Virtual-Reality-Anwendungen/Tools zur Lokalisierung von Kundenpotentialen

Geografiesysteme setzen das Marketing-Team auf die Spur

10.05.1996

Der Markt für GIS befindet sich im Umbruch. Neben den klassischen Einsatzgebieten in der Geodäsie, der Raum- und Landschaftsplanung, in der Versorgungswirtschaft, im Umweltschutz und bei Kommunen werden GIS und Geodaten zunehmend als Bausteine des Marketings erkannt. Die neuen Einsatzgebiete werden mit Begriffen wie "Business Geographics" oder "Geomarketing" umschrieben, der kommerziellen Nutzung räumlicher Informationen in Verbindung mit Marketing-relevanten Daten.

GIS bieten im Vergleich zu anderen Darstellungsmethoden die Möglichkeit, Daten zusammengefaßt und geografisch aufbereitet abzubilden. Allgemein gilt: Raumbezogene Informationen aus digitalen Karten werden mit thematischen Daten wie zum Beispiel der Kaufkraft verbunden. Als thematische Merkmale dienen neben der Kaufkraft aber auch andere Datenarten. Die Bevölkerungsstruktur und die Art der Bebauung in einem bestimmtem Gebiet können mit einer digitalen Kartengrundlage ebenso verknüpft werden wie Informationen über Pkw-Klassen eines Stadtteils. Hinzu kommen die soziodemografischen sowie die Daten der statistischen Ämter, und natürlich werden auch die unternehmenseigenen Kundendaten verarbeitet. Jede Datenart, die Grunddaten oder bereits statistisch aufbereitete Informationen enthalten kann, läßt sich mit geografischen Informationen verbinden und als Layer abspeichern. Die in verschiedenen Layern verknüpften Informationen können beliebig miteinander verschnitten und mit weiteren soziodemografischen Daten zu neuen thematischen Karten verknüpft werden. Durch die Visualisierung der Informationen aus mikrogeografischen Analysen lassen sich exakte Zielgruppen in räumlich genau definierten Zielgebieten abgrenzen.

Informationen zu diesen Bereichen liegen heute im Überfluß vor. Oft sind sie jedoch räumlich voneinander getrennt, in unterschiedlichen Formaten erfaßt oder auf verschiedenen Betriebssystemen erstellt. Für die Integration solcher Daten aus internen und externen Quellen eignen sich die angebotenen Systeme, die heute auch außerhalb der Großrechner- und Workstation-Welt mit einer Standard-PC-Ausstattung einsetzbar sind.

Bekannte Namen auf diesem Gebiet sind die Applikationen "Arc-View" und "PC Arc/Info" der Esri GmbH, Kranzberg, oder "Map-Info", das die Map-Info Software GmbH, Eschborn, unter anderem für Windows und Macintosh anbietet.

Ebenfalls etabliert ist "Atlas GIS für Windows", das von der Strategic Mapping Inc. (SMI) entwickelt wurde und in Deutschland über die "Geospace GmbH" in Bonn, vertrieben wird.

Relativ neu im Markt ist "Win-Cat-Geo-Desk", das zur Sicard-Familie gehört und von SNI, München, als Desktop-GIS konzipiert wurde. Win-Cat integriert über Standard-Schnittstellen die gängigsten Geodatenformate aus einer Vielzahl von Anwendungen und Datenbanken. Externe Daten müssen nicht extra importiert werden, weshalb eine doppelte Datenführung entfällt. Während des Betriebs lassen sich andere Standardprogramme starten, um etwa Texte, Tabellen oder Fotos mit einer Karte zu kombinieren. Umgekehrt können thematische Karten in ein Dokument übernommen werden.

Durch die Kooperation zwischen SNI und der Infas Geo Daten GmbH, Bonn, bietet das Produkt im Bereich des Geomarketings einige Vorteile. Über die Tochter des Meinungsforschungsinstituts steht eine Vielzahl von geografiebezogenen soziodemografischen Daten für den Einsatz zur Verfügung. Die Datenbasis bilden hierarchisch gegliederte Datenbestände von Infas, die mit allgemein zugänglichen und selbsterhobenen Parametern ergänzt wurden.

Ausgehend von den rund 15 000 Städten und Gemeinden in Deutschland, werden die Daten, vor allem in Großstädten, auf die Ebene der statistischen Bezirke heruntergebrochen. Weiter wird die gesamte Republik in sogenannte Marktzellen zerlegt, die sich anhand des Stimmbezirksrasters (= Wohnquartiere) der Wahlforschung flächendeckend und kleinzellig vorliegen und mit relevanten Informationen wie Wohnumfeldtyp, Kaufkraft oder Altersstruktur unterlegen lassen. Die kleinste Einheit bilden derzeit Straßenzüge, die durch Begehung jeder einzelnen Straße gebildet wurden und jeweils 25 Haushalte eines Wohnumfeldtyps einbeziehen.

