Satellitennetze

Gedränge im Orbit: Die neuen Carrier kommen

14.08.1998

Im Jahr 1998 bricht für den orbitalen Mobilfunk eine neue Ära an: Die satellitengestützte Mobilkommunikation per Handy mit weltweiter Erreichbarkeit unter ein und derselben Rufnummer. Möglich wird dieser Dienst durch den Einsatz von Satelliten auf niedrigen Umlaufbahnen, dem Medium Earth Orbit (MEO) und dem Low Earth Orbit (LEO).

Die Funksignale dieser Satelliten sind an der Erdoberfläche ohne unhandliche Schüssel zu empfangen, und ihre kurzen Signallaufzeiten beseitigen lästige Verzögerungen beim Gegensprechen. Als erstes Netz dieser Generation startet "Iridium" am 23. September 1998 um 15:00 Uhr MEZ zunächst mit einem globalen Sprachdienst .

Mit den neuen LEO- und MEO-Netzen wird eine mächtige Konkurrenz auf die Inmarsat-Dienste zukommen, die bislang praktisch als Monopolisten den orbitalen Mobilfunk betrieben. Den Anfang machte die mobile Satellitenkommunikation im Jahr 1976 mit "Marisat". 1979 wurde die Inmarsat-Organisation gegründet, ein internationaler Zusammenschluß der damaligen monopolistischen Postverwaltungen. Inzwischen sind die TK-Märkte weitgehend dereguliert.

Auch in technischer Hinsicht hat sich bei Inmarsat einiges getan. Der erste Dienst, noch im analogen "Standard A", war ausschließlich für die Seeschiffahrt bestimmt. Nachdem auch andere Nutzergruppen Interesse bekundet hatten, wurden die Dienste auf landmobile Anwendungen ausgeweitet, die Übertragungstechnik entsprechend angepaßt, und die ersten digitalen Standards entstanden.

Die Inmarsat-Netzstruktur umfaßt Raum-2D, Boden- und Nutzersegment. Vier geostationäre Satelliten leuchten mit Ausnahme der Polkappen die komplette Erdoberfläche aus. Neben den Verbindungen zwischen mobilen und ortsfesten Teilnehmern sind heute auch Verbindungen zwischen mobilen Teilnehmern möglich. Inzwischen ist mit "Inmarsat-3" die dritte Generation im Orbit, die dem Nutzer mit einer steuerbaren Spotbeam-Technik wesentlich bessere Leistungen bietet. Das Raumsegment wird für alle Inmarsat-Dienste parallel genutzt. Dabei teilt sich die zur Verfügung stehende Bandbreite auf die Inmarsat-Produkte Standard A bis "Standard M" je nach Bedarf auf.

Über den Standard A (analog) und "Standard B" (digital) lassen sich Sprach-, Fax- und Datendienst abwickeln. Während der normale Datendienst eine Übertragungsrate von 9,6 Kbit/s zuläßt, kann der High-speed-Data-Dienst 64 Kbit/s übertragen. Anwender sind neben der Seeschiffahrt Fernsehanstalten wie CNN und internationale Verbände, etwa Greenpeace. Die Standards A und B benötigen auf der mobilen Seite Parabolantennen von mindestens einem Meter Durchmesser, die auf einen der vier Satelliten ausgerichtet sein müssen. Deshalb eignen sich diese Standards nur für stationäre Anwendungen oder für langsame Fahrzeuge.

Trend zur Miniaturisierung

Der "Standard C" unterstützt nur Datendienste. Er ist für landmobile Anwendungen optimiert und kommt mit kleinen omnidirektionalen Antennen aus, die keine spezielle Ausrichtung erfordern. Der Preis für die volle Mobilität ist die relativ niedrige Übertragungsrate von 600 Bit/s. Typische Anwendungsbereiche sind Kommunikation mit Fahrzeugflotten und Transport-Management, da hier meist nur kurze Mitteilungen zu übertragen sind. Auf der Festnetzseite werden die Daten vorzugsweise über Datex-P-Anschlüsse geführt.

