Baden-Württembergische Fachhochschulen bieten mehr

Gesamtheitliches CIM-Konzept für die Ingenieurausbildung

15.12.1989

Nahezu alle Fachbereiche der baden-württembergischen Fachhochschulen haben CA-Inhalte in ihr Ausbildungsangebot aufgenommen. Sie verfügen über eine einheitliche Hardware-Ausstattung und arbeiten mit der gleichen CAD-Anwendungssoftware. Schrittweise ist der Übergang von der reinen CAD/CAM-Ausbildung zu auf ClM-Ansätzen basierenden Lehrinhalten vollgezogen worden.

Die Fachhochschulen Baden-Württembergs sind überwiegend technisch orientiert, wobei die maschinenbaulichen Fachrichtungen wie Allgemeiner Maschinenbau und Verfahrenstechnik sowie Spezialgebiete wie Bautechnik, Feinwerktechnik, Kunststofftechnik und Fahrzeugtechnik den Schwerpunkt bilden. Diese Bereiche werden in ihrer praktischen Umsetzung in der Industrie seit Jahren immer stärker von den rechnergestützten Verfahren durchdrungen.

Rasches Vordringen der CA-Techniken

Die Fachhochschulen haben in den Ausbildungsinhalten diese Talsache stets berücksichtigt und in speziellen Gebieten sogar Leitfunktionen übernommen. So gibt es inzwischen über Lehrangebote und Praktika für CAD, CNC und FEM und artverwandte Bereiche. In Rechner, Programmsysteme und numerisch gesteuerte Werkzeugmaschinen wurde erheblich investiert.

Bereits Anfang der 80er Jahre sahen sich die baden-württembergischen Fachhochschulen durch das rasche Vordringen der CA-Technologien vor eine neue in ihrem Umfang bisher nicht dagewesene Herausforderung gestellt. Dies galt sowohl hinsichtlich der Ausbildungsinhalte als auch in bezug auf die maschinelle und personelle Ausstattung. Als Konsequenz setzte die Landesregierung eine CAD/CAM-Forschungskommission ein, die in ihrem Abschlußbericht einen steigenden CAD/CAM-Einsatz in mitteländischen Unternehmen und einen daraus resultierenden hohen Bedarf an hierfür ausgebildeten Ingenieuren hervorhob. Sie empfahl deshalb den baden-württembergischen Fachhochschulen, sich in der Lehre und Forschung verstärkt den CA-Technologien zuzuwenden.

Vor dem skizzierten Hintergrund stellte das Ministerium für Wissenschaft und Kunst von Baden-Württemberg 1984/85 ein Schwerpunktprogramm I auf. Darin wurde als erster Schritt vorgeschlagen, eine CAD-Grundausstattung zu finanzieren. Jede technisch-orientierte Fachhochschule sollte in die Lage versetzt werden, die vorgetragenen Lehrinhalte durch praktische Übungen zu veranschaulichen. Neben dem Einsatz der CAD-Systeme im Vorlesungsbetrieb wurden als weitere Einsatzfelder Diplomarbeiten sowie Übungen und Weiterbildungsveranstaltungen genannt.

Nachrichtentechnik ist ohne CAD nicht denkbar

Als besonders förderungswürdige Ausbildungsschwerpunkte stufte das Ministerium Studiengänge im Maschinenbau, in der Feinwerk- und der Produktionstechnik ein. Für die intensive Ausbildung, für die Praktika und die Diplomarbeiten sollte eine Anzahl von CAD-Arbeitsplätzen geschaffen werden. Die Fachhochschulen Aalen, Esslingen, Heilbronn, Karlsruhe, Konstanz, Reutlingen und Ulm wurden in bezug auf die CAD/CAM-Ausbildung im Maschinenbau als besonders förderungswürdig eingestuft, da hier auch Ausbildungsgänge in der Produktionstechnik, der Fertigungs- und Verfahrenstechnik sowie teilweise der Fertigungsbetriebswirtschaft im Lehrplan angeboten werden. Einen zunehmenden Bedarf an CAD-Systemen sahen die Fachhochschulen auch in Studiengängen in den Bereichen Bauwesen, Produktgestaltung (Produktdesign), Elektronik und Informatik.

