Mobile Computing/Außendienst-Laptops werden täglich auf den aktuellen Stand gebracht

Gerling-Konzern holt Antrags- und Auftragssystem aus der Isolation

20.08.1999
Vertriebsinformationssysteme (VIS) sind für Versicherungen unabdingbar. Um die Laptops ihrer Außendienstmitarbeiter immer auf dem tagesaktuellen Stand zu halten, haben die Gerling-Leute ihr bisher isoliertes Antrags- und Auftragssystem zu einem VIS aufgewertet. Ansgar Püster* schildert Vorgehen und Wirkungsweise.

Als führender Industrieversicherer ist Gerling in hohem Maße auf gut informierte und sachkundige Außendienstmitarbeiter angewiesen. Das seit längerem vorhandene Angebots- und Antragssystem wurde daher kürzlich um tagesaktuelle Kunden- und Vertragsdaten erweitert. Mit dem Vertriebsinformationssystem "Gervis" (Gerling-VIS) auf Laptop-PCs soll sich die Beratungsqualität im Außendienst weiter erhöhen.

Damit der Außendienstler zuverlässig auf seinem mobilen Computer Kunden-Daten und -Verträge abrufen kann, entwickelte Gerling in Zusammenarbeit mit der Gauss Software AG ein komplexes Programmsystem, das die Daten von den BS2000-Host-Systemen in Köln zu den Außendienstmitarbeitern überträgt.

Wie bei Gerling üblich, wurde die Anwendungsentwicklung von einer Doppelspitze geleitet. Projektleiter Dietmar Kierdorf vertrat dabei den Auftraggeber, das Vertriebsressort des Gerling-Konzerns Allgemeine Versicherung AG (GKAV), und Johannes Lamberts den hauseigenen DV-Dienstleister, die GKI.

Zu Projektbeginn wurden anhand der technischen Voraussetzungen am Markt verfügbare Standardlösungen für Vertriebssteuerung analysiert und bewertet. Doch keine der untersuchten Lösungen erfüllte die gestellten DV-technischen Anforderungen. Eine Hürde bildete die Übernahme der Daten vom BS2000-Host, eine weitere die Forderung nach einer Integration in die vorhandene Außendienstsoftware unter Windows. In das "Gervis IV" genannte Laptop-System ließen sich zwar bisher Kunden- und Vertragsdaten nicht übernehmen, aber die Vertriebsmitarbeiter waren mit dessen Funktionalität und insbesondere der Bedienung sehr vertraut. Daher sollte das bei Gerling mit dem ISA-Dialogmanager entwickelte Programm unter Nutzung der Datenbank SQL-Anywhere in jedem Fall erhalten bleiben. Die hier getätigten Investitionen waren auf jeden Fall zu sichern. Um im Projekt Macs (Marketing und Controlling System) möglichst schnell zu greifbaren Ergebnissen zu kommen, entschied sich das Projektteam nach eingehender Analyse von Alternativen für eine Datenbanklösung, ohne in die Struktur von Gervis einzugreifen.

Ein Grobkonzept listete zunächst die Datenquellen für die Außendienstlösung bei Gerling auf.

Dies sind verschiedene UDS-Datenbanken und ISAM-Dateien unter BS2000, im wesentlichen die Kundendatenbank KDB und die allgemeine Vertragsauskunft AVA, dazu noch Teile des zentralen Tabellensystems (Bankleitzahlen, Währungstabellen etc.) sowie die Organisationsdatenbank (ORG-DB), in der die Konzernstruktur hinterlegt ist. Da auf diesen operativen Systemen eine intensive Produktion läuft, verbot es sich, diese für das dispositive Vertriebssystem direkt anzuzapfen. Sie waren daher zunächst in der zentralen Oracle-Vertriebsdatenbank zu konsolidieren. Diese Daten sollten dann auf die Laptops verteilt und dort weiterverarbeitet werden.

Aufgrund seines Umfangs wurde das Projekt Macs in drei Teilprojekte gegliedert:

1. Das Datenbankteam agierte unter dem Vorsitz von Teilprojektleiter Stefan Schmitz, verantwortlich für die Modellierung und den Aufbau der DB-Strukturen unter Oracle sowie die Übertragung und konsistente Zusammenführung der Daten aus den Host-Systemen in die zentrale Vertriebsdatenbank unter Unix.

