Gemassmer: "Novell heißt Konkurrenten willkommen"

13.04.1990

Mit Ernst Gemassmer, Senior Vice-President für International Operations der Novell Inc., und Bernd Buchholz, General Manager der Novell GmbH, sprach CW-Redakteur Peter Gruber

CW: Die Wachstumsrate bei Novell ist im vergangenen Jahr zwar weiter gestiegen, war gegenüber dem Vorjahr aber rückläufig. Weshalb?

Gemassmer: Der Grund liegt in erster Linie darin, daß Novell begonnen hat, sein Hauptgewicht auf Software zu legen, weil durch eine höhere Marge eine Ausweitung der Forschung auf dem Sektor Software möglich wird. Anfang des letzten Geschäftsjahres entfielen noch 50 Prozent unseres Umsatzes auf Hardware. Am Ende des Geschäftsjahres lagen wir bei 20 Prozent Hardware und 80 Prozent Software. Legt man nur das Wachstum der Software zugrunde, dann wächst das Unternehmen schneller als zuvor.

Wir können zum Beispiel im Vergleich des ersten Quartals dieses Jahres zum ersten des vorhergehenden Jahres bei Gesamt-Novell - also Hardware und Software - eine Umsatzsteigerung von knapp zehn Prozent und ein Wachstum des Gewinns von rund 35 Prozent verzeichnen. Wir haben im letzen Jahr etwa acht Prozent unseres Umsatzes für Forschung ausgegeben, im vergangenen Quartal zwölf Prozent.

Buchholz: Die Umstrukturierungen, die es bei Novell gegeben hat, sind von der Börse gut aufgenommen worden. Die Aktie ist in den letzen beiden Monaten von 26 auf 42 Dollar gestiegen. Die Börse hat also das langsamere Wachstum im Umsatz, aber dafür einen beschleunigten Gewinn honoriert.

CW: Liegen Umsatz- und Gewinnzahlen des letzen Geschäftsjahres vor?

Gemassmer: Ja, wir hatten einen Umsatz von 422 Millionen Dollar mit einem Reingewinn von 50 Millionen Dollar.

CW: Welche Vorteile versprach sich Novell durch den Kauf von Excelan?

Gemassmer: Durch den Erwerb von Excelan hat sich Novell mehrere Vorteile gesichert: erstens weitaus mehr technische Erfahrung auf dem Gebiet der heterogenen Vernetzung; zweitens das sehr große Know-how von Excelan auf dem Sektor der Standards und drittens ein Vertriebsnetz von Distributoren, die sich im Sektor der heterogenen Vernetzung gut auskennen.

CW: Vor kurzem wurde bekannt, daß Novell seine OEM-Strategie ändert. Warum hat man sich in Utah zu diesem Schritt entschlossen?

Gemassmer: Zunächst ein paar Vorbemerkungen zum besseren Verständnis. Die sogenannte OEM-Gruppe von Novell hat sich in der Vergangenheit in erster Linie mit der Belieferung von Steckkarten-Herstellern befaßt. Das war der Anfang unseres OEM-Business. Letztes Jahr kam dann Portable Netware hinzu. Auch dieses Geschäft untersteht der OEM-Gruppe. Ferner sind dadurch, daß sich Netware zu einem De-facto-Standard entwickelt hat, größere und kleinere Computerhersteller an uns herangetreten, um OEMs für Novell zu werden. Darüber hinaus haben wir Firmen, die Peripherieprodukte herstellen, ebenso zu OEMs ernannt.

Dadurch entstand die Situation, daß Kartenhersteller anfingen, Netware ohne ihre Produkte zu verkaufen. Der Markt reagierte darauf mit relativ großer Unruhe. Deshalb werden wir jetzt in einem ersten Schritt die Tätigkeit des sogenannten Board-OEMs wesentlich einschränken, das heißt, der Discount-Satz der Board-OEMs wird reduziert. Sie müssen sich verpflichten, Netware nur noch mit ihren Produkten gekoppelt zu verkaufen, anderenfalls verlieren sie ihre OEM-Lizenz.

