Thema der Woche

Geschäftsleute und Regierungen ringen um Vorrechte im Internet

14.08.1998

Kritiker lasten dem Netz die Aushebelung nationaler Gesetze an, die Überschwemmung surfender Kids mit Pornos, die Organisation von Verbrecherbanden, das Wegbrechen von Steuereinnahmen oder das Ende des Datenschutzes. Potente Unternehmen erhoffen sich einen boomenden globalen Absatzmarkt, während die weniger zuversichtlichen Firmen die Konkurrenz aus aller Welt fürchten.

Auf der politischen Seite reicht das Spektrum von Bürgerrechtlern, die unter dem Schlagwort "Neues Athen" eine basisdemokratische Weltgesellschaft ohne die Bevormundung nationaler Regierungen fordern, bis zu Staaten wie China, die die im Web gepflegte freie Rede verhindern.

Oft wird dabei übersehen, daß in den meisten Fällen die virtuelle Welt lediglich Trends der realen Welt widerspiegelt. So ist der Umgang mit obszönen und radikalen Inhalten auch in den herkömmlichen Medien nur unbefriedigend geregelt. Daß sich allerdings für wenig Geld alle Welt, also auch Privatleute und kleine Unternehmen, im Internet etablieren können, verleiht dem Medium eine besondere Qualität.

Bevorzugt wird das Web jedoch von transnational agierenden Unternehmen genutzt, die sich davon Wettbewerbsvorteile versprechen. Sie nutzen es, um ihre weltweite Logistik zu optimieren und Aufgaben rund um den Globus an den jeweils preiswertesten Dienstleister zu vergeben. Diese Beweglichkeit entzieht die Firmen in Bereichen wie Arbeits- und Sozialrecht, Besteuerung, Arbeitsschutz und Arbeitnehmerrechten dem Zugriff der nationalen Rechtsinstitutionen. Auch hierbei handelt es sich um ein Phänomen, das längst von multinationalen Konzernen bekannt ist.

Es ist nicht verwunderlich, daß insbesondere Regierungen große Probleme mit dem globalen Charakter des Internet haben, schließlich können sie ihre Kompetenzen nicht ohne weiteres weltweit ausdehnen. Das Netz gilt als durch nationale Gesetzgebung kaum kontrollierbar. Zudem wird den Politikern in weiten Kreisen nicht zugetraut, sich auf internationaler Ebene über Gesetze zur Regelung des Internet zu verständigen.

USA und der Rest der Welt

Oft erscheinen bereits die wirtschaftlichen Interessen der verschiedenen Staaten unvereinbar. Für die USA als weltgrößte Industrienation beispielsweise ist das Web zu einer treibenden Kraft für den wirtschaftlichen Aufschwung der vergangenen Jahre geworden. Als Medium der Globalisierung und der Dienstleistungsgesellschaft dient das Internet den Vereinigten Staaten bei der Versorgung des Rests der Welt mit DV- und konkret mit Internet-Infrastruktur, mit Soft- und Hardware, aber auch zunehmend mit anderen Web-Diensten. Diese US-Produkte lassen sich dank der fast überall verstandenen englischen Sprache nicht nur einsetzen, um Gewinne zu erzielen, sondern auch um global für die eigene konsumorientierte Kultur zu werben. In diesem Zusammenhang scheut sich der amerikanische Kommunikationswissenschaftler Herbert Schiller nicht, von Wirtschaftsimperialismus zu sprechen (siehe Kasten auf Seite 10 oben). Sein Argument: Wie die überall angestrebte Deregulierung, so nütze auch die Globalisierung vor allem den international agierenden Konzernen, die es besonders in den USA in großer Zahl gebe, bei der Erschließung neuer Märkte.

Nicht immer muß hier Absicht unterstellt werden. Die von der US-Regierung angestrebte Abschaffung jeglicher speziellen Internet-Steuern soll in erster Linie ein innenpolitisches Wirtschaftshemmnis beseitigen, das durch die vielen unterschiedlichen, durch einzelne US-Bundesstaaten erlassenen Regelungen geschaffen wurde. Die Akzeptanz für die Gesetzesvorlage ist allerdings auch deshalb so groß, weil es den das Web dominierenden US-Anbietern zusätzliche Vorteile verschafft.

Den Regierungen in den Absatzmärkten entgehen dagegen die (Mehrwert-)Steuer, die normalerweise am Ort des Kaufes entrichtet wird. Kein Wunder also, daß europäische Staaten, darunter Deutschland, ein anderes Steuermodell vorziehen, bei dem auch die Käufer zur Kasse gebeten werden. Hier wird es jedoch aufgrund unterschiedlicher Mehrwertsteuersätze auch unter den Europäern noch einige Diskussionen geben.

Allerdings hat sich gezeigt, daß die Staatengemeinde sich in drängenden wirtschaftlichen Fragen immer wieder einig geworden ist. Schon jetzt sorgen eine ganze Reihe multinationaler Abkommen wie die Europäische Union, das General Agreement on Tariffs and Trade (Gatt) oder Institutionen wie die World Trade Organization (WTO) für die Rahmenbedingungen, innerhalb derer der internationale Waren- und Finanzverkehr abläuft.

Gesetzestreue und Laissez-faire

Vor aller Einigung im Detail ist die populäre Frage zu beantwortet, ob und in welchem Ausmaß sich Regierungen ins Internet einmischen sollen. Die insbesondere in den USA weitverbreitete Ablehnung jeder staatlichen Einflußnahme verkennt dabei den prinzipiell politischen Charakter des Internet. Das Netz wurde im Kalten Krieg von US-amerikanischen Militärs als ein Kommunikationsmittel konzipiert, das auch beim Ausfall mehrerer Knoten, etwa durch einen Atomschlag, noch intakt bleibt.

