Business Process Outsourcing

Geschäftsprozesse einkaufen

23.08.2002
MÜNCHEN (CW) - Business Process Outsourcing (BPO) ist Arbeitsteilung par excellence. Im Extremfall verbleiben im Unternehmen nur noch Kernaufgaben wie Markenpflege oder Produktentwicklung, alles andere erledigen externe Partner. Immer häufiger werden dazu IT-Dienstleister engagiert, weil wichtige Geschäftsabläufe von IT-Verfahren getragen werden.

Schenkt man den Prognosen der Marktforscher Glauben, steht dem Markt für Business Process Outsourcing (BPO) eine goldene Zukunft bevor. IDC beziffert den im letzten Jahr erzielten Umsatz in diesem Marktsegment in Europa auf 132,5 Milliarden Dollar. Bei einem durchschnittlichen Wachstum per annum von 11, 8 Prozent soll sich das Volumen für das Jahr 2006 auf 231 Milliarden Dollar summieren. Gartner Dataquest veröffentlichte zwar völlig andere Zahlen, unterm Strich ist die Einschätzung jedoch nicht minder zuversichtlich: Im laufenden Jahr taxiert Gartner den europäischen Markt auf 38,8 Milliarden Dollar, in drei Jahren (2005) sollen 64 Milliarden Dollar umgesetzt werden. Das bedeutet eine jährliche Verbesserung um 14,7 Prozent. Trotz allem Optimismus richtet Robert Brown, Senior Analyst bei Gartner, auch warnende Worte an mögliche Anwender: "BPO ist ein schnell wachsender, aber auch sehr unreifer Markt." IDC erwartet einige "holprige Fahrten" im BPO-Geschäft der kommenden Jahre.

In den USA und Großbritannien haben sich schon erste auf BPO-Angebote spezialisierte Firmen auf den Markt gewagt. Das britische Haus Xchanging übernimmt ganze Geschäftsbereiche samt Mitarbeitern und Prozessen wie etwa der Personalabteilung. Dazu gründet es zusammen mit dem Partner ein Joint Venture, wobei Xchanging die unternehmerische Leitung beansprucht, um im weiteren Verlauf mit den erworbenen Ressourcen auch Drittkunden bedienen zu können. Andere spezialisierte Unternehmen sind Exult, Vertex und E-Peopleserve. Bekannte hiesige Beispiele sind die Datev (unter anderem Lohnabrechnungen) oder die Deutsche-Bank-Tochter ETB (European Transaction Bank), die Dienstleistungen für den Zahlungsverkehr sowie Wertpapier-, Derivate-, Geld- und Devisengeschäfte anbietet.

Bei der Analyse abgeschlossener BPO-Verträge der Vergangenheit hat sich laut Gartner gezeigt, dass Anwender besonders gerne für den Personalbereich (insbesondere Abrechnung, Personalsuche sowie Schulung und Training), die Zahlungssysteme (Transaktionsprozesse) und die Lagerhaltung (bei Just-in-Time-Anforderungen) externe Partner beauftragen. Die Auslagerung von Kernprozessen hat an Aktualität gewonnen, weil Anwender in wirtschaftlich flauen Zeiten hohe Ansprüche an ihre Kostenstruktur, Kundenservice, Flexibilität und die Reaktionsfähigkeit auf Marktveränderungen stellen. Diese Forderungen treffen nun auf die erweiterten Möglichkeiten der IT, insbesondere seit neue Kommunikationstechniken es ermöglichen, Leistungen ortsunabhängig zu erbringen. Diese These vertritt zumindest Ismail Amla, Vice President BPO bei CSC. Fällt die Entscheidung für das Outsourcing, ist damit nicht allein die Hoffnung auf Kosteneinsparungen verbunden, sondern auch die Erwartung, dass der Dienstleister, der als Spezilist ins Boot geholt wurde, die Abläufe effizienter und schneller gestaltet. Dass die Auslagerung von Geschäftsprozessen kein Allheilmittel sein kann, haben Pleiten der jüngeren Vergangenheit gezeigt: Der Ölhändler Enron hatte etwa nahezu sämtliche Abläufe inklusive einiger grundlegender Buchungsprozesse externen Dienstleistern übertragen. Zudem haben viele Dotcoms die Konzentration auf das Kerngeschäft zwar zum Prinzip erhoben. Außer dem Buchhändler Amazon.com gibt es jedoch kaum erfolgreiche New-Economy-Firmen. Zwar sind weder Dotcoms noch Enron letzten Endes über ihre Outsourcing-Entscheidungen gestolpert. Die Beispiele haben aber gezeigt, dass die Koordination und Verwaltung von sehr vielen Serviceverträgen eine kaum zu beherrschende Aufgabe ist.