2. Das Teilteam Datenlogistik sollte Lösungen erarbeiten, mit denen sich die Daten auf die Laptops verteilen und insbesondere spätere Datenänderungen in der zentralen Oracle-Datenbank effizient in das SQL-Anywhere-Format auf den Laptops überführen ließen.

3. Der Bereich Anwendungsentwicklung unter Eberhard Klug erstellte die umfangreichen neuen Programmteile des Projektes Macs und integrierte sie in die vorhandene Anwendung Gervis.

Die Problematiken der Datenlogistik wurden dann im nächsten Schritt mit einer Reihe von Softwarehäusern diskutiert. Gauss hat die Probleme am besten verstanden und bot nach kurzer Vorbereitungszeit überzeugende Lösungsansätze. Keine perfekten, vollständigen Lösungen, aber schon die Präsentation ging sichtlich auf die Kundenbedürfnisse ein. Zudem besaßen die Hamburger bereits Projekterfahrung bei Gerling.

Anfang Juli 1997 begann die Arbeit am Teilprojekt Datenlogistik, das in vier Phasen gegliedert war. Alle am Gesamtprojekt Macs Beteiligten rückten auf einer Etage zusammen, die drei Gerling-Mitarbeiter des Teilprojektteams Datenlogistik zogen in ein gemeinsames Büro. In dieser Maßnahme lag ein wesentlicher Erfolgsfaktor: Teamgeist entstand, der die Abstimmungs- und Entscheidungsprozesse wesentlich beschleunigte und erleichterte.

Anfang 1997 erstellte das Projektteam Datenlogistik zusammen mit den Gauss-Leuten das DV-Fachkonzept für die Datenlogistik. Das Ergebnis zahlrei-cher Diskussionen und Tests umfaßte schließlich fast 200 Seiten Papier.

Ab August begann die Pilotierung der Macs-Datenlogistik, der eigentlichen Programmierung, in Kooperation mit den gleichen Unternehmen. Das Konzept erwies sich als tragfähig, letzte Schwächen in der Analyse wurden beseitigt und einige SQL-Statements umgestellt. Mit den angestrebten allgemeingültigen Lösungen gab es Probleme im Zeitverhalten.

Eine weitere Schwierigkeit hätte entstehen können, weil in der laufenden Entwicklung das Datenmodell der zentralen Oracle-Datenbank noch einige Male zu ändern war. Größere Teile der Programme der Datenlogistik wurden anhand von Templates generiert. So ließen sich die Programmteile schnell an modifizierte Anforderungen anpassen. Infolgedessen ist die Gerling-DV heute mit geringer manueller Vorbereitung in der Lage, nahezu sämtliche Programme der Datenlogistik auf Knopfdruck zu generieren. Egal ob sich Tabellen, Felder oder Feldtypen ändern, die gesamte Individualprogrammierung läßt sich ohne großen Aufwand generieren und weitestgehend automatisiert testen.

Im November 1997 führten die drei beteiligten Teilprojektteams dann erste Integrationstests durch. Die zentrale Oracle-Datenbank wurde mit Originaldaten gefüllt, die Datenlogistik leitete die eingestellten Daten an die Anwendungsentwicklung weiter, um den Datenfluß zu testen. Die Daten wurden in den neu erstellten Programmteilen auf den Laptops dargestellt.

Einen Monat später startete der erste Pilot mit 20 Außendienstmitarbeitern, um die Akzeptanz des Systems zu überprüfen. Sie akzeptierten das System.

Im Frühjahr 1998 folgten dann weitere Performance-Tests mit Echtdaten für 2000 Ziele. Besonderes Augenmerk galt diesmal der Geschwindigkeit. Denn jede Nacht sollten für bis zu 2000 Außendienstmitarbeiter Änderungen erzeugt und zur Verfügung gestellt werden.

Mit der Macs-Anwendung befand man sich "ganz hinten am Fliegenfänger". Erst wenn KDB, AVA, das Tabellensystem, die ORG-DB und weitere die Nachtverarbeitung beendet hatten, konnte gestartet werden. So verbleibt für Macs, also die Einspeisung der Daten in die zentrale Oracle-Datenbank und die Bereitstellung der Änderungen für den Außendienst, lediglich ein Produktionsfenster zwischen 22 Uhr abends und 6 Uhr morgens. Entsprechend genau wurden daher alle SQL-Statements und Algorithmen untersucht. Dabei ergab sich beispielsweise, daß selbst die Reihenfolge in den WHERE-Bedingungen eine große Rolle spielte. Eigentlich sollte das der Oracle-Optimizer richtig optimieren, doch manchmal agierte er genau in die verkehrte Richtung. Hier mußten dem Optimizer entsprechende Hints gegeben werden.