Auch die nachrichtentechnischen Fachbereiche haben einen CAD-Ausbildungsbedarf, der von einer Fachhochschule wie folgt begründet wurde: "Die moderne Entwicklung in der Nachrichtentechnik ist ohne den CAD-Einsatz nicht mehr denkbar. Junge Ingenieure müssen mit den CA-Techniken vertraut sein, um hochwertige Produkte mit vertretbarem Entwicklungs- und Fertigungsaufwand herstellen zu können."

Die Fachhochschulen für Gestaltung in Pforzheim und Schwäbisch Gmünd votierten ebenfalls für den Einsatz von CAD-Systemen. "Die Produktgestaltung mit CAD-Hilfe ist eine interessante Anwendung der grafischen Datenverarbeitung. Hier besteht ein echter Bedarf für den CAD/CAM-Einsatz."

Praktische Erfahrungen mit CAD-Systemen fehlen

Für die Umsetzung des CAD/ CAM-Konzeptes der Fachhochschulen sowie für die Erarbeitung eines Hardware- und Softwarebeschaffungsantrages wurde eine Auswahlkommission gebildet. Unter der Federführung des Ministeriums für Wissenschaft und Kunst prüfte das Gremium, dem überwiegend Vertreter der Fachhochschulen angehörten, zunächst, ob eine einheitliche Systemausstattung angestrebt werden sollte. Dafür sprachen neben den Kostenvorteilen und den sich aus einer einheitlichen Systempflege ergebenden positiven Effekten vor allem die dadurch mögliche intensivere Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Hoch schulen. Im Beschaffungsantrag wurde unter anderem argumentiert: "Da nur wenige Fachhochschulen praktische Erfahrungen mit CAD-Systemen haben, ist ein intensiver Erfahrungsaustausch zwischen den einzelnen Fachhochschulen erforderlich, um den Erfahrungsrückstand möglichst schnell und effektiv auszugleichen. Dieses Vorhaben wird durch eine einheitliche Systemausstattung wesentlich begünstigt.'' Als möglichen Nachteil sah die CAD/CAM-Auswahlkommission, daß nicht in allen Fällen die vorhandenen örtlichen Systemverhältnisse berücksichtigt werden können. Nach Abwägung aller Argumente dafür und dagegen wurde einstimmig für ein einheitliches CAD/CAM-Systemkonzept votiert.

Intensiver Austausch zwischen den Schulen

Die CAD/CAM-Auswahlkommission definierte dann die Anforderungen an CAD-Ausbildungssysteme an Fachhochschulen und erstellte einen Anforderungskatalog für die CAD-Software. Zehn Anbieter von Hard- und Software und weitere fünf reine CAD-Programmanbieter wurden aufgefordert, Informationsangebote abzugeben. Die offerierten Systemlösungen wurden einer Nutzwertanalyse unterzogen. Besonders hoch in der Gewichtung eingestuft waren die Kriterien "Umfang und Lauffähigkeit der Software", "Zukunftssicherheit der Lösung" und "Möglichkeiten der Erweiterungen der Anwendungsbereiche". In die Endauswahl kamen bei der Hardware die Angebote der Firmen Digital Equipment (DEC), Hewlett-Packard, IBM, PCS und Prime. Die CAD/CAM-Auswahlkommission empfahl aufgrund der Ergebnisse der Nutzwertanalyse die einheitliche Anschaffung von MicroVAX II-Rechnern von Digital Equipment als CAD-Systeme. Mitentscheidend für die Systemauswahl war das breite Marktangebot an CAD/CAM-Anwendersoftware für VAX-Rechner.

CAD/CAM-Arbeitskreise wurden ins Leben gerufen

Im Rahmen des ersten Schwerpunktprogrammes des Landes Baden-Württemberg in dem für die CAD/CAM-Ausbildung der Fachhochschulen (auf fünf Jahre verteilt) elf Millionen Mark bereitgestellt wurden, haben dann 1986 siebzehn technisch orientierte Fachhochschulen als Erstausstattung eine oder zwei DEC-Rechner MicroVAX II erhalten mit jeweils bis zu vier grafischen Arbeitsplätzen von Sigmex und Plottern von Hewlett-Packard. In Reutlingen wurde auf Wunsch der dortigen Fachhochschule das vorhandene PCS-System ergänzt. Die Designfachhochschulen Pforzheim und Schwäbisch Gmünd wurden gleichfalls mit einer CAD-Ausstattung versehen.

