IT-Fortbildungsoffensive von Unternehmen, Gewerkschaften und Staat

Geradliniger Aufstieg für Seiteneinsteiger geplant

22.10.1999
Von Helga Ballauf* Das Bündnis für Arbeit bläst zur "Offensive zum Abbau des IT-Fachkräftemangels". Ein Aufruf, mit dem sich vor allem die Firmen selbst in die Pflicht nehmen - was Anforderungen an und Qualifizierungsangebote für Mitarbeiter angeht. Eine neue Fortbildungsstruktur will auf diesem anarchischen Feld erste Standards setzen.

Das Systemhaus der bayerischen Sparkassen, die Firma IZB Soft, sucht dringend Systemprogrammierer für Großrechner. Eine inzwischen selten gewordene Qualifikation. Das Unternehmen entschließt sich, fähige IT-Fachkräfte einzustellen und auf eigene Kosten weiterzubilden. Über Annoncen und mit Hilfe der bayerischen Arbeitsämter werden die ersten 24 Stellen besetzt. "Es sind keine ganz jungen Leute", sagt IZB-Organisationsleiter Frank Soballa, "Alter und Geschlecht spielen keine Rolle mehr."

Ein Beispiel für das Umdenken, das langsam in den Chefetagen der IT-Wirtschaft Platz greift: Enge Kooperation bei der Kandidatensuche mit den Arbeitsämtern, Chancen für ältere Fachkräfte, Spezialschulungen auf Kosten der Firmen. Erst wenige Betriebe sind bereit, ihre Personalentwicklungspolitik neu auszurichten. "Generell gilt immer noch: Für die junge Computerbranche sind Arbeitnehmer mit 45 Jahren alt, besonders dann, wenn ihre IT-Kenntnisse nicht up to date sind", berichtet Werner Steckel von der Bundesanstalt für Arbeit. Nur allmählich setze sich die Einsicht durch, "daß oft eine kurze Anpassungsfortbildung genügt, um vorhandene Lücken auszufüllen."

Wie heißt es so schön vorsichtig im IT-Papier des Bündnisses für Arbeit? Die Betriebe sollten "auf die Notwendigkeit der Nutzung der Berufserfahrung älterer Arbeitsloser hingewiesen werden." In manchen Sparten wie DV-Beratung und -Organisation klappe das ganz gut, berichten Peter Pauli und Werner Brendli vom Arbeitsamt München - sofern die Gehaltswünsche der Älteren nicht zu hoch sind.

Daß sich der IT-Fachkräftemangel nur beheben lasse, wenn mehr umgeschult und fortgebildet werde, ist eine weitere Erkenntnis des Bündnisses für Arbeit. Rund eine Milliarde Mark stehen der Bundesanstalt seit 1998 pro Jahr für verschiedenartige Qualifizierungsmaßnahmen zur Verfügung; allein 30000 arbeitslose IT-Fachkräfte profitieren davon jährlich. Eine höhere Geldsumme hat die Bundesanstalt auch nach dem Bündnisbeschluß nicht zur Verfügung. Wenn einzelne Arbeitsämter mehr als bisher im IT-Bereich qualifizieren wollen, müssen sie die Finanzmittel aus anderen Töpfen nehmen.

"Es war so bequem für viele Firmen, sich die Qualifizierung der DV-Spezialisten vom Arbeitsamt finanzieren zu lassen", sagt IZB-Mann Soballa. "Inzwischen sind immer mehr Unternehmen bereit, selbst in die Mitarbeiterfortbildung zu investieren." Die IZB Soft wird künftig auch Spezialschulungen im Auftrag anderer Betriebe anbieten. Über eine Kostenteilung zwischen Firmen und Arbeitsämtern wird derzeit noch diskutiert.

