Nicht nur die technischen Komponenten müssen systemfähig sein, auch die Mitarbeiter:

Gerade der Mittelstand benötigt Maßanzüge

29.04.1988

In der CIM-Szene ist Realismus eingekehrt. Gefragt sind nach den markigen Sprüchen der Vergangenheit jetzt konkrete Anwendungen. Vom "CIM-Salabim" hält Geschäftsführer Valentin Lambert nichts: Sein Unternehmen, der Ulmer Materialprüfungsspezialist Zwick GmbH & Co. beschreitet einen realen Weg zur Integration.

Seit dem Gang in die "Niederungen der Praxis" muß auch den Phantasten klar sein: Computer Integrated Manufacturing ist nicht aus dem Stand machbar und schon gar kein Allheilmittel gegen alle bisher ungelösten Probleme der Industrie. Der im Zusammenhang mit der computerintegrierten Fertigung geprägte Slogan "CIM-Salabim" verliert in der betrieblichen Realität schnell seine zauberformelartige Wirksamkeit.

CIM ist kein Fertigprodukt, sondern eine Langzeitphilosophie für die Konzeption einer Organisation und der Informationsverarbeitung vor allem in der Fertigungsindustrie. CIM ist also kein "Projekt" kein käuflich erwerbbares Hard- und Softwareprodukt, sondern ein "Bebauungsplan" für Projekte und gleichzeitig ein integrierter Bestandteil der Unternehmensstrategie. Fazit: Vom Slogan zur Strategie.

Computer Integrated Manufacturing ist somit keine Frage der Informationstechnik allein, sondern auch die bisher größte Herausforderung an die Fähigkeiten eines Unternehmens und seiner Mitarbeiter zur ressort- und bereichsübergreifenden, konstruktiven und zielgerichteten Zusammenarbeit. Damit ist CIM nicht nur ein Schritt in Richtung auf die "Fabrik der Zukunft" im technischen Sinne - CIM erfordert auch den Mitarbeiter und die Organisation der Zukunft.

Nur wer neue Wege geht, neue Technologien entwickelt und neue Leistungen anbietet, bleibt auf den Märkten der Zukunft erfolgreich. Auch bei einem mittelständischen Fertigungsunternehmen wie dem Ulmer Prüfmaschinenhersteller Zwick werden modernste Fertigungstechnologien und -techniken im harten internationalen Wettbewerb existenzbestimmend sein.

Die sechs CIM-Prämissen des Hauses Zwick lauten deshalb:

- CIM ist die Vision einer Überlebensstrategie, die in Zukunft die Wettbewerbsfähigkeit auf dem internationalen Markt weitgehend stärkt und dadurch einen langfristigen Unternehmensbestand sichert.

- CIM ist für Zwick keine "rechnergesteuerte Fabrik" sondern eine rechnerunterstützte Produktion. Ihre Einführung - firmenspezifisch angewandt - ist eindeutig eine unternehmerische Aufgabe und Entscheidung, die allerdings über die Führungskräfte und mit deren Hilfe nur dann eine Chance hat, wenn sie von der breiten Masse der Mitarbeiter getragen wird.

- Auf diesem Gebiet haben die kleinen und mittelständischen Betriebe dieselben Probleme wie die Großen, zum Teil noch größere, da die entsprechenden beratenden und ausführenden Stabsstellen fehlen.

- Das Schlagwort von der menschenleeren Fabrik ist eine Utopie, die im Mittelstand nicht realisiert, aber auch nicht angestrebt wird.

- Die EDV ist einzig und allein ein Werkzeug in der Hand eines Meisters: Je besser das Werkzeug, desto wertvollere Arbeit schafft ein guter Meister. Doch ohne qualifizierte Mitarbeiter keine Dienstleistung - und schon gar kein CIM.

- Die für eine rechnerunterstützte Produktion unternehmensspezifisch einzuführende Software kann nicht "von der Stange" gekauft werden. Jede Firma benötigt hier einen besonderen Maßanzug. Sinnvoll ist deshalb eine Kombination zwischen Softwarehersteller, Hardwareproduzent und anwendungsorientiertem Unternehmen.

Wir leben in einer sich schnell verändernden Welt. Produkte, die heute noch auf dem neuesten Stand der Technik sind, gelten morgen als veraltet. Die Anforderungen des Marktes wandeln sich ständig und mit zunehmenden Tempo. Immer komplexere Produkte müssen in immer kürzerer Zeit entwickelt werden. Die Lebensdauer der Erzeugnisse wird infolge der immer kürzeren Innovationsraten, der hohen Innovationsgeschwindigkeit, immer kürzer.

Wie bekannt, stellt der Markt heute an ein Fertigungsunternehmen folgende Forderungen:

- kurze Lieferzeiten,

- Termintreue,

- Flexibilität,

- günstiges Preis/Leistungsverhältnis,

- hohe Qualität.

Diese Forderungen beinhalten intern eine hohe Produktivität, das heißt optimierte Auslastung bei niedrigen Beständen beziehungsweise Lägern. Die Erfüllung dieser Forderungen bringt einem Unternehmen Wettbewerbsvorteile und sichert langfristig dessen Marktposition und damit nicht zuletzt die Existenz. Heute führen die obengenannten Postulate naturgemäß zum Einsatz computerunterstützter Techniken in allen Bereichen eines Fertigungsunternehmens. Dabei müssen vorhandene Automatisierungsinseln integriert werden.