Ende 1988 wurden in zehn Fachhochschulen die vorhandenen Konfigurationen zu VAX-clustern erweitert. In einem so geschaffenen Hochleistungsnetzwerk fungiert jeweils eine VAX 3500/3600 als Server. Außerdem wurden pro Fachhochschule zwischen zwei und zehn Workstations VAX 2000 als zusätzliche grafische Arbeitsplätze hoher Leistung angeschafft. Als CAD-Anwendungsgrundsoftware ist einheitlich das System PROREN von Isykon implementiert, das die Anforderungen der Fachhochschule aus den Bereichen Konstruktion und Elektrotechnik abdeckt. Für die Bereiche Bauingenieurwesen, Architektur und Vermessungswesen wurden Standardprogramme des Recheninstituts für Bauwesen (RIB) ausgewählt. Die Design-Fachhochschulen haben sich teils der einheitlichen Beschaffung angeschlossen, teils auch die spezielle 3D-Software-Euclid erworben.

Im Jahre 1987 wurde von den Fachhochschulen Baden-Württembergs ein CAD/CAM-Arbeitskreis gegründet. Spezielle Arbeitsgruppen beschäftigen sich mit CAD/CAM sowie dem CAD-Einsatz im Bauwesen. Auch die Systembetreuer haben eine Arbeitsgruppe gebildet. Der CAD/CAM-Arbeitskreis lädt zu ausgewählten Themen im CIM-Bereich, bei Expertensystemen und anderem mehr Referenten von DEC und Isykon ein.

ClM-Projekte in der Diskussion

Die Fachhochschulen nutzen das Gremium auch zu einem Erfahrungsaustausch über Probleme bei der Hard- und Software. Sie berichten über durchgeführte Arbeiten im CIM-Zielbereich (Diplomarbeiten, Forschungsvorhaben, Industrieprojekte). Außerdem werden Herstellerunterlagen didaktisch überarbeitet. Teilweise findet auch ein Austausch von Vorlesungen beziehungsweise Lehrunterlagen statt. Zur gegenseitigen Unterstützung gehören der Austausch von Programmen (Diplomarbeiten) sowie die Einarbeitung von neuen Assistenten, Schulungen mit externen Referenten werden ebenfalls organisiert und durchgeführt.

Eine wesentliche Aufgabe des CAD/CAM-Arbeitskreises sind strategische Überlegungen für den Ausbau der CAD/CAM-Zentren. Er formuliert auch neue CIM-Schwerpunkte für Vorlesungen die Forschung und für Industrieprodukte.

Integration steht im Vordergrund

Aktuelle Themen der letzten Zeit waren und sind die Schaffung von zukunftsweisenden Hochleistungsnetzwerken in den Fachhochschulen die Ankoppelung weiterer Systeme sowie die Integration vorhandener CIM-Bausteine in ein Gesamtsystem (beispielsweise von CAD/CAM und CAP respektive CAQ oder von CAD/CAM und PPS).

Nachdem durch die Ende 1988 erfolgte Systemaufrüstung nunmehr die anlagentechnischen Voraussetzungen für eine umfassende CAD/CAM-Ausbildung an den Fachhochschulen vorhanden sind, soll verstärkt in der Richtung CIM gedacht werden.

Das CIM-Ausbildungskonzept der baden-württembergischen Fachhochschule soll auf folgenden Lehrinhalten basieren: CIM-Bausteine, Hardwarekonfigurationen, Schnittstellenproblematik, Netzwerke, Datenbanksysteme, Einsatz und Anwendung der Systeme. Systemauswahl, Auswirkungen auf die Betriebsorganisation, Möglichkeiten und Grenzen der CIM-Technologie.

Bereits festgelegte Lernziele sind: CIM-Bausteine kennenlernen, Erkennen logischer Zusammenhänge der CIM-Bausteine sowie deren gemeinsamer Datenbasis, Kommunikationsmöglichkeiten der CIM-Bausteine, Planung der Einführung von CIM-Bausteinen, Erkennen der CIM-Auswirkungen auf die Flexibilität, Produktivität und Organisation von Unternehmen, Handhabung der CIM-Bausteine in Vorlesungen, Praktika, Studien- und Diplomarbeiten.

