachbearbeiter mehr Kompetenz fuer groessere Arbeitsbereiche zur Verfuegung stellen, indem sie dem Management dispositive, entscheidungsrelevante Daten zur Verfuegung stellt, den Sachbearbeitern aber durch Vorgangssteuerungen selbsttaetig Handlungsanstoesse liefert.

So soll sie beispielsweise merken, welche Art von Vorgang aktuell bearbeitet wird, um einerseits entsprechende Plausibilitaetskontrollen durchzufuehren, aber andererseits auch aus den jeweiligen Datenkonstellationen heraus Serviceangebote anzuregen. Letztendlich seien Krankenkassen Dienstleistungsunternehmen, ein Gedanke, der bei den Mitarbeitern eine groessere Rolle spielen muesse als heute, meint Geiss. Die aktivere Betreuung des Kunden koenne durch ein verbessertes Informations-Management sehr stark unterstuetzt werden, beispielsweise um fuer einen IKK-Kunden einen guenstigen Tarif austaxieren zu koennen.

Das entstehende System versorgt rund 6000 mit 486er PCs ausgestattete Anwender. Als Server werden MX-Rechner mit dem Unix- Betriebssystem Sinix von SNI eingesetzt. Die Rechner sind sowohl ueber ein Ethernet-LAN als auch ueber WANs miteinander verbunden. Die Daten werden dezentral mit Hilfe der Informix "Standard Engine" verwaltet. "Alle Komponenten sind jedoch prinzipiell austauschbar", erlaeutert Geiss.

Rund um den Kernbereich, beispielsweise im Rechnungswesen, bei der Textverarbeitung oder in der Tabellenkalkulation soll Standardsoftware eingesetzt werden. Dagegen entwickeln zirka 100 DV-Mitarbeiter die IKK-spezifischen Anwendungen selbst, das heisst die operativen Komplexe Partnerverwaltung, Beitrags-, Finanz- und Leistungswesen sowie den Bereich der dispositiven beziehungsweise der Fuehrungsdaten. Bei dem Umfang des Projekts, dessen geschaetzter Aufwand zirka 37 Millionen Mark betraegt, ist es kein Wunder, dass alleine die Entwicklungszeit fuer die Produktionsumgebung bereits 18 Monate in Anspruch genommen hat. Das Ergebnis ist das Software- Entwicklungshandbuch - drei dicke DIN-A4-Ordner.

Das A und O der Umgebung ist ein Repository. Die zentrale Entwicklungsdatenbank laeuft heute unter OS/2 - ein Wechsel zu Windows/NT ist denkbar. Die betriebswirtschaftliche Software soll vollstaendig mit dem Intersolv-Generator "APS" erstellt werden. Die Datenkapselung und die systemnahen Programmteile werden in C geschrieben. Oberflaechen wie die dynamische Vorgangssteuerung muessen nach Auskunft von Heinz Kreuzberg, IKK-BV-Abteilungsleiter Verfahren/Entwicklung, ereignisgesteuert und daher objektorientiert gestaltet werden. Fuer diese Systemkomponenten kommt die Programmiersprache "Smalltalk" zum Einsatz.

Das OS/2-Werkzeug "Andes" von der IBM dient zur Animation von Prozessmodellen. Es erfuellt fuer Kreuzberg zwei Funktionen: Zum einen ermoegliche es das Testen von Programmteilen noch vor der Codierung, und zum anderen erleichtere es die Programmdokumentation in dem fruehen Stadium der Software- Entwicklung.

Bisher sind laut Geiss zirka 30 Prozent der gesamten Entwicklung realisiert. In einem ersten Schritt wurden die rund 5000 unterschiedlichen Geschaeftsvorfaelle definiert. Unter diesem Begriff versteht Geiss beispielsweise die Anmeldung eines Versicherten, die Ausgabe eines Krankenscheins oder die Bescheinigung der Arbeitsunfaehigkeit. Die Grundlage hierfuer bilden das Bundessozialgesetzbuch und der Bundesmantelvertrag, dem die Tarife fuer die Aerzteschaft entnommen werden.

Aus dem Pflichtenheft wurden sodann mit Hilfe der Strukturierten Analyse und des Entity-Relationship-Modells sowie mit dem CASE- Tool "Excellerator" der Firma Intersolv Datenprozessmodelle erstellt und in die zentrale Datenbank eingegeben sowie Elementarprozesse beschrieben. Diese Modularisierung der Software bis auf Elementarprozesse herunter soll das System flexibel gestalten. Aendern sich die gesetzlichen Auflagen, koennen die entsprechenden Kleinstbestandteile der Anwendung leicht ausgetauscht werden. Neben den rund 70 Mitarbeitern des IKK- Bundesverbandes sind auch die fuenf Rechenzentren der Landesverbaende an der Entwicklung von OS-IKK beteiligt. Das betrifft 80 Prozent der in der DV Beschaeftigten. Die Wartung des alten Systems, das noch bis 1995 in Betrieb sein wird, uebernehmen in der Hauptsache externe Mitarbeiter.