Alternative Carrier/Otto Normalverbraucher bevorzugt das Call-by-call-Verfahren

Geschäftskunden profitieren von der großen Freiheit im TK-Markt

26.06.1998

Der liberalisierte TK-Markt wird sich bis Ende dieses Jahres im Bewußtsein der deutschen Anwender fest etablieren. Davon sind Experten wie Wilhelm Hübner, Chef des Verbands für Post- und Telekommunikation (DVPT), fest überzeugt. "Denkbar positiv", so Hübner, habe sich die Deregulierung bisher für die Telefonkunden ausgewirkt. Parallel zur Verbesserung der verfügbaren Hardware sinken nun auch die Tarife.

"Beträchtliche Kostenvorteile" durch den liberalisierten Markt witterte auch Olaf Falkner, Leiter Logistik und Materialwirtschaft beim Schuhdiscounter André Deutschland GmbH in Römerberg bei Speyer. Die 1500 Mitarbeiter in 230 Filialen führen hauptsächlich Ferngespräche. Mit einer avisierten Reduzierung von 200000 Mark beziehungsweise 50 Prozent der aktuellen Telefonkosten hat sich André für das Angebot von Telepassport entschieden. Vereinbart hat Falkner mit seinem Vertragspartner, dessen Kundenbeauftragter für alle Fragen zur Verfügung steht, daß die Rechnungen nach einzelnen Kostenstellen gegliedert sein sollen.

Ebenso angetan von Preisnachlässen und einem persönli- chen Service ist Jürgen Pawlik, Verwaltungsleiter der Honda Deutschland GmbH in Offenbach. Schon seit fünf Jahren ar- beitet der Automobilhersteller bei Auslandsgesprächen mit Worldcom zusammen. Nun setzt das Unternehmen auf die Dienste von Otelo. Pawlik hat einen Vertrag mit einjähriger Laufzeit abgeschlossen, der jederzeit kündbar ist. Momentan telefonieren 250 Mitarbeiter im Festnetz und 80 Außendienstler per Handy über Otelo-Netze. An aktuellen Telefonkosten fallen dabei monatlich 30000 Mark im Festnetz sowie 20000 im Mobilfunknetz an. "Bis zu 40 Prozent wollen wir einsparen", lautet das Ziel bei Honda.

An die 65 Prozent Kostenersparnis erhofft sich auch die Mexikanische Handelsmission in Bonn. Betreut wird die Dependance des lateinamerikanischen Staates seit Mai von der First Telecom, Spezialist für internationale Ferngespräche. Wie Projektleiterin Ulrike Nefferdorf mitteilt, habe man zunächst mit Esprit Telecom verhandelt, sich angesichts einer "schleppenden" Auftragsbearbeitung zuletzt aber anders entschieden. Überzeugend sei First Telecom aber nicht nur bei der persönlichen Betreuung. Kern des Vertrags ist eine sekundengenaue Abrechnung der Verbindungen nach Mexiko. Dazu stehen vier Telefone, ein Faxgerät sowie ein System für den elektronischen Datenaustausch zur Verfügung.

Wie die Beispiele zeigen, nutzen Geschäftskunden die neuen Alternativen im Wettbewerb gezielt zu ihrem Vorteil. "Vertragsverhandlungen erlauben es dem Kunden, Bedingungen zu vereinbaren", so Thomas Herbst von Andersen Consulting, "die bei einem monopolistischen Ansatz nur Kopfschütteln hervorgerufen hätten." Hätten die neuen Carrier noch vor wenigen Monaten geglaubt, ihre Investitionen durch eine hohe Abschlußquote im Geschäftskundenbereich wieder auszugleichen, sähen sie sich nunmehr mit Vertragspartnern konfrontiert, die ein ganzes Bündel an Leistungen und Verpflichtungen einforderten. Dazu zählen Netzverfügbarkeit, Reaktions- und Ausfallzeit sowie Garantie- und Haftungsansprüche bei Nichteinhaltung.

Was hier in das Geschäft eines Anbieters eingehe, relativiere schnell die Marge und damit auch die Attraktivität eines Geschäfts. Auch bei der Vertragsgestaltung ist der Kunde also eindeutig der Gewinner. DVPT-Chef Hübner: "Wer schließt denn heute noch Verträge, aus denen man nach drei oder vier Monaten nicht mehr herauskommt?"

