Geleaste DV-Leistungen lassen meist viele Wuensche offen

05.05.1995

MULDENSTEIN (ms) - Mit gemieteten Rechnerleistungen begannen die Rohrwerke Muldenstein 1991, ihre Materialwirtschaft und Finanzbuchhaltung neu zu organisieren. Ein Konzept, das jedoch nur kurzzeitig alle betrieblichen Anforderungen der Sachsen-Anhalter erfuellte und Ende letzten Jahres durch neue Systeme ersetzt werden musste.

Bereits Martin Luther soll in dem Ort an der Mulde gepredigt haben. Etwa im Jahre 1445, damals noch unter dem Namen Lusk, wurde das heute 3000 Seelen zaehlende Muldenstein das erste Mal urkundlich erwaehnt. Bekannter wurde die Region jedoch durch den Braunkohletagebau und die Naehe zur "Duebener Heide", einem wasserreichen Naturpark.

Das Staedtchen, etwa 15 Kilometer von der ehemaligen qualmenden Chemiebasis Bitterfeld entfernt, wurde 1962 Standort des einzigen Grossrohrherstellers der DDR.

Mit einer Jahreskapazitaet von 10000 Tonnen (etwa 800 Kilometer Rohr) und einem Umsatz im letzten Jahr von rund 100 Millionen Mark gehoeren die Rohrwerke Muldenstein mit ihren 380 Mitarbeitern (1989: 1500 Beschaeftigte) seit Januar dieses Jahres zu Stahlwerke Bremen und firmieren als deren 100prozentige Tochter.

Seinen Platz im neuen Markt musste sich das Unternehmen nach der Wende erst erobern. Ohne einen westlichen Partner waere das kaum moeglich gewesen, ist man in Muldenstein sicher.

Interessiert an der ostdeutschen Firma war die Duisburger Kloeckner Werke AG, die damals noch ihr Stahlsortiment erweitern wollte. Eine Chance fuer den ehemaligen DDR-Betrieb, der seine Produkte bereits seit Jahren auch an Kunden aus dem Westen verkaufte. Harald Korth, Geschaeftsfuehrer des Unternehmens, dazu: "Um konkurrenzfaehig zu bleiben, mussten wir die veraltete DV-Technik durch neue Systeme ersetzen."

Ausser einigen PCs und dem zentralen ESER-Host des Kombinats soll "praktisch nichts" vorhanden gewesen sein. Also kaufte man Dienstleistungen beim Bremer Rechenzentrum des Konzerns. Begonnen wurde laut Koth "mit dem Wichtigsten" - der Materialwirtschaft und Finanzbuchhaltung. Organisiert war das Ganze mit den Standardprogrammen "RM2" und "RF2" von SAP auf IBM-Mainframes. Die Verbindung von Ost nach West erfolgte via Satellit und dezentraler Steuereinheit, an die etwa 25 Terminals angeschlossen waren.

Um die Fertigung und den Materialfluss "zeitnah und lueckenlos" kontrollieren zu koennen, habe man nach einem leistungsfaehigen System fuer die Betriebsdatenerfassung (BDE) gesucht, erinnert sich Koth. Gefunden wurde es im Nordrhein-Westfaelischen bei der PSE GmbH, Duisburg.

Die niederrheinischen Softwerker des 1986 gegruendeten Systemhauses fuhren 1991 zu den Rohrproduzenten nach Sachsen-Anhalt, um die neue Anwendung zu installieren: eine Client-Server-Loesung unter einem Novell-Netz und einer Oracle-Datenbank ("Forms 3.0"). Eingesetzt wurden ein Datenbank-Server und 35 PC- Arbeitsplaetze in den Lager- und Produktionshallen.

Bis heute laufe die Anwendung "problemlos und rund um die Uhr", heisst es in der Firma.

Unzufrieden wurde man jedoch bald mit der geleasten Host-Loesung. Rainer Herrmann, Chef fuer Daten- und Auftragslogistik in Muldenstein, erklaert: "Die SAP-Programme waren natuerlich an die Beduerfnisse der Kloeckner AG angepasst. Sie boten zwar viele Funktionen, die wir nicht nutzten, konnten unsere spezifischen Anforderungen an die Materialwirtschaft jedoch nur unzureichend erfuellen."

So sei es unter anderem nicht moeglich gewesen, bestimmte Statistiken (ABC-Analysen etc.) "unseren Wuenschen anzupassen oder neu zu realisieren". Dennoch habe man die hohen Raten von jaehrlich etwa 110 000 Mark fuer die Nutzung der Maschinen und Programme zahlen muessen.

Als das RZ aus der Kloeckner Stahl Werke AG ausgelagert wurde, suchten die Sachsen-Anhalter "sofort nach neuen Wegen" - und die fuehrten erst einmal weg von der SAP. Nach Pruefung aller Fakten, resuemiert Herrmann, habe sich gezeigt, dass die Entwicklung eines eigenen Systems "nur unwesentlich teurer" werden wuerde als die hohen Mietzahlungen fuer fremde RZ-Leistungen.

Gemeinsam mit dem bereits bewaehrten Duisburger Softwarehaus realisierte man ein Client-Server-Konzept fuer die Materialwirtschaft (Mawi). Die Finanzbuchhaltung (Fibu) wurde bei der E+S GmbH, Bielefeld, eingekauft.

Um eine "saubere Oberflaeche" fuer die Verbindung zwischen BDE und Finanzbuchhaltung zu haben, blieb man bei Oracle und nutzte weiterhin das 4GL-Werkzeug Forms 3.0.

Auf Basis eines Datenmodells von Microtool ("Case 4.0") wurden zunaechst einfache Prototypen fuer die Anwendungen in den Bereichen entwickelt und mit den Mitarbeitern diskutiert. Anfang Dezember 1994 ging das Testsystem in praxi. Nach der Uebernahme aller Stammdaten aus der frueheren SAP-Anwendung begann der Echtzeitbetrieb mit Beginn des neuen Jahres. Hardwareseitig umfasst "PSE-Mawi" derzeit drei Server (Pentium-PCs, 60 Megahertz, 64 MB Speicher, zum Teil mit 3 GB Harddisk Drive gespiegelt) und etwa 50 Clients. Davon stehen acht Geraete in der Materialwirtschaft und Rechnungspruefung.

Die "gravierende Verbesserung im Vergleich zur frueheren Anwendung" ist laut Lothar Ludwig, Chef der Materialwirtschaft, die "starke Integration aller notwendigen Dialogschritte" - angefangen vom Bedarf, den die Fachabteilungen selbst erfassen, ueber den Einkauf bis hin zur Rechnungspruefung und Lagerverwaltung.

Trotz der fuer die Muldensteiner "guten Mawi und Fibu" - bisher wurden etwa 1,7 Millionen Mark in das DV-Projekt gesteckt - bleiben noch Wuensche offen. Im Gespraech ist der Einsatz eines PPS- Systems. Es soll kein Moloch sein, sondern in "einfacher Form" die gesamte Auftragsplanung in den Griff bekommen. Welches Produkt der zahlreichen Anbieter man jedoch favorisieren will, stehe derzeit noch nicht fest.