Mit dem didaktischen Ausbildungskonzept für CIM-Technologien sollen das Interesse geweckt und Zusammenhänge dargestellt werden. Dies geschieht durch Übungen in kleinen Gruppen (8 bis 12 Studenten), Vertiefung in der betrieblichen Praktika, die Berücksichtigung moderner Technologien und durch Seminare für Mitarbeiter der regionalen Industrie. Das Feedback aus dem Technologie-Transfer mit der Wirtschaft und anderen Lehr- und Forschungseinrichtungen ist ebenfalls Bestandteil des didaktischen CIM- Konzeptes.

Als Beispiel für das Umsetzen der Vorschläge des CAD/CAM- Arbeitskreises ist das CIM-Lehrangebot in der mechanischen Konstruktion verschiedener Fachhochschulen dreiteilig gegliedert. Im Grundstudium werden eine EDV-Grundausbildung, aber auch bereits CIM-Grundlagen vermittelt sowie CIM-Bausteine (CAD, CAM u.a.) praktisch demonstriert. Im Aufbaustudium werden Vorlesungen und Übungen zu CAD, CAM, CAP, PPS, CAQ und QAE angeboten. Weiterer Bestandteil sind ein Industriesemester sowie praktische Übungen in CIM- Projekten, gefolgt von einer vertiefenden Informatikausbildung zu den Themen Datenbanken, Netzwerke, Expertensysteme und Schnittstellen. Den Abschluß bilden Studien- und Diplomarbeiten im ClM-Bereich.

In der ClM-Weiterbildung werden Seminare und Übungen zu CAD, CAM, CAP, PPS, CAQ und CAE, eine vertiefende Informatikausbildung (mit den Inhalten des Aufbaustudiums) angeboten sowie ClM-Einführungsstrategien vermittelt.

Im Rahmen der angewandten Forschung sollen Schnittstellen zwischen unterschiedlichen Systemen geschaffen, die Benutzeroberflächen von CIM-Systemen verbessert, sowie Netzwerke und CIM-Systeme angepaßt werden. Unter das Stichwort neue Ausbildungskonzepte fallen die Entwicklung von Teachware und von Help-Funktionen für CIM-Softwareprodukte sowie von CIM-Ausbildungs- und Weiterbildungskonzepten.

CA-Methoden im Ingenieurbereich einsetzen

Künftig wollen die Fachhochschulen die gesamtheitliche Betrachtung des Einsatzes der CA-Technologien stärker in den Mittelpunkt rücken. Dies soll in der Form einer Schwerpunktbildung an den einzelnen Fachhochschulen geschehen. Dabei werden die getätigten Investitionen in ein ClM-Gesamtkonzept zur Entwicklung neuer CA-Methoden im Ingenieurbereich überführt.

Um die erweiterten Ziele verwirklichen zu können, sind nach den Erkenntnissen des CAD/CAM-Arbeitskreises bei den Fachhochschulen in den Bereichen CAD, CAP, CAM, CAQ und PPS weitere erhebliche Hard- und Software Investitionen erforderlich. Ebenso werden weitere Professorenstellen, vor allem aber Neueinstellungen beim technisch-wissenschaftlichen Personal als notwendig erachtet. Auch mit steigenden Wartungs- und Instandhaltungskosten wird gerechnet.

Das Land Baden-Württemberg hat deshalb für die Jahre 1990 bis ] 994 ein weiteres Schwerpunktprogramm für die Fachhochschulen aufgelegt. Es basiert auf der Annahme, daß die Industrie zur Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit in den 90er Jahren zunehmend CIM-Konzepte realisieren wird, für die derzeit noch die entsprechend ausgebildeten Ingenieure fehlen. Um die Industrie bei der technischen und personellen Umsetzung der CIM-Konzepte zu unterstützen, wollen die Fachhochschulen in den 90er Jahren neben der Ausbildung hochqualifizierter Ingenieure die industrienahe Ausbildung in CIM forcieren, entsprechende Aktivitäten in der angewandten Forschung fördern und neue Ausbildungskonzepte entwickeln .