Wohlstand als Grund für fehlende Digitalisierung

Geht es unseren KMUs zu gut?

Kommentar  14.08.2019
Von 


David Lauchenauer ist seit 1988 als Unternehmer im Bereich Business Software für KMU tätig. Seit 2008 ist er in der Schweiz Geschäftsführer und Verwaltungsratsmitglied der myfactory Software Schweiz. Seit 2016 ist David Lauchenauer auch Geschäftsführer und Gesellschafter der myfactory Gruppe.
Anstatt in die Digitalisierung zu investieren, ruht sich der Mittelstand auf den Erfolgen der Vergangenheit aus. Es droht ein digitaler Dornröschenschlaf.

Trotz globalen Risiken wie dem Brexit oder der Konjunkturflaute in China - kleinen und mittelständischen Unternehmen in Deutschland geht es gut. Das zeigt auch der aktuelle Mittelstandsbarometer von Ernst & Young (PDF): Der Umfrage zufolge sind von rund 1.500 Unternehmen fast zwei Drittel mit ihrer Geschäftslage uneingeschränkt zufrieden. Das ist seit Beginn der Messung der höchste Wert. Nur drei Prozent beklagen eine eher schlechte Geschäftsentwicklung.

KMUs müssen aus dem Dornröschenschlaf aufwachen.
KMUs müssen aus dem Dornröschenschlaf aufwachen.
Foto: goodluz - shutterstock.com

Eigentlich die ideale Voraussetzung, weiter zu wachsen. Doch für viele bedeutet das oft nur die Erhöhung der Mitarbeiterzahl. Der Invest in die Digitalisierung kommt immer noch zu kurz. Gerade kleine Unternehmen sind zu zaghaft und von denen, die mutig sind, hat laut KfW-Umfrage nur jede vierte Firma ein Digitalisierungsprojekt abgeschlossen. Es scheint, als ob der Erfolg und die gute Laune eher die digitale Müdigkeit als digitale Innovationen vorantreiben. Aber warum ist das so und wie lässt sich das Thema anpacken?

Digitalisierung - eine Typ-Frage?

Ob im Fernsehen, in der Presse oder auf Messen - Digitalisierung ist seit Jahren ein heiß diskutiertes Thema. Trotz der starken Verbreitung lassen sich einige Entscheider davon nicht beeindrucken. Auch die oft zitierten Vorteile wie Kostenersparnis, höhere Geschwindigkeit der Geschäftsprozesse, Gewinnsteigerung oder neue Mehrwerte für Kunden oder Mitarbeiter aktivieren nicht zum Handeln. Oft liegt das an einem bestimmten Management-Typen:

  • Die Genügsamen: Was in den letzten Jahren erfolgreich war, wird auch in den kommenden ausreichen. Diese trügerischen Sicherheitsgedanken begleiten die Genügsamen. Sie führen dazu, sich allein auf Altbewährtes zu verlassen und Neues nicht in Betracht zu ziehen. Das ist gefährlich. Denn die Digitalisierung ruft immer mehr Wettbewerber auf den Plan, die agiler, flexibler und noch näher am Endkunden sind. Hier nur auf die Erfahrungen der Vergangenheit zu setzen und sich in Sicherheit zu wiegen, reicht nicht aus.

  • Die Unterlasser: Viele Unternehmen haben heute einen sehr geringen Digitalisierungsgrad. Dessen sind sie sich auch bewusst. Anstatt aber nach Lösungen oder Optimierungen zu suchen, kommt es zu Ausreden: "Bei uns geht das nicht", "Hier fehlen uns die finanziellen Mittel", "Keine Business-Software passt zu uns" oder "Dafür haben wir aktuell keine Zeit." Das Problem daran: Während die Unterlasser Ausflüchte suchen, finden andere neue Wege, die Wettbewerbsvorteile schaffen. Und diese sind künftig nur schwer aufzuholen.

  • Die Ratlosen: Dieser Typ würde gerne digitalisieren, weiß aber nicht wie. Vor lauter Bäumen sehen sie den Wald nicht. Zudem fehlt das Digitalwissen. Verständlich, immerhin nimmt das Tagesgeschäft die gesamte Zeit in Anspruch. Durch diese "Arbeitsbrille" sehen Entscheider gar nicht mehr, wo man anpacken könnte. Zudem betäubt der Gedanke, dass nur völlig neue, disruptive Geschäftsmodelle die Lösung sind - doch welcher Weg führt dahin?