Stabiler Partner gesucht

Dennoch wendet sich auch die Old Economy jeglicher Branche und Größe zunehmend diesen Angeboten zu: Großunternehmen wie Cable & Wireless, British Telecom (BT) oder BP Amoco haben ihre Lohnabrechnung einem externen Dienstleister übergeben; Xerox lässt die Rechnungsstellung von GE Capital erledigen. T-Systems übernimmt für die Dachorganisation der internationalen Fluglinien Iata die Ticketabrechnung mit den Partnern und druckt Rechnungen und Reisedokumente. Der Dienstleister Telefactory, ein Joint Venture des Stadtnetzbetreibers Citykom Münster und von Siemens Business Services (SBS), betreibt die Abrechnung und Kundenbetreuung für lokale Carrier wie Mnet (München), Osnatel (Osnabrück) oder Hamcom (Hamm).

Um BPO-Vorhaben erfolgreich umzusetzen, gilt es, zunächst den richtigen Partner zu finden und später die Geschäftsbeziehung zu koordinieren. So riet beispielsweise Mark Turner, Partner und Outsourcing-Berater des Rechtsanwaltsbüros Herbert Smith, London, einem Unternehmen ab, einen Zehnjahresvertrag mit einem BPO-Spezialisten zu unterzeichnen. Der Dienstleister wollte als Subunternehmen Cap Gemini Ernst & Young ins Boot holen. Turner drängte auf eine wirtschaftlich stabile Lösung, bei der Cap Gemini als Partner und die Spezialfirma als Zulieferer verpflichtet wurde.

Neues Berufsbild ist entstanden

Allein für die Kontrolle und Koordination der Geschäftsbeziehungen müssen Anwender etwa vier Prozent des gesamten Vertragsvolumens veranschlagen, wenn nur ein einzelner Lieferant am Outsourcing-Prozess beteiligt ist. Werden weitere Aufgaben ausgelagert oder sind an einem Outsourcing-Projekt mehrere Service-Provider beteiligt, sollten unter Umständen bis zu zehn Prozent der Vertragssumme allein für die Partnerkontrolle und -pflege eingeplant werden.

Daraus ist bereits das Berufsbild des Outsourcing-Relationship-Managers entstanden. Er muss sich im Vertragsrecht auskennen, die Qualität der Services bewerten können und bei Problemen die Auswirkungen auf das Kerngeschäft abschätzen sowie Lösungen einleiten. "Die besten Relationship-Manager wissen, wie Probleme entstehen und wo die Ursachen sind. Sie initiieren und leiten Treffen zur Fehlerbehebung und moderieren zwischen einer Vielzahl von Parteien", beschreibt Stuart Kliman, Berater bei Vantage Partner, Boston, das Berufsbild. In der Regel, so seine Erfahrung, wählen die Unternehmen Routiniers mit 15- bis 20-jähriger Berufserfahrung. (jha)

Der BPO-Markt

Das Auslagern von Geschäftsprozessen (Business Process Outsourcing = BPO) ist kein neues und auch kein IT-spezifisches Thema. Unternehmen, die den Kantinenbetrieb, den Wachdienst oder die Hausmeisterei von externen Anbietern betreiben lassen, haben bereits den ersten Schritt in den BPO-Markt getan. Prinzipiell lässt sich mittlerweile jeder Geschäftsprozess auslagern. Überall dort, wo diese Abläufe von IT-Verfahren getragen werden, kommen IT-Outsourcer wie EDS, CSC, IBM, T-Systems und SBS ins Spiel. Einer Analyse von Gartner zufolge gibt es drei weitere Klassen von BPO-Dienstleistern. Große Beratungshäuser wie PWC Consulting (jetzt IBM), Accenture und KPMG bieten aufgrund ihrer Wirtschaftsprüfungshistorie vor allem Kapazitäten für Finanz- und Rechnungsdienste an. Zudem gibt es Prozessspezialisten wie Lohnabrechner oder Speditionen, deren Angebote zum Gros von der IT getragen werden. Relativ neu im Geschäft sind BPO-Spezialisten wie Xchanging, Exult und E-Peopleserve.