General-Purpose-Software wird für Kriege mißbraucht

12.04.1991

Ralf Klischewski Forum Informatikerinnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung, FIFF e.V., Bonn

Die Botschaft hat inzwischen alle erreicht: Ohne modernste Computer- und Kommunikationstechnologie hätten die alliierten Streitkräfte im Golfkrieg nicht diesen überwältigenden Sieg erringen können. Stellt aber die "strategische Waffe" Informationstechnik tatsächlich die umfassende Problemlösung dar, als die sie Militärs, Politiker und Medien gerne bezeichnend Für Computerexperten ist das eine Frage von zentraler Bedeutung. Schließlich sind sie es, die mit ihrer Forschungs- und Entwicklungsarbeit - ob beabsichtigt oder nicht - auf vielen Gebieten zur Führbarkeit computergestützter Kriege beitragen.

Bereits 1982 hat das Konzept "Airland Battle 2000" der Amerikaner die elektronisch integrierte Kriegsführung propagiert. Seitdem stehen "Command, Control, Communication and Intelligence", kurz: C(3)I, im Zentrum moderner Militärstrategien für Aufklärung, Navigation, Frühwarnung, Zielwertanalyse, Selbststeuerung, umfassende Information und Kommunikation, Simulation, Entscheidungsfindung, Logistik etc. Mikroelektronik und Computeranwendungen, verbunden und koordiniert durch weltweite elektronische Kommunikation, sind zur Schlüsseltechnologie für alle Militäroperationen geworden.

Die Ausschaltung gegnerischer High-Tech-Einrichtungen wird damit zum Kriegsziel ersten Ranges. Im Golfkrieg wurde vor allem die irakische Aufklärung und Telekommunikation angegriffen. Außer Gefecht gesetzt wurden sie mittels elektronischer Kriegsführung ("Blenden" feindlichen Radars, Aussenden "falscher" Echos)e aber auch durch massiven Bombeneinsatz.

Vom Technikeinsatz auf alliierter Seite haben die militärisch kontrollierten Medien nur Erfolgsmeldungen verbreitet. Über die Fehlschläge, Fehleinschätzungen und Gefahren durch technisches Versagen und fehlerhafte Planungen werden wir (von wenigen Hinweisen abgesehen) erst in einigen Monaten ein umfassenderes Bild erhalten können.

Tatsache ist allerdings, daß der Einsatz von Informationstechnik die herkömmliche Kriegsführung nicht nur ergänzt, sondern - vor allem durch verstärkte Koordination gleichzeitiger und geographisch verteilter Militäroperationen auf grausame Weise intensiviert hat. Immer wieder wird die sogenannte "chirurgische" Kriegsführung als neue effektive Strategie gefeiert.

Es ist jedoch ein Trugschluß, daß mit High-Tech-Waffen Blutvergießen vermieden und Probleme gelöst werden könnten: Trotz C(3)1 und elektronischer Kriegsführung wurde das gesamte Arsenal konventioneller Waffen bis hin zu schweren Flächenbombardements durch B52-Bomber eingesetzt. Dadurch haben nicht nur ungezählte Soldaten, sondern auch Tausende von Zivilisten ihr Leben in direkten Angriffen verloren.

Außerdem wurden nicht nur militärische, sondern auch zivile Einrichtungen wie Wasser- und Stromversorgung systematisch zerstört und damit die gesamte Zivilbevölkerung lebensgefährlichen Bedrohungen ausgesetzt. Auch konnte keine 1 noch so moderne Technologie die ökologische Katastrophe am Golf verhindern. Im Gegenteil: Die technische Überlegenheit der Alliierten hat sie eher noch provoziert.

Vor allem: Trotz C(3)1 und elektronischer Kriegsführung sind durch den Krieg keinesfalls die politischen Probleme im Nahen Osten gelöst worden. Die Golfregion ist von einem friedlichen und gewaltfreien Zusammenleben womöglich noch weiter entfernt als vor der Aktion "Desert storm".

Es ist ein gefährlicher Irrtum zu glauben, durch modernste Technik ließen sich kalkulierbare, schnelle und unblutige Kriege führen. Die scheinbare Überlegenheit der Militärtechnik soll den "Waffengang" als "Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln" wieder salonfähig machen. Doch Technik und erst recht vermeintlich "saubere" Kriege durch Technik sind kein Ersatz für Politik!

Das Bestreben, High-Tech-Entwicklungen in militärische und politische Macht umzumünzen, hat Geschichte. Auch die heutige Computerindustrie hat ihre Wurzeln im amerikanischen Militär: Bis Ende der 50er, Jahre war die DV-Industrie der USA praktisch eine reine Rüstungsbranche, vor allem bei Großrechenanlagen.