Natürlich versuchen alle Anbieter, durch Erfolgsmeldungen die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Während die Deutsche Telekom beteuert, sie verlöre keine Kunden, melden die Herausforderer immer neue Zugänge. Davon läßt sich auch Hübner nicht beirren: "Beide haben recht. Die Deutsche Telekom behält zwar ihre Kunden im Ortsnetz, büßt dafür aber an Umsatz ein. Otelo, Arcor und Co. freuen sich dagegen über viele Neukunden im Fernverkehr über 50 Kilometer."

Wer nicht weiß, welches Angebot für ihn oder sein Unternehmen das richtige ist, kann sich beraten lassen. Eine Anlaufstelle ist zum Beispiel der DVPT. Hübner hat nicht nur die evangelische und katholische Kirche beraten, bevor diese sich für Otelo entschieden und nun pro Jahr Millionenbeträge einsparen. "Viele Berufs- und Landesverbände sowie Großunternehmen suchen nach Orientierung und wenden sich an uns als unabhängige Institution", berichtet der TK-Experte.

Allerdings mangelt es derzeit noch an ausreichend objektiven Beratungsstellen, bedauert Hübner. Viele Makler würden einem das Blaue vom Himmel versprechen. Ihre Beteuerung einer kostenlosen Beratung ist oft aber nur die halbe Wahrheit, denn der Carrier holt sich das Geld später vom Kunden zurück. Hübner: "Ich kann nur jeden davor warnen, sich mit Maklern einzulassen."

Über schwarze Schafe sollte man sich indes nicht wundern. TK-Insider Hübner rechnet mit einer Marktbereinigung bis Ende des Jahres, zumal viele Anbieter ihre Technik nicht in den Griff bekämen. "Insbesondere kleinere City-Carrier setzen Millionen in den Sand, die vom Steuerzahler finanziert werden müssen."

Rundum zufrieden mit den Leistungen des City-Carriers Netcologne ist dagegen die Music Com GmbH. Der Kölner Messeveranstalter hat ein hohes Gesprächsaufkommen im Ortsnetzbereich. Die meisten Lieferanten, Projektpartner, Ansprechpartner in Behörden, Messe und Verwaltung sitzen vor Ort. Thomas Zimmermann, Leiter Finanzwesen, rechnet deshalb durch Netcologne mit einer Kosteneinsparung von 25 Prozent.

Zimmermann mußte jedoch auch feststellen, daß im freien TK-Wettbewerb ein scharfer Wind weht. Seinen Angaben zufolge neigt die Telekom sogar zur Schikane. "Immer wenn man bei der Telekom-Auskunft die Nummer des Messeveranstalters erfragen wollte", berichtet Zimmermann, "hieß es, das Geschäftsverhältnis endet am 19. April." Viele Anrufer hätten geglaubt, Music Com sei pleite. Deshalb bat der Kunde Netcologne, sich der Sache anzunehmen. Überhaupt, so Zimmermann, sei man mit der Kundennähe und Dienstleistungsqualität des City-Carriers sehr zufrieden.

Auf der anderen Seite berichteten Mitarbeiter, die als Privatkunden die Dienste des City-Carriers in Anspruch nehmen wollen, von großen Verzögerungen bei der Abwicklung. "Kein Wunder", so Zimmermann, Netcologne habe massiv Werbung betrieben und komme der hohen Nachfrage einfach nicht nach.

Überhaupt scheint der erhoffte Durchbruch zum Privatkunden ferner denn je. Wie die Münchner Projektgruppe für betriebswirtschaftliche Studien (PbS AG) im Rahmen einer bundesweiten Erhebung in 1300 Haushalten ermittelte, lassen die meisten Kunden trotz aller Vorteile eines Wechsel zu einem Telekom-Konkurrenten alles beim alten. 60,6 Prozent der Gesamtbevölkerung sind demnach mit den Leistungen der Telekom zufrieden, und nur 36,5 Prozent tendieren zu einem Wechsel. Wie man sich in letzterem Fall allerdings verhalten soll, weiß kaum jemand. "Für die meisten ist dies viel zu aufwendig", meint Projektleiterin Monika Hochköpper.