Zweiter Punkt: Die Unternehmen, die bis dato Peripherieprodukte liefern und praktisch auch sogenannte OEMs waren, werden einzeln untersucht. Dann wird man sehen, inwieweit eine Partnerschaft sinnvoll ist, denn diese Firmen haben teilweise eine Preispolitik betrieben, die für den Markt schädigend war und den Endverbraucher beim technischen Support im Stich ließ.

CW: Es gab also Reibungspunkte zwischen Händlern und OEMs.

Gemassmer: Es gab Reibungspunkte zwischen unseren verschiedenen Distributoren - sie standen teilweise vor dem Problem: Warum soll ich in Lagerhaltung, Training und Support investieren, wenn mir jemand, ohne diesen Aufwand zu betreiben, querschießt. Aus der Sicht des Kunden wurde unser Produkt Netware also verschlechtert. Die Änderung unserer OEM-Politik ist im Grunde aber keine Änderung, sondern eine Bereinigung. Das heißt, wir werden nur noch OEMs akzeptieren, die den Endverbraucher unterstützen.

CW: Insgesamt wird die Zahl der OEMs aber steigen?

Gemassmer: Insgesamt wird sich die Zahl der richtigen OEMs, das heißt der Computerhersteller, die an uns herantreten und Netware mit ihren eigenen Produkten mitvertreiben, erhöhen. Außerdem arbeiten wir mit unserer OEM-Gruppe ganz gezielt darauf hin, daß die internationalen OEMs, die ihren Hauptsitz außerhalb der USA haben, mit unserer eigenen internationalen Mannschaft bedient werden, und nicht mehr von Utah aus. Das heißt, sowohl der Support als auch Konflikte können auf diese Weise weitaus besser gelöst werden.

CW: Es wird also dezentralisiert?

Gemassmer: Ja, es wird dezentralisiert, um näher an den Kunden und Distributor heranzukommen.

CW: Wie sieht es bei Portable Netware aus?

Gemassmer: Auf dem Sektor Portable-OEM haben namhafte Hersteller von Minis und Mainframes Lizenzen von uns erworben. Sie portieren jetzt mit unserer Hilfe Portable Netware auf ihre Plattformen, leisten dann aber selbst den Support. Wir werden auf diesem Sektor weitere Verträge schließen.

CW: Marktforscher weisen für Novells Netware derzeit in der Bundesrepublik einen Marktanteil von bis zu 70 Prozent aus. Allerdings prognostizieren die Analysten einen Rückgang auf 30 bis 40 Prozent im Laufe der nächsten Jahre, überwiegend hervorgerufen durch den LAN-Manager und LAN-Server. Wie bewertet die Novell GmbH diese Zahlen und wie will man künftig in der Bundesrepublik agieren?

Buchholz: Als der LAN-Manager auf den Markt kam, lag der Marktanteil von Novell bei rund 50 Prozent. Jetzt wird der LAN-Manager etwa seit zwei Jahren angeboten und trotzdem ist der Marktanteil von Netware von 50 auf 70 Prozent gestiegen. Das bedeutet also, daß sich trotz eines weiteren Produkts am Markt unser Anteil erhöht hat. Wir gehen aber natürlich nicht davon aus, irgendwann einen Marktanteil von 90 Prozent zu erreichen, denn selbst 50 Prozent sind schon eine ganze Menge. Wichtig ist, daß der gesamte Markt und die Industrie wächst. Es ist besser, 50 Prozent von einem großen Kuchen zu haben als 70 Prozent von einem kleinen.

CW: Sie sehen den LAN-Manager also nicht als Konkurrenz?

