Kolumne

"Gerstners Erbe"

08.03.2002
Christoph Witte Chefredakteur CW

Als Sam Palmisano am vergangenen Freitag offiziell das Amt des IBM-Chefs von Louis Gerstner übernahm, dürfte ihm etwas mulmig zumute gewesen sein. Schließlich tritt er ein schweres Erbe an. Seinem Vorgänger gebührt das Verdienst, die IBM aus der tiefsten Krise ihrer Geschichte geführt zu haben. Gerstner sind vor allem drei Dinge zu verdanken: Trotz der milliardenhohen Verluste hat er 1993 alle Pläne zur Zerschlagung von IBM vom Tisch gewischt und den Hersteller konsequent auf das Service- und Lösungsgeschäft ausgerichtet. Und last, but not least startete unter Gerstner die "E-Business"-Kampagne. Viel stärker, als es die Zukäufe von Lotus (1995) oder dem System-Management-Spezialisten Tivoli (1996) vermochten, brachte diese Kampagne Big Blue in der anschwellenden Internet-Euphorie die notwendige Schubkraft zurück. Nicht nur die Außenwirkung dieser Botschaft war enorm, auch den vielen tausend Mitarbeitern gab sie offenbar wieder eine Orientierung. Endlich wusste wieder jeder, wozu er in dem riesigen Getriebe gut war, wohin ein bestimmtes Forschungsergebnis, Produkt oder Service gehörte.

Zum branchenweit meistbewunderten Geschäftsmodell wurde IBM aber erst, als Ende 2000, Anfang 2001 die Internet-Blase platzte und fast alle Hersteller massive Einbrüche zu verzeichnen hatten - außer IBM eben, die im gesamten Jahr 2001 mit einem Minus von drei Prozent beim Umsatz und knapp fünf Prozent beim Gewinn vergleichsweise gut davonkam. Natürlich weiß inzwischen jeder, dass das an der Kombination aus Produktportfolio, Fertigungstiefe und der hochdrehenden Vertriebsmaschine Global Services liegt. Aber Gerstner wusste das schon 1994 und richtete den Konzern entsprechend aus.

Der seit 30 Jahren bei der IBM beschäftigte Palmisano (er hat schon Gerstners Vorgänger John Akers als Assistent gedient) hat höchstens zehn Jahre - dann ist er 60 -, um aus Gerstners Schatten zu treten. Und damit wird er sich schwer tun. Zum einen ist er kein Outsider, der einen von internen Bindungen und firmenkulturellen Zwängen freien Blick auf das Ganze werfen könnte, und zum anderen findet er ein zumindest weitgehend bestelltes Feld vor.

Mit Global Services steht IBM glänzend da, wenn auch die Zuwächse im letzten Quartal 2001 ausgeblieben sind. Allerdings wird sich nicht dort, sondern im schwächelnden Hardwaregeschäft erweisen, ob Palmisano ein ebenso prägender IBM-Boss wird wie sein Vorgänger. In diesem Segment verzeichnete IBM im vergangenen Jahr ein Minus von elf Prozent, im vierten Quartal 2001 sogar eins von 24 Prozent. Dabei ist aber der Umsatzanteil mit knapp 39 Prozent so hoch, dass IBM sich hier auf Dauer keine sinkenden Einnahmen leisten kann. Auch die Umsätze im Softwaregeschäft bleiben trotz der jüngsten Middleware-Erfolge des Unternehmens weitgehend von der Hardware abhängig.

Man kann es auch anders ausdrücken: Ohne eine gesunde Hardwarebasis funktionieren langfristig weder Global Services noch das Softwaregeschäft der IBM. Nur wenn Palmisano dem Hardwaregeschäft wieder auf die Sprünge hilft, kann er seinen bisherigen Boss übertrumpfen, der sich hier bekanntlich wenig Lorbeeren verdient hat.