Ein ökologischer Nischenmarkt:

Gefahrenstoff-Datenbanken halten die Gifte fest im Griff

25.10.1991

Giftige Stoffe werden in Industrie, Verwaltungen und auch Schulen benutzt. Im Chaos der gefährlichen Substanzen und im Wust der zugehörigen Vorschriften und Kennzeichnungen verschaffen Gefahrenstoff-Datenbänke einen Überblick. Bernd Hendricks* beschreibt den Nutzen dieser Lösungen im folgenden Beitrag anhand eines Beispiels, der Datenbank "Che".

Die unscheinbare Flüssigkeit in der kleinen Flasche ist Teufelszeug, das zeigt der Computer an. Auf dem Monitor erscheint eine Art Röntgenbild der Substanz, aus Buchstaben und Zahlen. Daraus läßt sich erkennen, die Chemikalie ist hochgradig krebserregend. Diese Erkenntnis vermittelt eine Gefahrenstoff-Datenbank, die die Geheimnisse von 1000 giftigen Stoffen enthüllt.

Mehr und mehr erobern diese Datenbanken den Softwaremarkt. Der Grund: Über 100 000 Chemikalien finden sich mittlerweilen in den Produktionshallen der Industrie. Bei jedem dieser Stoffe haben Sicherheitsbeauftragte die Werte katalogisiert und die Substanzen in Gefahrenstoff-Klassen eingeteilt. Zudem erscheinen jedes Jahr dicke Bücher mit Normen und Verhaltensanweisungen. Ohne Rechner mit leistungsfähigen Programmen läßt sich dieses Vabanquespiel mit Tausenden von Giften, zum Beispiel in großen Unternehmen, nicht beherrschen. Ein Stab von Wissenschaftlern und Experten arbeitet daher seit sechs Jahren an einem Gefahrenstoff-Informationssystem für Deutschland, das Einrichtungen wie Feuerwehr, Polizei, Gewerbeaufsicht und Immissionsbehörden die wichtigsten Daten über gefährliche Stoffe liefern soll.

Diese Gifte dringen inzwischen auch in das Bildungswesen ein. Allein in Nordrhein-Westfalen existieren etwa 6000 Schulen und private Ausbildungsstätten, die zu Ausbildungszwecken zahlreiche Chemikalien lagern. Seit die neue Gefahrenstoff-Verordnung auch für allgemein- und berufsbildende Schulen gilt, wird es auch für die Lehrkräfte notwendig, über ein Computerprogramm die Giftstoffe zu verwalten.

Die Ausbilder sind verpflichtet, Listen aufzustellen und die Gefahrenpotentiale der für den Chemieunterricht vorgesehenen Stoffe festzuhalten.

Frank Wedekind, wissenschaftlicher Angestellter und Doktorand an der Universität Bielefeld entwickelt seit Jahren Programme und Geräte. Außerdem forscht der 33jährige zum Thema "Computereinsatz im Bildungsbereich". Bernd-Heinrich Brand, Mitautor der Gefahrenstoff-Datenbank für das Bildungswesen, ist Lehrer und führt die Gefahrenstoff-Fortbildung seiner Kollegen durch. Die Grundlage des Programms von Wedekind und Brand ist eine Umfrage an mehreren hundert Schulen über die benutzten Gefahrenstoffe sowie die wichtigsten Gesetze, Verordnungen und Richtlinien.

Gefahrenstoff-Datenbanken, wie die Software der Bielefelder, liefern dem Anwender die verschiedenen Namen der Stoffe und die chemische Formel. Die Gefahrensymbole, Krebs- und Schwangerschaftsgruppen sowie die Gefährung für Haut und Wasser werden ebenfalls aufgezeigt.

Auch Informationen über die Entsorgung

Weitere Informationen erhält der Anwender über chemische und physikalische Daten, wie Dichte, Siede- und Schmelzpunkt und wie der Stoff zu lagern ist. Über Bestellnummern und Preise - wichtig für Schulen mit niedrigem Etat - gibt die Datenbank ebenfalls Auskunft. Ferner ist die sogenannte CAS-Nummer gespeichert, eine Registrierziffer, die jede Substanz kennzeichnet. Über dieses Kennzeichen kann die Gefahrenstoff-Datenbank der beiden Akademiker mit allen anderen Gefahrenstoff-Datenbanken korrespondieren.

Ein freies Feld steht dem Benutzer zur Verfügung, um eigene Kürzel einzufügen, etwa zur Kennzeichnung des Ortes, an dem das Gift gelagert ist.

Was Sicherheitsingenieure bei anderen Gefahrenstoff-Datenbanken oft vermissen, bietet dabei die Bielefelder Version: Informationen über die Entsorgung der Gefahrenstoffe, die als Sondermüll besonders, zu behandeln sind. Das Entsorgungskonzept hat ein Medikamentenhersteller aus Darmstadt beigesteuert. Mittlerweile nutzen 350 Schulen, chemische Untersuchungsämter, Institute und Hochschulen die Datenbanklösung für das Bildungswesen. Auch ein Baseler Pharmabetrieb verwendet das softwarebasierte Nachschlagewerk für die Ausbildung. Wedekind: "Wir sind auf eine ökologische Nische gestoßen."