Gemassmer: Novell heißt Konkurrenten auf seinem Feld immer willkommen. Wir haben das bewiesen, indem wir Unternehmen wie Banyan, Microsoft und 3Com mit in unsere amerikanischen Networld Shows hineingenommen haben, weil es eben unser Ziel ist, den Markt zu vergrößern. Der Endverbraucher muß die Möglichkeit der Wahl haben. Für ihn ist wichtig, daß mehr als ein Anbieter und Produkt auf dem Markt sind. Solange die einzelnen Produkte kompatibel sind, profitieren Anbieter wie Kunden.

3Com, das manchmal als Konkurrent dargestellt wird, ist im Grunde nicht als Konkurrenz zu sehen. 80 Prozent des Umsatzes von 3Com - der etwas unter unserem liegt - wird mit Hardware gemacht. Novell dagegen erwirtschaftet nur 20 Prozent seines Umsatzes mit Hardware. Es finden auf sehr hoher Ebene Gespräche zwischen Novell und 3Com statt, um 3Com-Hardware mit Novell-Software kompatibel zu machen. Wir kooperieren also ganz bewußt mit anderen Unternehmen, um dem Endverbraucher die völlig freie Wahl in bezug auf das Betriebssystem oder die Hardware zu geben.

CW: Ihre Strategie ist demnach auf offene Systeme ausgerichtet?

Gemassmer: Unsere Strategie ist eindeutig offen und an den Bedürfnissen des Marktes orientiert. Wir passen unsere Produkte der Nachfrage der Kunden an.

CW: Wie lange kann Ihrer Ansicht nach der Markt noch wachsen?

Buchholz: Die Märkte entwickeln sich zur Zeit unterschiedlich. In der Bundesrepublik ist ein gewisser Nachholbedarf gegenüber früheren Jahren und dem englischen Markt vorhanden. Wir werden unser Geschäft wohl in diesem Jahr gegenüber

dem Vorjahr verdoppeln und sehen eigentlich für die nächsten zwei Jahre speziell in Europa ein überdurchschnittliches Wachstum im Vergleich zum US-Markt.

CW: Wie bereitet sich Novell auf den europäischen Binnenmarkt vor?

Gemassmer: Ich glaube, der Binnenmarkt wird bei der europäischen Wirtschaft eine gewisse Euphorie auslösen. Die gesamte wirtschaftliche Entwicklung wird sehr positiv sein. Man darf aber nicht vergessen, daß trotz des Abbaus der Grenzen und der Restriktionen beim Warenfluß die einzelnen Nationen und Sprachen weiterhin bestehen. Wir rüsten uns für den Binnenmarkt, indem wir unsere drei europäischen Landesgesellschaften England, Frankreich und Deutschland vergrößern und zusätzlich Tochtergesellschaften in anderen europäischen Ländern ins Leben rufen. Sie werden dann den Landesgesellschaften unterstellt.

Wir teilen Europa also auf sprachlicher und kulturhistorischer Basis in drei Teile. Zwischen den Geschäftsführern, den Sales- und Service-Managern der drei großen Landesgesellschaften finden monatlich Meetings statt, um Erfahrungen und Personal auszutauschen. Dadurch kann der Kunde besser unterstützt werden.

Die Rolle der Novell-Tochter bleibt die gleiche, nämlich Vertriebspartner zu suchen, zu ernennen und zu unterstützen. Wir werden unsere Produkte weiterhin über Distributoren vertreiben und verstärkt nach System-Integratoren Ausschau halten, die dann Mittel- und Großkunden Gesamtleistungen anbieten.

CW: Wie wollen Sie den osteuropäischen Markt erobern und welche Erwartungen haben Sie?

Gemassmer: Bis dato bedienten wir den gesamten osteuropäischen Markt von London aus. Erst vor kurzem haben wir uns entschlossen, die DDR aus dem Londoner Bereich auszugliedern und der deutschen GmbH zuzuordnen. Im Moment ist es noch so, daß Netware für 286-Produkte spezielle Lizenzen von den amerikanischen Ministerien für Verteidung und Handel - also der Cocom - benötigt. Wir erwarten aber, daß die Ausfuhrbestimmungen für 286-Produkte innerhalb der nächsten sechs Monate zumindest für einen Teil der Ostblockstaaten stark liberalisiert werden.