Ebenfalls für den kommerziellen Einsatz wurde die Kooperation zwischen ESRI und der AZ Direct Marketing Bertelsmann GmbH, Gütersloh, geschlossen. AZ Bertelsmann bietet unter dem Namen Regio-Wahlbezirke Datenmaterial auf der Basis der Wahlbezirksgeometrien in Städten über 30000 Einwohner an. Das Angebot dieser Marktdaten stellt Demografie-, Markt- und Branchensachdaten nach Postleitzahlen, Gemeinden und Wahlbezirken bereit.

Eine andere Form der Zusammenarbeit ging dieser Anbieter vor kurzem mit dem Datenbankhersteller Oracle ein. Beide Unternehmen gaben bekannt, bei der Entwicklung und Vermarktung zweier Produkte zusammenzuarbeiten. Das Ziel ist ein offenes Geoinformationssystem, von dem sowohl Anwender als auch Unternehmen profitieren sollen, die ihre auf Oracle basierenden Anwendungen um die Möglichkeit räumlicher Analysen erweitern wollen.

Vielseitige Anwendungsbereiche

Im kommerziellen Bereich bieten Geoinformationssysteme vor allem für Werbung, Marketing, Vertrieb und Controlling sowie für die Absatz- und Standortplanung entscheidende Vorteile. Mit entsprechend aufbereiteten Daten bei der Planung neuer Filialen läßt sich das Kundenpotential eines Standorts im voraus abschätzen. Nimmt man zusätzlich branchen- und marktspezifische Daten unter Einbeziehung der Konkurrenzsituation hinzu, werden die Marktchancen einer neuen Filiale schnell deutlich. Die Wirtschaftlichkeit bereits bestehender Niederlassungen läßt sich durch eine Analyse des vorhandenen Marktpotentials und der Frage, inwieweit dieses auch ausgeschöpft wird, besser einschätzen.

Außendienstorientierten Unternehmen wird die Planung ihrer Vertriebsgebiete und -netze durch den Einsatz gebietsbezogener Daten zur Kundenverteilung erleichtert. Streuverluste bei Direkt-Marketing-Aktionen werden dadurch minimiert, daß sich die angestrebte Zielgruppe zum Beispiel mittels Daten über den Wohnumfeldtyp, die Kaufkraft oder das Einkaufsverhalten räumlich sehr genau abgrenzen läßt. Allerdings sollte immer berücksichtigt werden, daß Daten zur Kaufkraft am Wohnort der Bevölkerung abgeleitet werden. Kaufkraftdaten allein geben daher noch keinen Hinweis auf den Ort der Konsumausgaben, hierfür müssen weitere infrastrukturelle Determinanten einbezogen werden.

Ein Beispiel für den Nutzen einer räumlich strukturierten Marktbetrachtung ist die Versicherungsbranche. Hier wurden die Produkte in den letzten Jahren zu einer inzwischen unüberschaubaren Vielfalt differenziert. Gleichzeitig entstanden durch den Preisdruck innerhalb der Branche neue, zentral koordinierte Direktvertriebsformen. Durch die detaillierte Darstellung der Wohnumfeldtypen eines bestimmten Gebiets können Versicherungsrisiken und Marktchancen verläßlich abgeschätzt werden.

Für Kreditkartenanbieter lassen sich mit der Kombination aus soziodemografischen und selbsterhobenen Daten ebenfalls wertvolle Rückschlüsse ziehen. Gerade diese Branche ist stark von der direkten Ansprache geeigneter Personen abhängig. Das Umfeld bisheriger Kunden hat Einfluß auf die Akquisitionsaktivitäten innerhalb einer Stadt.

Mehr Transparenz bei der Vertriebsplanung bieten diese Systeme beispielsweise auch für Tageszeitungen. Es ist bekannt, daß das Angebot eines Probeabonnements dort besonders gut angenommen wird, wo bereits ein hoher Marktanteil vorhanden ist. Mit der Verknüpfung von zeitungseigenen und geografischen Daten kann die Neukundenwerbung wesentlich effizienter erfolgen.

Geht es dagegen darum, Jugendliche mit spezifischen Angeboten anzusprechen, so läßt sich der räumliche Rahmen einer Marketing-Aktion auf Basis der soziodemografischen Daten zur Altersgruppenverteilung geografisch äußerst zielgenau festlegen.

Die Aufbereitung Marketing-relevanter Daten mit Hilfe geografischer Systeme bietet die Möglichkeit, durch die Visualisierung unterschiedlichster Informationen Zusammenhänge erkennbar zu machen und Daten in thematischen Karten attraktiv zu präsentieren. Wie die Entwicklung in den USA zeigt, wo die Nutzung von Business Geogra- phics wesentlich stärker verbreitet ist als in Deutschland, kann die "dritte Dimension des Marketings" einen Beitrag zum strategischen Marketing leisten.

Kurz & bündig

"Markt-Browser", das wär´s, mag sich mancher Marketing-Mensch beim Surfen im Internet schon gedacht haben. Doch so etwas gibt es bereits außerhalb des Netzes aller Netze - quasi. Geografiesysteme können Werbung, Marketing, Vertrieb und Controlling sowie die Absatz- und Standortplanung entscheidend verbessern.

*Hubert Rasig ist freier Journalist in Alsbach.