Die Studie hat auch das Hauptprofil eines wechselwilligen Kunden erstellt. Er ist in der Regel männlich, jung, nutzt häufig auch Mobilfunkangebote und ist überdurchschnittlich selbständig. Er lebt vorwiegend in Single-Haushalten und ist kinderlos. Außerdem führt er überdurchschnittlich viele Telefonate im Ortsnetzbereich und weist den höchsten Ferngesprächsanteil auf. "Drei Viertel aller Kunden favorisieren Call-by-call. Preselection-Angebote finden dagegen keine Akzeptanz", so Hochköpper.

Die Studie legt nahe, daß sich viele Kunden der Telekom-Herausforderer unter Selbständigen im Soho-Umfeld (Soho = Small Office, Home Office) tummeln. Überdurchschnittlich viele DV-Freiberufler und kleinere Unternehmen dürften also schon alternative Angebote nutzen. Attraktiv könnten für diese Zielgruppe auch die Offerten der Industrie wie Least Cost Router oder spezielle Softwareprogramme sein, die im Leasing-Verfahren bereits für weniger als zehn Mark monatlich zu haben sind. Bei regelmäßiger Anwendung dürften sich diese Investitionen schnell bezahlt machen.

Wie sehr sich die Anbieter nun auf den Privatmarkt einschwören, zeigt Otelo. Mit dem Mega-Angebot von sechs Pfennig pro Minute läutete der Carrier über Pfingsten eine neue Runde des Preispokers ein. Zudem entfiel Anfang Juni die Preselection-Bindung. Wer das Angebot wählt, braucht sich nicht mit Grundgebühren, Mindestumsätzen und aufwendigem Papierkram herumzuplagen - die Vorwahl "01011" genügt.

Die Gründe für das Ringen um Privatkunden liegen auf der Hand: Während die Business-Anwender in Scharen die Seite wechseln, kommt das Angebot der neuen Player bei Privatverbrauchern noch nicht recht an. Trotz der hohen Bekanntheit von Otelo und Arcor, die enorm in Werbung und Sportsponsoring investieren, halten sie sich aufgrund verwirrender Tarifmodelle zurück.

So ist es nicht verwunderlich, wenn der nächste Schub in puncto Wettbewerb und Kundennutzen in den Ortsnetzen stattfinden wird. Noch sträubt sich die Telekom mit allen Mitteln dagegen. Ob die von der Regulierungsbehörde festgesetzte Obergrenze von 20,65 Mark für die Vermietung eines Anschlusses an die Telekom-Konkurrenz letztlich auch akzeptiert wird, darf angesichts bisheriger Erfahrungen durchaus bezweifelt werden. Dennoch rechnen die Marktbeobachter bis Ende des Jahres mit einer spürbaren Belebung des Marktes. So sagt Andersen-Consulting-Mann Thomas Herbst "ein gewinnbringendes Geschäft für Netzanbieter, Reseller und Kunden" voraus.

Angeklickt

Die Offerten der neuen Anbieter im liberalisierten deutschen TK-Markt haben bei Otto Normalverbraucher bislang noch wenig Akzeptanz gefunden. Zu verwirrend sind die Tarifmodelle. Zudem hat die Telekom im Ortsbereich kaum Konkurrenz. Anders die Freiberufler und mittelständischen Unternehmen, die vom freien Angebot Gebrauch machen, um ihre TK-Kosten drastisch zu senken.

Winfried Gertz ist freier Journalist in München.

Abb.1: Bevorzugtes Einwahlverfahren

Mindestens drei Viertel der Kunden neuer Anbieter telefonieren über Call-by-call. Die Preselection-Angebote finden derzeit fast keine Akzeptanz beim Nutzer. Quelle: PbS AG

Abb.2: Carrier-Wechsel

Knapp ein Fünftel der mittelständischen Unternehmen hat bislang den TK-Anbieter gewechselt. Quelle: Emnid

Abb.3: Einsparungspotiental

Die meisten Mittelständler erwarten sich durch das Drehen an der TK-Preisschraube 20 bis 40 Prozent Einsparungen. Quelle: Emnid