Da bekanntlich Risiko die Bugwelle des Erfolgs ist, gehört zu den Qualitäten eines Unternehmens und eines Geschäftsführers eindeutig auch eine überschaubare, abwägbare Riskobereitschaft. Ohne Risiko ist es heute unmöglich, die Zukunft eines Unternehmens zur realisieren.

Folgende CIM-Problematik hatte das Haus Zwick vor Augen - wie übrigens die Mehrzahl aller mittelständischen Unternehmen:

Bezogen auf die Durchlaufzeit eines Produktes von der Auftragserteilung bis zur Auslieferung - beziffert mit hundert Prozentpunkten - stellen die reinen Fertigungsgänge (wie Bearbeitung, Prüfung, Zwischentransport) nur einen Anteil von 15 Prozent dar. Stolze 85 Prozent sind unproduktive, unvorhergesehene Liegezeiten. Den Löwenanteil stellt die Komponente Warten!

Keine Rezepte von gestern für die Zukunft

Nach dem Motto: Die Zukunft kann man nicht mit Rezepten von gestern meistern, haben die Zwick-Überlegungen in diese Richtung bereits 1980 begonnen. Dies war das Geburtsjahr des Zwick-CIM-Konzepts. Auf der jahrelangen Suche nach einer entsprechenden Software wurde die sogenannte "belastungsorientierte Fertigungssteuerung" als Zentrum eines Produktionsplanungs und Steuerungssystems ausgesucht. Dieses Modell, am Institut für Fabrikanlagen der Universität Hannover am Lehrstuhl von Professor Hans-Peter Wiendahl entwickelt, sollte für Zwick angepaßt werden im Sinne einer "auftragsbezogenen rechnerunterstützten Produktion".

Als Softwareanbieter für dieses PPS-System kam das Stuttgarter Systemhaus Strässle in Frage. Zweiter im Bunde wurde Hewlett-Packard als Hardwarehersteller an einer CIM-Lösung für den Mittelstand interessiert. So entstand eine langjährige Zusammenarbeit mit dem Ziel, die Teilsysteme

- Unternehmensplanung/Entscheidungsunterstützung,

- Vertrieb,

- Finanz- und Rechnungswesen/Kosten/Leistungsrechnung,

- Personalwesen,

- Konstruktionsplanung,

- Materialwirtschaft und Einkauf,

- Kapazitäts- und Zeitwirtschaft,

- Betriebsdatenerfassung und -verarbeitung,

-- sowie Qualitätssicherung mittelständischen Bedürfnissen anzupassen und zu integrieren.

In Deutschland hat Zwick über 400 Mitarbeiter. In den letzten zehn Jahren wurden fünf Tochterfirmen beziehungsweise Mehrheitsbeteiligungen gegründet. Um dies alles realisieren zu können, sind Hunderte von Aufträgen in der Fertigung, Montage und Qualitätssicherung nötig. Zwick hat Tausende von Auftragsbestätigungen im Vertrieb einschließlich Kundendienst und 45 000 bewegte, lebendige Teile. Bei einem sechsmonatigen Auftragsbestand hatte das Unternehmen Schwierigkeiten mit der Auslieferung, in der Termintreue, in den Beständen. Außerdem werden über 10 Prozent des Umsatzes jährlich für Neuentwicklungen und Neukonstruktionen verwendet, daraus leiten sich die 10 000 Stücklisten und 20 000 Arbeitspläne ab.

Allzu große Euphorie ist fehl am Platz

Um diese Bedingungen in einem mittelständischen Unternehmen wie Zwick bewältigen zu können - auch das Risiko der -Auslandsgeschäfte soll nicht verschwiegen werden - ist eine Übersicht, ein Durchblick und eine Steuerung des gesamten Produktionsvorgangs vom Auftrag bis zur Fakturierung nur mit modernster Informations- und Kommunikationstechnik möglich.

Durch diese übergreifende Funktion ist die Einführung von CIM eine eindeutige Managemententscheidung. Doch von allzu großer Euphorie in bezug auf die Dauer der Einführung möchte ich warnen. Zwick plant in einem Zeitraum von acht Jahren und wird in dieser Zeit für das Projekt runde 15 Millionen Mark investiert haben. Dabei sind notwendige Werkzeugmaschinen-Investitionen nur zum Teil berücksichtigt.

Der Erfolg von CIM im Unternehmen steht und fällt mit der Akzeptanz und der Befürwortung dieses Konzeptes durch die Führungskräfte und Mitarbeiter im Unternehmen.

Voraussetzung für die Integration der betrieblichen Teilbereiche ist ein besseres Verständnis für das Zusammenwirken aller betrieblichen Teilbereiche. Dies erfordert neben Spezialkenntnissen auch die Förderung bereichsübergreifender Kenntnisse und Kompetenzen. Nicht nur die technischen Komponenten müssen systemfähig sein, auch die Mitarbeiter. Während die körperlichen Belastungen in den Werkstattbereichen weiterhin gesenkt werden können, nehmen dispositive und planende Tätigkeiten zu. Die aktuelle stark funktionale Trennung zwischen planenden, steuernden und ausführenden Bereichen muß sicher kritisch überprüft werden. Es darf nicht vergessen werden, die Mitarbeiter rechtzeitig und umfassend auf ihre zukünftigen Aufgaben vorzubereiten..

Die Wandlung zu einer "Fabrik der Zukunft" dauert lange und ist teuer. Und ist doch für Zwick ein unabdingbares Muß. Und in der Zwischenzeit gilt als Devise vom Geschäftsführer bis zum Auszubildenden: Schulung, Schulung, Schulung und Lernen, Lernen, Lernen.