Die Projektteams realisierten so eine Lösung, welche die Daten vom BS2000 zunächst in eine zentrale Datenbank unter Oracle unter Reliant Unix (Sinix) konsistent zusammenführt, dort repliziert und schließlich in eine SQL-Anywhere Datenbank auf dem jeweiligen Laptop überträgt.

Im ersten Schritt erfolgt eine Bereitstellung der relevanten geänderten Daten als Flat-Files. Über eine FTP-Verbindung im Gerling-Netz (Gernet) mit 100-MBit-Strecke werden diese dann auf den Unix-Server transferiert und in die eigens für das Vertriebssystem neu aufgebaute Oracle-Datenbank eingelesen.

Im zweiten Schritt werden die Daten dann auf dem Server por- tionsweise bereitgestellt für die derzeit 1200, in der endgültigen Ausbaustufe etwa 2000 Außendienstmitarbeiter.

Während der Umfang der einmalig durchzuführenden Urladungen 6 bis 20 MB beträgt, erhalten Außendienstmitarbeiter später nur noch 10 bis 200 KB, bei umfangreichen Änderungen maximal ein Megabyte große Veränderungsdateien pro Tag. Sie werden für den Transfer über ISDN verschlüsselt und etwa auf ein Sechstel komprimiert, so daß sich der Datenverkehr über das Hausnetz auf ein Minimum reduziert.

Als Server dient ein Siemens-10-Prozessor-Rechner RM 600 mit 4 GB RAM und 300 GB gespiegelter RAID-Plattenkapazität, der als zentraler Unix-Server für eine Reihe von Anwendungen dient. Während der nächtlichen Verarbeitung steht nahezu die volle Kapazität der schnellen Maschine für Macs zur Verfügung. Da tagsüber für Macs lediglich Dateien abgeholt werden, läßt sich der Rechner dann von den anderen Anwendungen (zum Beispiel laufen 14 weitere Oracle-Instanzen) nutzen.

Ein dienstlicher ISDN-Anschluß zuhause

Auf den Laptops ist der Datentransfer via ISDN in die Win- dows-Oberfläche voll integriert. Über ein Icon startet der Außendienstmitarbeiter den Datentransfer: Vollautomatisch wird der nächste Cisco-Router angewählt, zum zentralen Unix-Server durchgeschaltet, und die Urladung oder die Änderungsdateien werden auf den Laptop übertragen. Die ISDN-Verbindung wird dann zunächst beendet, der neue Datenbestand in die SQL-Anywhere-Datenbank eingespielt und anschließend eine Statusdatei via ISDN zurück an den zentralen Unix-Server übertragen.

Alle Laptops sind wegen der einfacheren Fernwartung, der besseren Integration von Microsoft Office 97, der Nutzung von Exchange 5.0 sowie aus Sicherheitsaspekten mit Windows NT 4.0 ausgestattet. Zusätzlich ist die Festplatte der Laptops noch mit Safeguard verschlüsselt.

Für den Daten-Download wurde den 1200 Gerling-Außendienstmitarbeitern ein dienstlicher ISDN-Anschluß nach Hause gelegt. Beim Big-Bang in Köln erhielten sie ein neues Koffersystem: In dem schwarzen Lederkoffer verbirgt sich ein Toshiba-Laptop mit Netzteil und ein Canon-Tintenstrahldrucker.

Angeklickt

Die 1200 Außendienstmitarbeiter des Gerling-Konzerns holen sich derzeit täglich mit ihren mobilen Rechnern vom Konzern-Host aktuelle Daten ab. Von einer dezentralen Änderung von Kunden- und Vertragsdaten ist das Haus zwar noch ein Stück entfernt, aber ein entscheidender Schritt nach vorn ist dennoch gelungen. Er besteht in der verbesserten Beratung und Analyse des Kundenstamms.

Die nächste Ausbaustufe ist bereits geplant und soll dann den Geschäftsstellenleitern auch ein effektives Vertriebscontrolling ermöglichen.

*Ansgar Püster ist bei der Gerling DV-Tochtergesellschaft für Informations-Management und Organisation mbH (GKI) zuständig für das Teilprojekt Datenlogistik im Projekt Macs (Marketing undd Controlling System).