Digitalisierung - eine politische Frage?

Das Investment der kleinen und mittelständischen Firmen braucht es auf der einen Seite. Auf der anderen sind auch der Staat und die einzelnen Kommunen gefragt. Sie müssen das neue Grundbedürfnis nach schnellem Internet bedienen. Mehr noch: Eine ausreichende Bandbreite sollte wie Strom und Wasser Standard sein, keine Besonderheit.

Doch selbst in den Ballungsräumen, die sich als globale Wirtschafts- und Handelszentren bezeichnen, gehört das noch nicht zum Alltag - von ländlichen Gebieten ganz zu schweigen. Digitalmüdigkeit ist also nicht nur eine Frage des Typs, es ist auch eine Frage der Vorbilder. Wenn selbst Spitzenpolitiker das Internet noch als Neuland begreifen, wie können dann KMUs Vorreiter sein.

Digitalisierung - was tun?

Doch allein auf die Politik zu warten, kann auch nicht die Lösung sein. Im Gegenteil: Kleine und mittelständische Unternehmen müssen selbst aktiv werden und sich ihren individuellen Herausforderungen stellen. Dabei helfen diese Tipps:

  • Ziele: Unternehmen müssen nicht alles auf einmal tun. Um herauszufinden, was am meisten bringt, gilt es im ersten Schritt, Ziele zu definieren. Diese müssen zukunftsgerichtet und mit ersten Maßnahmen (Ideen, Verantwortung und Budget) untermauert sein.

  • Kontinuität: Digitalisierung ist kein abgeschlossenes Projekt, sondern ein andauernder Prozess. Dieser muss im Unternehmen verankert werden - idealerweise in der Geschäftsführung. Als eigener Bereich verstanden, ist er dauerhaft voranzutreiben.

  • Schritt für Schritt: Da bei KMUs kaum die gleichen finanziellen und personellen Ressourcen wie bei Großkonzernen vorhanden sind, bietet es sich an, die Digitalisierungs-Roadmap in kleine Etappen aufzuteilen. Umso mehr man schafft, desto höher die Motivation, weiter zu machen.

  • Support: Digitalisierung ist ein enorm weites Feld. Sich in jedem Bereich Expertise anzueignen, zieht den eigenen Wandlungsprozess nur in die Länge. Daher sollten Unternehmen auf externe Hilfe zurückgreifen und von den Erfahrungen anderer profitieren.

  • Kollaboration: Wer seine Digitalisierung zum Erfolg bringen will, muss frühzeitig die Mitarbeiter einbinden. Sie können nicht nur aktiv unterstützen, sondern liefern auch relevante Inputs. Zum Beispiel, welche Prozesse gut funktionieren und welche nicht.

  • Offenheit: An den vorherigen Punkt anknüpfend, sollten Unternehmen vor allem den Digital Natives Gehör schenken. Durch ihren unmittelbaren Bezug zur digitalen Welt sehen sie viele Dinge anders und haben spannende Vorschläge für Verbesserungen.

Aufwachen: Mehr Mut im Mittelstand

Eins steht fest: Nur die Digitalisierung sichert Deutschland auch in Zukunft den Wohlstand. Aus dem Grund muss das Thema von beiden Seiten angegangen werden. Zum einen vom Staat, der die nötige Infrastruktur bereitstellen muss - und das nicht nur für die ansässigen Unternehmen, sondern auch für Firmen aus dem Ausland, die neue Arbeitsplätze und innovative Produkte schaffen. Gelingt das nicht, wird Deutschland sowohl für ansässige KMUs uninteressanter als auch für internationale Investoren.

Zum anderen von den Unternehmen selbst, die sich nicht mehr auf den Wohlstand der letzten Jahre verlassen sollten. Um aus dieser erfolgsverwöhnten Digitalmüdigkeit zu erwachen, brauchen Firmen mehr Mut und den Willen, sich kontinuierlich digital zu wandeln. Andernfalls wird der Dornröschenschlaf im Mittelstand zum Albtraum, aus dem dieser nicht so schnell aufwacht.