Zwischen 70 und 100 Prozent der wissenschaftlichen Computer der ersten Generation wurden für militärische Aufgaben hergestellt und genutzt. Auch heute werden wichtige Entwicklungen durch militärische Interessen und entsprechend massive finanzielle Förderung angeregt und bestimmt.

Die Kreativität der Branche wird zusätzlich durch Sonderprogramme zu Höchstleistungen angeregt, die privatwirtschaftlich gar nicht zu finanzieren wären: Im Rahmen der "Strategic Computing Initiative" (SCI, parallel zur bekannteren SDI) werden zum Beispiel ein autonomes Vehikel für die Army und ein Expertensystem als "Partner" für Kampfpiloten entwickelt sowie ein Seeschlacht-Management-System.

Die gesamte Computerwelt ist von der Dual-Use-Problematik betroffen: Begünstigt durch den modularen Aufbau komplexen Anwendungssysteme aus möglichst universellen Komponenten, können von der Grundlagenforschung bis zur Anwendungsentwicklung fast alle Ergebnisse und Produkte auch für Kriegszwecke verwendet werden. Eine Abgrenzung zur zivilen Technikentwicklung wird nur selten versucht. Auch das "Zukunftskonzept Informationstechnik" der Bundesregierung strebt die Integration militärischer Ziele in die Forschung und Entwicklung an.

Der Anspruch einer möglichst universellen Verwendbarkeit der Informationstechnologie bringt ihre Entwickler in die Zwickmühle. Nehmen sie die Verantwortung für die Folgen ihrer Produkte ernst, dann stellen sie rasch die Verbindung von Algorithmen der Bildverarbeitung zu selbststeuernden Chemiewaffen fest. Streiten sie diesen Zusammenhang ab, müssen sie sich den Vorwurf des verantwortungslosen Scheuklappen-Ingenieurs gefallen lassen.

Hier wird ein Grundproblem dieser sehr stark arbeitsteiligen Branche deutlich, dem man nicht individuell und auch nicht wissenschaftlich, sondern nur durch eine breit angelegte Diskussion um Verantwortlichkeit für Entwicklung, Einsatz und Folgen neuer Technologien begegnen kann.

Je offensiver diese Diskussion auch innerhalb der Computerbranche geführt wird, desto besser kann auf die zum Teil berechtigten Vorbehalte gegenüber sich scheinbar unbegrenzt ausbreitendem Computereinsatz eingegangen werden.

Viel Zeit bleibt dafür nicht mehr: Nach dem Golfkrieg - das heißt auch: nach dem "Testen" vieler Systeme in "realen Umgebungen" - ist zum einen eine neue Runde militärischer Forschung und Entwicklung zu erwarten. Zum anderen finden "kriegsbewährte" Produkte und Verfahren auch lebhaftes Interesse bei zivilen Anwendern (zum Beispiel das General Positioning System, Erfahrungen mit Internetworks, Expertensysteme in der Logistik).

Die alliierten Militärs haben die Verknüpfung von Informationstechnik und Kriegsführung ins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit gestellt. Die Computerbranche kann somit ihre umfangreiche Verflechtung mit der Rüstungsproduktion nicht länger ignorieren und muß - will sie nicht ins Zwielicht Öffentlicher Diskussion geraten - einen verantwortlichen Umgang mit den damit verbundenen Problem en anstreben.

Eine zusätzliche Herausforderung stellt das Problem dar, wie sich der künftige Anwendungskontext explizit in Forschung und Entwicklung einbeziehen und in der Technik sichtbar machen läßt. In die steigende Systemkomplexität und die immer größere Zahl der zu treffenden Entwicklungsentscheidungen fließen ständig Annahmen über die zukünftigen Verwendungssituationen ein.

Zu hinterfragen wäre aber auch die fortwährende Einmischung der Militärs in zivile Forschung und Entwicklung. Eine größere Transparenz und Entflechtung bei der Dual-Use-Problematik entlasten nicht nur die individuelle Gewissensentscheidung über Beteiligung, Toleranz oder Verweigerung von militärisch relevanten Projekten. Auch die Kontrolle von Waffenproduktion und Rüstungsexporten ließe sich dadurch wesentlich erleichtern.

Das Bild von der universellen Computertechnik erweist sich mehr und mehr als Illusion. So jedenfalls wäre zu erklären, daß die US-DV-Industrie trotz Subvention durch Militärprojekte il gegenüber der an zivilen Produkten orientierten japanischen Konkurrenz immer mehr an Boden verliert.