IT in der Logistik/Am Frankfurter Flughafen zählt jede Sekunde

Gepäck muss durchs logistische Nadelöhr

24.10.2003
Bei bis zu 180000 Passagieren am Tag muss es am Frankfurter Flughafen schnell gehen. Anschlusszeiten von 45 Minuten und weniger stellen die Transferlogistik immer wieder auf die Probe. Im Rahmen eines umfangreichen IT-Projekts hat die Fraport AG jetzt das Gepäck-Management den kurzen Anschlusszeiten angepasst.Von Roland Krieg*

An deutschen Flughäfen müssen viele Passagiere immer wieder die Erfahrung machen, dass ihr Gepäck wegen zu kurzer Umsteigzeiten am Drehkreuz Frankfurt nicht rechtzeitig umgeladen wurde. Für die meisten Fluggäste ist es aber normal, ihren Koffer an der Gepäckausgabe ihres Zielortes in Empfang nehmen zu können. Nur wenige wissen, über welch ausgefuchste Logistik ein Flughafen verfügen muss, um die Vielzahl der Gepäckstücke jeden Tag zuverlässig an ihr Ziel zu schleusen.

Über ein europaweites Zubringer- und Verteilersystem vernetzt die Fraport AG (Frankfurt Airport Services Worldwide) als Luftverkehrs-Drehscheibe (Hub) den Interkontinentalverkehr. 48,5 Millionen Passagiere, zirka 460000 Flugbewegungen und 37 Millionen Gepäckstücke pro Jahr fordern die Hub-Experten in Frankfurt jeden Tag aufs Neue heraus. Besonders kniffelig ist die Transferlogistik, die mit äußerst kurzen Anschlusszeiten zurechtkommen muss. Außerdem ist der Anteil an umsteigenden Passagieren mit zirka 50 Prozent besonders hoch.

"Unser Gepäck-Management erfordert ein besonders ausgeklügeltes System", unterstreicht Matthias Driesdow, Projekt-Manager und im Bereich der Bodenverkehrsdienste "Gepäckservice und Infrastruktur" für die Verfahren verantwortlich. Er hat sowohl die Mitarbeiter vor Ort und an den Steuertischen als auch in den Einsatzleitungen mit Daten und Informationen zu versorgen. Sein Job wurde immer schwieriger,denn bei stagnierender Personalzahl, stieg das Verkehrsaufkommen enorm.

Für die Disponenten ein besserer Überblick

Schießlich suchte man eine Lösung, die die Kapazitäten optimal nutzen und gleichzeitig die Qualität erhöhen konnte. Zum anderen sollten die Disponenten einen besseren Überblick über die Situation bekommen. Die hohen Mengen an Gepäck und die vielen Sonderfälle wie Umbuchungen, Unregelmäßigkeiten und Sicherheitsprobleme erfordern ein umfassendes Tracking und Tracing aller Gepäckstücke. Im Ablauf des Flug-Managements stellt die Gepäckabfertigung ein Nadelöhr dar, weshalb sie eine der wichtigsten Dienstleistungen ist.

Bis Ende 2000 stand das umfangreiche Pflichtenheft. Ziel war, jederzeit eine überschaubare Gesamtsituation im Gepäckservice zu haben. Dafür wurden drei Applikationen konzipiert: Flugereignisse (TR = Transfer Baggage), Ankunft (TB = Terminating Baggage) und Abflug (OB = Outbound Baggage).

Diese Lösungen unterstützen die Gepäckverteilung der Umsteiger, die Steuerung der Ausschleusstellen der Gepäckförderanlage sowie die Belegung der Gepäckbänder für das Ankunftsgepäck. So wird es unter anderem möglich, den Disponenten alle Gepäckinformationen zu jedem einzelnen Flug anzuzeigen. Die Übersicht am Tagesende belegt, wie viel Gepäckstücke insgesamt abgewickelt wurden, was eine genaue Abrechnung mit den Airlines erleichtert.

Als Basis für die Lösungen hat Fraport eine Datenbank entwickelt, die "Baggage Operational Database" (BODB). Hier laufen alle Informationen über Gepäckstücke, Flugdaten oder die Förderanlagen zusammen. Schnittstellen bestehen zum zentralen Fluginformationssystem, Gepäcksystemverbund (408 Check-in-Counter, 50 Eingabestellen für Umsteiger, 87 Entnahmestellen), FRA-BRS (Baggage Reconciliation System) und zu den Ankunftsbandanlagen.