Wenn diese Liberalisierung eintritt, rechnen wir mit einem sehr interessanten Markt, weil diese Länder in den letzten Jahren ihre eigene PC-Fertigung aufgebaut haben, aber nie eine Mini- und Mainframe-Industrie. Das heißt, die Lösung, die dem Endverbraucher die größte Freiheit gibt - das auf Servern basierende Computing -, wird sich in Osteuropa durchsetzen, weil die PCs schon existent sind und nur die Bindeglieder Netware sowie Steckkarten gebraucht werden.

Buchholz: Ein Hindernis im Ostblock ist derzeit noch die fehlende Händlerschaft und Kommunikations-Infrastruktur. Unsere Distributoren richten sich aber natürlich auch auf das Ost-Geschäft ein.

CW: Wie läuft Netware 386 an?

Gemassmer: Netware 386 entwickelt sich über die Erwartungen positiv. Es hat sich international sogar schneller etabliert als in den USA, weil der internationale Vertriebspartner in der Regel höhere technische Fähigkeiten besitzt als der Distributor in den Staaten. Wir sehen Netware 386 als die logische Weiterentwicklung des Betriebssystems und haben durch das Konzept der Netware Loadable Modules die Voraussetzung für das Betriebssystem der 90er Jahre geschaffen.

CW: Können Sie Netware 386 auf den osteuropäischen Markt bringen?

Gemassmer: Ich nehme an, daß 386-Produkte generell keine Vertriebsgenehmigung bekommen werden. Inwieweit dies auch auf die DDR zutrifft, ist fraglich. Ich glaube, je weiter die Annäherung zwischen der Bundesrepublik und der DDR voranschreitet, desto mehr wird diese Barriere verschwinden.

Buchholz: Wir erwarten, daß die Produkte für die DDR in ein paar Wochen oder Monaten freigegeben werden.

CW: Welche Rolle wird Ihrer Meinung nach Unix in den nächsten Jahren spielen?

Gemassmer: Es wird auf jeden Fall in einigen Anwendungsbereichen eine Rolle spielen. Auch da werden wir auf die Anforderungen des Marktes reagieren.

Die Spreu vom Weizen trennen

Mit einem lachenden und einem weinenden Auge blicken die Verantwortlichen von Novell derzeit auf ihren Verkaufsschlager Netware. Lachend, weil ihnen die OEM-Lizenzen förmlich aus den Händen gerissen werden; weinend, weil dadurch der gute Ruf sowohl des Produkts als auch des Unternehmens gefährdet ist.

Gerade noch rechtzeitig scheint das Management jetzt den bösen OEM-Geistern Einhalt zu gebieten - wohlgemerkt Geister, die es selbst rief. Novell hat nämlich die Verkaufsrechte für Netware an Gott und die Welt vergeben und dadurch selbst einen Wildwuchs heraufbeschworen, der letztlich die zu verlässigen Distributoren verärgert und unzufriedene Kunden vergrault. Es ist nur zu verständlich, wenn diejenigen Vertriebspartner auf die Barrikaden gehen, die in Lagerhaltung, Training und Support investieren, während die schwarzen Schafe der Branche dem Kunden das Produkt nur aufschwatzen, technisch aber keine Hilfestellung leisten.

Novell tut gut daran, jetzt die Spreu vom Weizen zu trennen. Schmarotzern, die sogar so weit gehen, Netware ohne ihre eigenen Karten zu verkaufen, muß das Handwerk gelegt werden. Schließlich steht das Ansehen Novells beim Kunden auf dem Spiel - ein Ansehen, daß die Mannen aus Utah beim zu erwartenden Wettbewerb mit der Konkurrenz LAN-Manager und LAN-Server noch dringend benötigen werden. pg