Marktlücke im CASE-Bereich gesichtet

GEI erwirbt deutsche Rechte an Cobol-Re-Engineering-System

27.10.1989

MÜNCHEN (qua) - Eine Lücke im AD/Cycle-Konzept der IBM will die Gesellschaft für Elektronische Informationsverarbeitung mbH (GEI) erkannt haben: Die AEG-Tochter mit Sitz in Aachen erwarb die deutschen Vertriebsrechte für das Cobol-Re-Engineering. System "Via/Center" aus der US-Softwareschmiede Viasoft.

Die Branche beurteilt das Thema Re-Engineering bislang noch ambivalent: Die einen halten diesen Ansatz für genauso verfehlt wie den Versuch, aus der Wurst das Schwein zu rekonstruieren; die anderen sehen hier eine erfolgversprechende Möglichkeit, den wildwuchernden Aufwand für die Pflege alter Anwendungen zu beschneiden.

Zur letztgenannten Kategorie gehört offensichtlich die GEI. Hatte das Aachener Systemhaus der CW gegenüber bereits im Juni einen Zipfel des Schleiers gelüftet (vergleiche CW Nr. 25 vom 16. Juni 1989, Seite 1 1: "GEI widmet sich dem Thema Re-Engineering"), so meldete es jetzt Vollzug: Ab sofort bietet die GEI exklusiv im deutschsprachigen Raum die Viasoft-Produkte "Analytical Engine", "Via/lnsight", "Intelligent Editor" und "Via Smart Test Re-Engineering" an.

Voraussichtlich im November wird auch die Komponente "Via Smart Doc" zur Verfügung stehen.

Wie Wolfgang Schönfeld, Sprecher der GEI-Geschäftsleitung, betontes werden nach Ansicht von Marktbeobachtern allein in der Bundesrepublik Deutschland bis zur Jahrhundertwende 300 000 qualifizierte Software-Mitarbeiter fehlen. Um so erschreckender sei, daß einer Studie der Gartner Group zufolge bereits 1990 bis zu neun Zehntel der verfügbaren Software-Kapazitäten durch die Wartung alter Programme gebunden sein würden.

Mit "CASE for existing Systems", so das GEI-Schlagwort, könne der Wartungsaufwand reduziert und damit mehr Manpower für die Entwicklung neuer Anwendungen freigesetzt werden.

Das Re-Engineering-System Via/Center unterstützt die Bedarfsanalyse im Hinblick auf Erweiterungen beziehungsweise Verbesserungen, die Systemanalyse, das Codieren und Compilieren, den Test und das Debugging sowie die Dokumentation und die Qualitätssicherung.

Alle zugehörigen Komponenten laufen unter MVS mit ISPF und TSO; die Einmallizenz kostet rund 180 000 Mark. In der vorliegenden Version analysiert das System laut Schönfeld jeden Cobol-Code, der von einem durch die IBM autorisierten Compiler erzeugt wurde. Außen vor bleiben hingegen Programme, die mit Cobol-Übersetzungsprogrammen fremder Anbieter oder mit anderen IBM-Sprachen wie beispielsweise PL/1 erstellt wurden.

Das Kernsystem des Re-Engineering-Konzepts, die "Analytical Engine", entstand Ende der 70er Jahre in den Labors des PCM-Anbieters Amdahl. Der IBM-Konkurrent hatte damals Grund, zu befürchten, Mother Blue könne bei ihren Betriebssystemschnittstellen den Informationshahn zudrehen. Mit Hilfe eines Re-Engineering-Systems, so hoffte Amdahl, würde es möglich sein, den für ihn überlebenswichtigen Source-Code aus dem Objektcode zu generieren.

Als der blaue Riese per Gerichtsbeschluß dazu gezwungen wurde, seine Betriebssystemschnittstellen offenzulegen, verlor Amdahl das Interesse an der "Analysemaschine". Einige Mitarbeiter des Projekts machten sich jedoch mit ihrem Know-how selbständig, gründeten Viasoft und haben mittlerweile den Status eines IBM-Business-Partners. Um die Via/Center-Produkte mit dem begehrten weiß-blauen Etikett ausliefern zu können, hat die GEI ebenfalls bei der IBM Deutschland GmbH vorgesprochen. Eine Absichtserklärung, das AD/Cycle-Repository zu unterstützen, wollten die Aachener allerdings bislang nicht abgeben.

Nach Ansicht von Josef Aichele, Marketing-Leiter des neugegründeten Produktbereichs Software-Tools, erübrigt sich ein solches Commitment: "Wir werden sowieso nicht umhin können, dem zu entsprechen, was die IBM vorgibt." *