CIO der Meyer Werft

Wie der Digital Twin den Bau von Ozeanriesen ermöglicht

18.02.2022
Von Andrea König
Der CIO des Schiffbauunternehmens Meyer Werft setzt bei der Digitalisierung des Schiffbaus auf eine enge Verzahnung von Business und IT.
Mit moderner Technologie volle Kraft Voraus: CIO Paul Meyer von der Meyer Werft hat das Publikum der Hamburger IT-Strategietage beeindruckt.
Mit moderner Technologie volle Kraft Voraus: CIO Paul Meyer von der Meyer Werft hat das Publikum der Hamburger IT-Strategietage beeindruckt.
Foto: cio.de

Das 227 Jahre alte Familienunternehmen Meyer Werft hat sich auf den Bau von Kreuzfahrtschiffen spezialisiert. Der promovierte Wirtschaftsinformatiker Paul Meyer verantwortet als CIO die IT der Unternehmensgruppe und ist ein Vertreter des Familienunternehmens. Meyer zählt zur siebten Generation des traditionsreichen Familienunternehmens und hat die CIO-Rolle 2016 übernommen.

Bei seiner Keynote "Digital Twins für die schwimmende Kleinstadt - digitale Transformation im Schiffbau" auf den Hamburger IT-Strategietagen verdeutlicht Meyer eindrucksvoll, warum er Kreuzfahrtschiffe als schwimmende Kleinstädte bezeichnet. Dafür zeigt der CIO einen Querschnitt der von der Meyer Werft gebauten AIDAnova. Im Querschnitt zu sehen sind außerdem ein Airbus A380 und die Titanic. Der Airbus verschwindet im Schiff und auch die Titanic ist deutlich kleiner als das moderne Kreuzfahrtschiff. Heute bestehen Kreuzfahrtschiffe aus etwa 20 Decks, beherbergen etwa 6.600 Passagiere in 2.600 Kabinen und bieten eine Auswahl von rund 16 Restaurants und 23 Bars.

Enorme Anforderungen an die Systeme

Der Bau der Ozeanriesen stellt enorme Anforderungen an die Systeme, die Organisation und das Team. Viele Elemente werden im komplexen Fertigungsprozess automatisiert produziert, zudem müssen viele Lieferanten integriert und mitgenommen werden.

Paul Meyer über die Komplexität des digitalen Zwillings.
Paul Meyer über die Komplexität des digitalen Zwillings.
Foto: cio.de

Die Plattform "MeyPLM" zeigt, dass die digitale Transformation bei der Meyer Werft in vollem Gange ist. Neue Sektionen - so werden einzelne Teile bezeichnet, die im Schiffsbau am Stück produziert werden - entstehen zweimal. Eine Sektion entsteht wie gewohnt in der Halle, zusätzlich gibt es einen digitalen Zwilling im Product Lifecycle Management System. Die Umstellung vom alten System auf MeyPLM war herausfordernd, da von einem dateibasierten auf ein datenbankbasiertes System umgestellt wurde, so Meyer.

Gleichzeitig sind die Vorteile groß, da der digitale Zwilling viel mehr Informationen aufnehmen kann als das Altsystem. Insgesamt zählt die Abbildung des Schiffes im PLM für ein einzelnes Schiff rund 16 Millionen Teile und benötigt mehrere Terabyte Speicherkapazitäten. Zum Vergleich: In der Autoindustrie umfasst ein digitaler Zwilling rund 10.000 bis 20.000 Teile. Zu den einzelnen Teilen im Schiffbau zählen unter anderem ca. 30.000 Tonnen Stahl, ca. 2.500 Kilometer Kabel, ca. 250 Kilometer Rohre, ca. 220 Tonnen Farbe sowie ca. 40.000 Quadratmeter Teppich. Auch Teppiche und Farben müssen vom PLM berücksichtigt werden, da sie zum Gesamtgewicht zählen und so die Geschwindigkeit des Schiffes beeinflussen.

Die World Dream im Baudock 2 der Meyer Werft.
Die World Dream im Baudock 2 der Meyer Werft.
Foto: Meyer Werft

Beim Bau und Design des Schiffes fallen zum Beispiel Entscheidungen zur Silhouette des Schiffes und zur Form und es wird entschieden, wie schnell das Schiff einmal fahren soll. "Das PLM unterstützt uns bei der Herausforderung eines durchgängigen Systemdesigns" sagt Meyer. So werden beispielsweise bei Kabeln Anfangs- und Endpunkte im System definiert und dann findet ein automatisiertes Routing statt. Diese Kabellängen können dann in der Fertigung automatisch zugeschnitten werden.

Erfolgsfaktoren für das PLM-System

"Wir haben mit dem neuen System ein Schiff komplett durchdesignt. Das war ein enormer Erfolg", so Meyer. Er nennt die folgenden Erfolgsfaktoren:

  • enge Zusammenarbeit der IT mit den Fachbereichen (technisches Büro und Fertigung)

  • Subteams für jeden Prozessbereich (Pärchen von jeweils einer Person aus Fachbereich und IT)

  • Gemeinsame Methoden- und Architektur-Entscheidungen

  • DevOps PLM Team

  • Einführung entlang der Schiffsentwickungsphasen

Paul Meyer nennt die Erfolgsfaktoren für die Einführung des Systems MeyPLM.
Paul Meyer nennt die Erfolgsfaktoren für die Einführung des Systems MeyPLM.
Foto: cio.de

Die Meilensteine der Schiffsentwicklungsphasen erforderten klares Priorisieren. "Es hat drei Jahre gedauert, bis das Schiff durchdesignt war", berichtet Meyer. Parallel zu diesem Prozess wurden nach dem Prinzip des "simultaneous engineering" bereits Teile des Schiffs gebaut.

Einsatzmöglichkeiten des digitalen Zwillings

Die Einsatzmöglichkeiten des digitalen Zwillings sind vielfältig. So kann das System beispielsweise genutzt werden, um im Fertigungsprozess mit dem Kunden virtuell das Schiff zu besuchen. "Dann kann man beispielsweise durch das Theater gehen und entscheiden, dass die Decke im Fertigungsprozess niedriger gezogen wird", sagt Meyer. Der digitale Zwilling kann auf dem Tablet genutzt werden und unterstützt die Werft bei ihrer Vision eines papierlosen Fertigungsprozesses.

Der Vorteil neben weniger Papierverbrauch: Aktualisierungen sind direkt sichtbar. Und auch im laufenden Betrieb hilft der digitale Zwilling. Wenn Schiffsmitarbeiter beispielsweise eine bestimmte Leitung benötigen, können sie mit Hilfe des digitalen Zwillings über ihr Tablet mit Hilfe einer Augmented-Reality-Anwendung hinter die verschlossene Wand sehen und öffnen die Wand zielgerichtet an der richtigen Stelle.

Ausdocken der Disney Wish.
Ausdocken der Disney Wish.
Foto: Meyer Werft

Um noch enger zusammenzurücken, wurden die IT-Organisationen der Meyer Werften aus Deutschland und Finnland zu einer IT-Organisation zusammengezogen. Man sei mit One-IT schon weit gekommen, so Meyer. Neben MeyPLM hat sich der CIO zwei weitere große Projekte vorgenommen: "Alfred Maritime Databutler" soll Daten auf die Schiffe bringen und eine CO2-Reduktion erreichen. Und MeyERP soll den Materialfluss auf den Werften verbessern.