Seine wirtschaftliche Bedeutung begann mit der Erfindung des einfach bedienbaren und systemunabhängigen Web und der Möglichkeit des wirklich globalen Handels nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Ostblocks. Längst ist inzwischen das Web neben Radio und Fernsehen zu einem der wichtigsten Botschafter amerikanisch-westlicher Kultur geworden. Ein Verzicht politischer Einflußnahme durch die Regierungen ist daher höchst unwahrscheinlich.

Allerdings gibt es bei den Internet-freundlichen Regierungen zwei Grundhaltungen. In den USA dominiert die Vorstellung, daß sich das Web durch einen freien Wettbewerb der beteiligten Interessengruppen, insbesondere der Wirtschaft, entwickeln soll. Scheint jedoch der gesellschaftlich gewollte freie Wettbewerb gefährdet, so greift auch dort die Justiz korrigierend ein - wie das gegen Microsoft eingeleitete Anti-Monopol-Verfahren zeigt.

Dieser weitgehenden Laissez-faire-Politik steht bei europäischen Regierungen das Bedürfnis gegenüber, den in den Gesetzen formulierten Staatszielen auch im Internet Geltung zu verschaffen. Erst innerhalb dieser Rahmenbedingungen soll Wettbewerb stattfinden. Dieses Vorgehen empfinden Wirtschaftsvertreter oft als hemmend.

Doch im Grunde hat man auch dort großes Interesse an klaren Regelungen. Geschäftsleute müssen wissen, an welchen Gerichtsstand sie sich wenden können, wenn es mit im Internet abgeschlossenen Kaufverträgen Probleme gibt. Sie müssen darauf vertrauen können, daß ihr Partner am anderen Ende der Welt ähnliche Regeln befolgt wie sie.

Auch die hierzulande vor allem wegen der zu erwartenden Kosten umstrittene Telekommunikations-Überwachungsverordnung (TKÜV) ist im Grunde im Interesse der Unternehmen und der Gesellschaft. Schließlich werden die dadurch geschaffenen Fahndungsmöglichkeiten auch genutzt, wenn der TK-Betreiber via Netz geschädigt wird. Allerdings muß sichergestellt sein, daß diese Instrumente tatsächlich nur von Staatsanwaltschaft und Polizei verwendet werden und nicht etwa vom TK-Betreiber selbst oder durch andere.

Während sich Fortschritte bei der Angleichung von legalistischen Haltungen und Laissez-faire-Positionen nur zäh auf dem Verhandlungsweg erreichen lassen, wird die Web-Entwicklung durch eine dritte Kraft vorangetrieben: Einzelurteile - auch wenn der Bedeutung von richterlichen Entscheidungen hierzulande weniger rechtsetzende Bedeutung zukommt wie in den angelsächsischen Ländern, wo das Präzedenzfallrecht gilt.

Als Beispiel sei hier das Verfahren gegen den ehemaligen Compuserve-Geschäftsführer Felix Somm genannt, dem das Münchner Amtsgericht vorwarf, wissentlich verbotene pornografische Inhalte toleriert zu haben. Seine Verurteilung im Sommer 1998 ist zurecht weltweit als die überzogene Aktion eines konservativen Richters kritisiert worden. Doch der Fall hat auch noch eine andere Seite. Die Aufmerksamkeit, die die Ermittlungen seit 1995 erregten, führte dazu, daß für die bis dahin nur in Ansätzen vorhandene Software zur Filterung von Web-Inhalten ein eigener Markt entstanden ist. Wird diese Software am Web-Client eingesetzt, etwa durch Eltern, dann kann hier durchaus von einem Fortschritt für den Jugendschutz im Netz gesprochen werden.

Die Filtersoftware ist inzwischen allerdings ins Gerede gekommen, weil sie sich als Mittel zur Zensur einsetzen läßt. So werden mit Hilfe der Filter die Besucher in einigen amerikanischen Bibliotheken von unerwünschten Inhalten ferngehalten.

Imperialismus-Vorwürfe

Der Vorwurf gegenüber den USA, das Internet für wirtschaftsimperialistische Zwecke zu nutzen, kommt nicht nur aus Europa, sondern auch aus dem eigenen Land. Der amerikanische Kommunikationswissenschaftler Herbert Schiller faßt Firmenziele mit dem Internet folgendermaßen zusammen:

- Die seit Jahren betriebene Umwandlung von Information in ein kommerziell verwertbares Gut muß ausgedehnt werden. Diese Entwicklung setzt das Schrumpfen des öffentlichen Sektors und des nicht kommerziellen Informationsaustauschs voraus.

- Das Marketing in allen seinen Spielarten muß sich auf sämtliche Facetten des täglichen Lebens richten. Dieses Ziel schien bereits erreicht zu sein, hat aber durch Data-Warehousing und das Internet neuen Auftrieb erfahren.

- Hohe Politiker in den USA sehen in den neuen Technologien Mittel zum Erhalt und Ausbau der globalen Vormachtstellung. Präsident Bill Clinton hat wiederholt darauf hingewiesen: "Um den Vereinigten Staaten ihre Vorreiterrolle zu sichern, ist es meine Aufgabe, Amerika so an die neuen Umstände anzupassen, daß wir die Gewinner des 21. Jahrhunderts sein werden." Kein Wort von Gleichheit und globaler Zusammenarbeit.