Quereinsteiger mit ungewöhnlichen Studienabschlüssen - das ist eine mögliche Mitarbeitergruppe, die von der IT-Wirtschaft oft noch unterschätzt wird, meint Pauli als Weiterbildungsexperte des Münchner Arbeitsamts: "Die meisten mußten sich durchboxen in ihrem Fach, mußten Durchsetzungskraft und Problemlösungsfähigkeit beweisen. Keine schlechte Voraussetzung in einer Branche, in der Schlüsselqualifikationen das A und O sind." Zugleich appelliert er an die Unternehmen, nicht nur Weltmeister, sondern auch Personen mit eingeschränkter Leistungsfähigkeit einzustellen. Die Sozialpartner der IT-Wirtschaft wagen sich beim Thema Weiterbildung an die Quadratur des Kreises. Gemeinsames Ziel von Zentralverband Elektrotechnik- und Elektronikindustrie (ZVEI), IG Metall, Postgewerkschaft und Deutscher Telekom ist ein Weiterbildungssystem, das die laufenden Veränderungen in der Branche mitvollzieht und gleichzeitig anerkannte und international vergleichbare Qualifikationsstandards setzt. "Im Moment existieren in der IuK-Branche mehr als 300 Fortbildungsbezeichnungen", beschreibt ZVEI-Experte Karlheinz Müller die Ausgangslage. "Das verunsichert Bewerber und Firmen gleichermaßen."

Ein erster Strukturvorschlag der Fachverbände liegt auf dem Tisch. Der Grundgedanke: Es gibt bereits Standards für die duale und für die akademische Ausbildung im IT-Bereich. Jetzt muß das Feld zwischen diesen Polen mit Hilfe durchlässiger und verläßlicher Weiterbildungsbausteine verbunden werden. Konkret heißt das: Die betriebliche Berufsausbildung für IT-System-Elektroniker, Fachinformatiker, IT-Systemkaufleute und Informatikkaufleute markiert den einen Pol. Auf der anderen Seite stehen die Hochschulabsolventen der Studienrichtungen IT-System Engineering und IT-Business Engineering. Vereinheitlichte Fortbildungsabschlüsse sollen künftig das Mittelfeld strukturieren. Diese Ziele sollen in zwei Abschnitten erreicht werden.

Auf der ersten Stufe soll die Möglichkeit bestehen, sich auf betriebliche Tätigkeitsfelder wie Geräte und Anlagen, Fest-und Funknetze, Systeme, Prozesse, Anwendungen oder Network Computing zu spezialisieren. Welche Kompetenzen die Beschäftigten jeweils brauchen und über welche Bildungsbausteine sie fehlende Qualifikationen erwerben können, legen demnächst die Praktiker der Fachverbände fest. Als Abschluß der Stufe eins winkt ein Kammer-Zertifikat. Dieser Weg empfiehlt sich für Seiten- und Wiedereinsteiger sowie für dual ausgebildete IT-Professionals, die Firma oder Tätigkeitsfeld wechseln wollen. Bisher werden wertvolle Qualifikationen bei einem Arbeitsplatzwechsel nicht anerkannt, weil ihr Nutzen für die neue Aufgabe nicht transparent ist.

Auf der zweiten Stufe liegen die Arbeitsfelder IT-Engineering, IT-Managing und IT-Consulting. Auf dieser Ebene steigen die neuen Hochschul-Bachelors ins berufliche Leben ein. Sie treffen dort auf erfahrene DV-Praktiker, die eine Aufstiegsfortbildung nach den Regularien des Berufsbildungsgesetzes absolviert haben. "Wir suchen einen Weg, wie Leistungen anerkannt werden, unabhängig von den künstlichen Trennungen des deutschen Bildungssystems", beschreibt ZVEI-Mann Müller die Herausforderung, duale und akademische Qualifizierungswege zu verzahnen.

Nun kommt es darauf an, daß die Sozialpartner der IT-Branche den Deutschen Industrie- und Handelstag (DIHT) von ihrem Strukturvorschlag überzeugen. Denn sie sprengen den Rahmen der bisherigen Fortbildungsordnung unter dem DIHT-Dach. Vor allem in einem Punkt: Es geht den Initiatoren um ein Nachweissystem für Kenntnisse und Fertigkeiten. Zweitrangig ist die Frage, ob die Qualifikationen im Prozeß der Arbeit, in einem klassischen Fortbildungskurs oder mit Hilfe eines individuellen Telelearning-Programms erworben wurden. Das Hauptziel von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite beschreibt Karlheinz Müller so: "Wir wollen durch eine genaue Beschreibung der Tätigkeitsfelder strukturbildend wirken.

*Helga Ballauf ist freie Journalistin in München.