Gelebte Unternehmenskultur bestimmt über den Erfolg mit Hans-Jochen Reek Beratender Ingenieur und Referent, München

11.09.1992

Brauchen Beratungsunternehmen eine Unternehmenskultur? Fürwahr, wird der geneigte Leser bei dieser Frage ebenso intuitiv wie rational feststellen, das ist doch Selbstverständlich und gehört einfach zum Geschäftsumfeld von Beratungsunternehmen.

Und doch ist diese Frage nur auf den ersten Blick so schnell und einfach zu beantworten. Ein Problem liegt schon in der schwierigen Definition des Begriffes Unternehmenskultur. Zusätzlich wurde in den ersten achtziger Jahren häufig der Eindruck erweckt, als könne dieses sensible Thema nach einigen wenigen Maßnahmen des Marketings mit eingebauter Erfolgsgarantie ad acta gelegt werden.

So waren beispielsweise manche Firmen der Auffassung, daß massenhafte Verbreitung von edlen Hochglanzbroschüren, deren Gestaltung deutlich die Hand eines Designers anzusehen war, automatisch den wirtschaftlichen Erfolg gewährleisteten. Oder daß mit einem neuen Firmenlogo, einem veränderten Briefkopf bereits der wesentliche Teil einer erfolgreichen Strategie abgehakt sei.

Die oft akademische Diskussion über Inhalte und den Bewertungsmaßstab einer globalen Unternehmenskultur einerseits und das konkrete Handeln im Sinne von singulären Marketingaktionen andererseits führten in der Folge zu einer deutlichen Abnahme des Interesses an einer Klärung und Ausgestaltung des fraglichen Begriffes. Orientierungslosigkeit stellte sich ein.

Das scheint allmählich vorbei zu sein. Strategische Unternehmensplanung, kooperative Zukunftsgestaltung, mitverantwortliche Zielvorgaben und ganzheitliche Leitlinien prägen heute das Suchen und Ringen um die jeweils spezifische Unternehmenskultur. Sie macht einzigartig, unverwechselbar, identifizierbar: Das Unternehmen bekommt ein Image.

Stärker denn je gewinnt das Zeigen dieses möglichst prägnanten Gesichts bei der Vergabe von Aufträgen an Bedeutung, besonders auch dadurch, daß Produkte, Werke und Dienstleistungen immer ähnlicher und damit kopierbar werden. Ein Auftraggeber will sich mit seinem Auftrag identifizieren, seine Konzeption

wiedererkennen, das Ergebnis schließlich aus der Menge zahlreicher anderer hervorgehoben sehen.

Was bildet die Basis einer Unternehmenskultur? Fragen wir zunächst in Analogie dazu nach den gemeinsamen Wurzeln jeder Kultur, so kommen wir auf die Sprache. Vereinfacht ausgedrückt: Ohne Sprache gibt es keine Kultur. Sprache ist also ein sehr wichtiges, jedoch nicht das einzige Element zwischenmenschlicher Kommunikation.

Am Anfang jeder Unternehmenskultur steht als wichtigste Voraussetzung die Achtung der Persönlichkeit und das würdige Umgehen miteinander - unabhängig von Strukturen und Arbeitsfeldern. Gute Kommunikation zwischen allen Firmenangehörigen dürfte ein entscheidender Faktor sein, wenn es um Wettbewerbsvorteile geht.

Wir wissen seit den Forschungen von Abraham H. Maslow über "Motivation und Persönlichkeit", daß das Streben nach beruflicher Anerkennung und persönlicher Bedürfnisbefriedigung in sequentiellen Schritten erfolgt. Diese zu begleiten und zu festigen, bedeutet nichts anderes, als Unternehmenskultur einzuführen, zu praktizieren und zu erweitern. Sie kann nicht verordnet oder gar angeordnet, werden. Firmeninhaber und Führungskräfte müssen sie vorleben. Unternehmenskultur heißt, den Geist spürbar zu machen, der ein Unternehmen (gegebenenfalls) durchweht.

Als erstes muß der Führungskreis Unternehmensleitlinien und -grundsätze entwickeln, diese zur Diskussion stellen und schließlich in das tägliche Arbeitsgeschehen einfließen lassen. Die Mitarbeiter sollten derartige Leitlinien und gemeinsame unternehmensspezifische Wertvorstellungen vor Augen haben und sich einer zentralen Vision der künftigen Entwicklung verpflichtet fühlen. Dazu gehören auch Regeln des Führens und der Zusammenarbeit.

Es ist heute unbestritten, daß die Qualität der Führung und der Kooperation eine direkte und entscheidende Wirkung auf Produktivitäts- und Leistungsfaktoren hat, daß Menschen also die originären Erfolgspotentiale darstellen. Insofern ist gelebte Unternehmenskultur nicht Selbstzweck oder eine theoretische Vorstellung, sondern eine Erfolgsgröße.

Von Leitlinien und Firmengrundsätzen müssen sich umsetzbare Handlungsgrundlagen für den Alltag ableiten lassen. Die erste Orientierungsrichtung muß der Führungskreis festlegen. Damit bekommt die Führungsqualität eines Firmeninhabers oder -geschäftsführers eine besondere Bedeutung. Die Zukunft kann davon direkt abhängig sein. Bei dieser Betrachtungsweise klingt die Frage von Arno Grün (vergleiche Manager Magazin 4/92: "Schwache Sieger") besorgniserregend und provokant zugleich: "Sitzen in unseren Vorständen etwa Psychopathen?" Hierzu zählt er Menschen, die sich vor Gefühlen wie zum Beispiel dem Bedürfnis nach menschlicher Wärme fürchten und diese Furcht unter anderem durch ausgeprägtes Machtstreben und distanziertes Verhalten zu überdecken versuchen - frei nach der Maxime: Ein Manager hat cool zu sein.

Weiterhin sagt Grün: "Psychopathen brauchen den Feind, weil sie damit die inneren Konflikte nach außen ablenken." In vielen Fällen dürfte dieser Feind in einem quasi ausgewählten Mitarbeiter des eigenen Hauses gefunden werden, auf den dann alle negativen Potentiale projiziert werden. Können Sie sich vorstellen, wie in einer solchen dauerhaften Situation beispielsweise eine lebendige Beratungsunternehmenskultur entstehen und wachsen kann, wie menschliches Miteinanderumgehen möglich werden soll? Ich nicht!

Leitlinien können als Versprechen aufgefaßt werden, die es einzulösen gilt und an deren Echtheit das Unternehmen gemessen wird. Deshalb bekommt diese "ethische Dimension" eines Unternehmensprofils neben den wirtschaftlichen und technischen Faktoren eine immer größer werdende Marktrelevanz.