Geschaeftsfuehrer bleibt nach Uebernahme dem Unternehmen erhalten IBM am Ziel: Bei 3,5 Milliarden wird Lotus-Chef Jim Manzi weich

16.06.1995

MUENCHEN (CW) - Schneller als erwartet haben IBM und die Lotus Development Corp. eine Einigung erzielt: Fuer 3,52 Milliarden Dollar - 220 Millionen mehr als urspruenglich von Big Blue geboten - geht Lotus in den Besitz der IBM Corp. ueber. Damit ist die groesste Uebernahme in der Softwaregeschichte unter Dach und Fach, sofern die US-Kartellbehoerden keine Einwaende haben.

IBM und Lotus nutzten den heiligen Sonntag zu einer friedlichen Einigung und machten aus dem feindlichen Uebernahmeangebot kurzerhand ein freundliches. Der Preis pro Aktie liegt mit 64 Dollar um vier Dollar ueber der urspruenglichen Offerte (siehe CW Nr. 23 vom 9. Juni 1995, Seite 1: "IBM will sich mit Lotus den Notes-Markt kaufen").

Die Notes-Company wird weiterhin unter dem Namen Lotus Development firmieren und mit Jim Manzi ihren langjaehrigen Chef behalten.

Manzi wird ausserdem Senior Vice-President der IBM und berichtet direkt an deren Chef Louis Gerstner. Der Lotus-Geschaeftsfuehrer soll fuer eine sichere Eingliederung des Softwarehauses in den weltweit groessten IT-Konzern sorgen. Gerstner zeigte sich zufrieden darueber, dass Manzi und andere Fuehrungskraefte ihrem Unternehmen auch nach der Uebernahme treu bleiben wollen.

Wer neben der IBM in Uebernahmegespraechen mit Lotus stand, bleibt Manzis Geheimnis. Geruechte, nach denen auch AT&T und Oracle Interesse gezeigt hatten, blieben unbestaetigt. Allerdings duerfte das IBM-Angebot von kaum einem Unternehmen zu ueberbieten gewesen sein, denn nur wenige Firmen sind in der Lage, mehr als drei Milliarden Dollar cash auf den Tisch zu legen.

Der IBM ging es bei der Akquisition von Lotus in erster Linie um die erfolgreiche Groupware Notes, die laut Gerstner durch IBMs Finanz- und Marketing-Unterstuetzung nun in 140 Laendern weltweit Verbreitung finden soll. Deshalb war es fuer Big Blue nicht allein wichtig, Lotus-Chef Manzi zu ueberzeugen; auch der Notes- Chefentwickler Raymond Ozzie musste auf die Seite der IBM gebracht werden. Ob dies auf lange Sicht gelungen ist, bleibt ungewiss - sicher ist indessen, dass Ozzie in die Uebernahmegespraeche involviert wurde.

Notes gilt als das dominierende Produkt im rasant wachsenden Markt fuer Groupware. Waehrend die Software qualitativ und konzeptionell unumstritten ist, hatten Anwender zuletzt immer mehr am Support auszusetzen. Offenbar war das Softwarehaus, das im letzten Jahr bei einem Umsatz von 970 Millionen Dollar einen Verlust von mehr als 20 Millionen hinnehmen musste, nicht mehr in der Lage, das komplette Produkt-Portfolio einschliesslich der Office-Suite und der Groupware angemessen zu unterstuetzen.

Bedrohliche Konkurrenz durch Microsoft

Lotus kaempft zur Zeit darum, Notes in der Version 4.0 verfuegbar zu machen. Die Softwerker stehen unter Druck, denn die Konkurrenz durch Microsoft nimmt bedrohliche Ausmasse an. Der Softwarekroesus aus Redmond steht nicht nur kurz vor der Auslieferung des lange erwarteten Windows-3.1-Nachfolgers Windows 95, er will auch bis Jahresende die Messaging-Software Exchange auf den Markt bringen. Diesem Backend-Kommunikationsprodukt wird zwar nicht die gleiche Leistungsfaehigkeit wie Notes konzidiert, aber es ist nach Auffassung von Experten wesentlich einfacher zu bedienen und zu managen.

Anwender und Industriebeobachter sind von den Vorteilen eines Zusammenschlusses von IBM und Lotus ueberzeugt. Im Office-Markt koennte das Softwarehaus im Kampf gegen die schaerfsten Wettbewerber Microsoft und Novell von den enormen Ressourcen der IBM profitieren. Ausserdem duerften sich die Support- und Marketing- Aktivitaeten rund um die Groupware-Software verbessern.

"Auf der letzten Konferenz der deutschen Notes-Usergroup wurde klar, dass viele Anwender mit den Service- und Support-Leistungen von Lotus sehr unzufrieden sind", berichtet beispielsweise Christian Christoph, Geschaeftsfuehrer der deutschen Notes- Usergroup, die inzwischen rund 100 Mitglieder zaehlt. Zwar sei seine Aussage nicht repraesentativ, weil er bisher nur mit einigen Anwendern darueber gesprochen habe, aber diese verspraechen sich von einem IBM-Engagement Verbesserungen.

Ein Anwender, der nicht namentlich genannt werden will, bestaetigt diese Einschaetzung: "Schlechter kann es mit Support und Service hier in Deutschland nicht werden. Die Schmerzgrenze ist ueberschritten."