Zu lange Antwortzeiten

Die BODB akquiriert anwendungsübergreifende Daten aus den Produktionssystemen und stellt sie in konsolidierter Form zur Verfügung. Auf Basis dieser Daten werden auch Projekte wie beispielsweise das neue Disponentensystem realisiert, das die Geschäftsprozesse effektiver machen soll.

Wegen der wachsenden Nutzung war zudem die CPU-Auslastung der BODB-Rechner stark angestiegen. Das ursprünglich eingesetzte BDOB-Cluster mit zwei Alpha-Server-Maschinen (je zwei Prozessoren mit einer Taktrate von 533 Megahertz), Open VMS und Oracle 8i als Datenbank-Management-System deckte den Bedarf gerade so ab. Ein akuter CPU-Engpass konnte mit dem temporären Einbau zweier weiterer CPUs abgefedert werden. Allerdings führte die hohe Auslastung zu langen Antwortzeiten. Bei Ausfall eines Clusterknotens war der zweite Rechner nicht mehr in der Lage, die gesamte BODB-Funktion zu übernehmen.

Umschaltzeit unter drei Minuten

Vor diesem Hintergrund beauftragte Fraport Oracle und Hewlett-Packard (HP), eine neue Lösung zu entwickeln. Im Bereich der Standarddatenbank hatte man mit Oracle bereits gute Erfahrungen gemacht. Bei dem Neusystem legten die Hub-Betreiber vor allem Wert auf Performance. Gefordert war ein Rechner, der die komplette Last allein abdecken kann und dabei ausfallsicher sowie skalierbar ist. Die Umschaltzeit auf ein zweites System sollte unter drei Minuten liegen.

Gemeinsam mit HP schlug Oracle vor, auf die Version 9i mit Real Application Clusters (RAC) zu migrieren und leistungsstärkere Rechner einzusetzen. RAC ist die Weiterentwicklung von Oracle Parallel Server (OPS). Diese Technik ist in der Lage, die Methodik der Alpha Server und von Open VMS in die aktuelle Datenbanktechnologie einzubinden, was den risikolosen Weiterbetrieb des unternehmenskritischen Systems auf Jahre sichern soll. Für zwei Monate wurde eine Referenzinstallation zum Test vor der Kaufentscheidung bereitgestellt. Ein Vorteil von RAC ist, dass alle Ressourcen unbeschränkt eingesetzt werden können. Die Technik ist plattformunabhängig, lässt sich also jederzeit auf ein neues System migrieren. Etliche Features bringen Zusatznutzen wie zum Beispiel die neue Funktion "Materialized Views", die bestimmte Abfrage-Prozessketten vereinfacht. Auf diese Art lässt sich die CPU-Auslastung um bis zu 15 Prozent reduzieren.

Die Testkonfiguration überzeugte; Fraport entschied sich schon bald für die Lösung. Nach der Neukompilierung verlief die Portierung der Applikationen glatt. Unterschätzt hingegen wurden zunächst die Schwierigkeiten der Datenbankinstallation. "Das zentrale Modell bietet zwar im Betrieb ein einfaches und sicheres Management, zur Einrichtung benötigt es jedoch viel Know-how", so Driesdow. Dennoch konnte der Zeitplan eingehalten werden.

Einer der großen Pluspunkte der Datenbank ist die Synchronisation simultan laufender Instanzen. Das Synchronisationsprotokoll nennt sich Cache Fusion und gibt dem System Power: "Der Performance-Gewinn ist sehr hoch", lobt Driesdow. Das Protokoll bietet erweiterte Verfügbarkeit und Skalierbarkeit. So ist die zentrale Unternehmensdatenbank bis auf acht Alpha-Prozessoren aufrüstbar mit der weiteren Option, zusätzliche Knoten einzubinden. Seit Oktober 2002 ist das System im Echtbetrieb (mit zwei ES45-Alpha-Servern zu je zwei 1000-Megahertz-Prozessoren, VMS V7.3). (bi)

*Dr. Roland Krieg ist IT-Manager bei der Fraport AG in Frankfurt am Main.

Das Projekt

Ausgangspunkt: Äußerst kurze Anschlusszeiten und wachsendes Verkehrsaufkommen.

Ziel: Eine überschaubare Gesamtsituation im Gepäckservice schaffen, ferner Kapazitäten optimal nutzen und Qualität erhöhen.

Probleme: Hohe Mengen an Gepäck, viele Umbuchungen, Unregelmäßigkeiten und Sicherheitsprobleme.

Neue Applikationen: Flugereignisse (Transfer Baggage), Ankunft (Terminating Baggage) und Abflug (Outbound Baggage).

Lösung: HP und Oracle installieren das Datenbank-Management-System Oracle 9i mit Real Application Cluster (RAC).