Für das Büro in der Aktentasche steht der digitale "Standard M" beziehungsweise "Mini-M" zur Verfügung. Diese Services begnügen sich bei befriedigender Dienstgüte mit Array-Antennen im DIN-A4-Format. Einige Hersteller bieten die komplette Standard-M-Station in einem Hartschalen-Aktenkoffer an, die Array-Antenne ist im Deckel plaziert. Das komplette Gerät wiegt gut zwei Kilogramm und kostet um die 3500 Dollar. Natürlich sind alle büroüblichen Dienstarten wie Sprach-, Fax- und Datenübertragung mit einer Transferrate von 2,4 Kbit/s möglich.

Die Ausrichtung der Antenne wird durch ein akustisches Signal erleichtert. Trotz der enormen Fortschritte in der Gerätetechnik ist der technologische Abstand zwischen einer Mini-M-Station und einem Handy der GSM-Netze (D-Netze und E-Netze) gewaltig und wird es auch zukünftig bleiben.

Dem allgemeinen Trend folgend, soll auch die Inmarsat-Organisation privatisiert werden. Damit will man sich für den Wettbewerb rüsten, der nun auch im orbitalen Mobilfunk anbricht. Zum 1. Januar 1999 soll das Unternehmen in eine Aktiengesellschaft umgewandelt werden, die innerhalb der nächsten zwei Jahre an die Börse gehen soll.

Inmarsat gerät unter Druck

Inmarsat ist vor allem durch neue, private Satellitenkonsortien in Bedrängnis geraten, die ihre Trabanten vorwiegend auf niedrigen LEO- und MEO-Umlaufbahnen positionieren. Bei einer Höhe zwischen 700 bis 1500 Kilometern für LEO-Satelliten und von 10000 Kilometern für MEO-Satelliten in Verbindung mit starken Spotbeam-Antennen ermöglichen sie den Direktempfang der Satellitensignale mit kleinen Handy-Antennen. Im Gegensatz zu Antennen von terrestrischen Basisstationen haben Satellitenantennen, außer der großen Distanz, kaum Hindernisse auf dem Weg zum Mobilgerät zu überwinden.

Allerdings hat diese Technik ihren Preis. Je geringer nämlich der Bahnradius des Satelliten ist, desto kleiner wird sein Blickfeld auf die Erde. Wird flächendeckende Ausleuchtung angestrebt, ist eine große Anzahl von Satelliten erforderlich. Während man bei geostationären Umlaufbahnen in 36000 Kilometer Höhe mit minimal drei Satelliten auskommt, braucht ein LEO-System 50 bis 70 Satelliten. Hinzu kommt, daß die Steuerung des LEO-Satelliten und die Ausrichtung seiner Spotbeams sehr präzise sein müssen. Die Steuerung verbraucht Treibstoff, der nur begrenzt im Satelliten mitgeführt werden kann. Somit ist die Lebensdauer eines LEO-Satelliten auf fünf bis sechs Jahre begrenzt.

Das Raumsegment von Iridium besteht aus 66 aktiven und sechs Stand-by-Satelliten. Sie umkreisen auf sechs polaren Umlaufbahnen die Erde, wobei die jeweils elf Satelliten einer Umlaufbahn versetzt zu jenen der benachbarten Bahn fliegen. Die Bahnhöhe beträgt 780 Kilometer. Jeder Iridium-Satellit strahlt mit 48 Beams zur Erde und erzeugt so eine zusammenhängende Versorgungsfläche von 48 Funkzellen. Eine Funkzelle hat etwa einen Durchmesser von 600 Kilometern. Die Funkausleuchtung auf der Erdoberfläche ähnelt der heutiger terrestrischer zellularer Mobilfunknetze.

Während allerdings bei terrestrischen Systemen die Funkzelle statisch ist und der Teilnehmer mobil, sind bei Iridium die Funkzellen mobil und der Teilnehmer vergleichsweise statisch. Bewegt sich bei terrestrischen Systemen der mobile Teilnehmer durch die statische Zellenstruktur und wird von Zelle zu Zelle weitergereicht, so bewegt sich bei Iridium die orbitale Zellenstruktur über den statisch erscheinenden Teilnehmer hinweg.

Aufgrund der rotierenden Infrastruktur befindet sich der mobile Teilnehmer, unabhängig von seiner eigenen Geschwindigkeit, im Mittel nur etwa eine Minute innerhalb einer Funkzelle. Er muß also bei einem längeren Gespräch ständig von Zelle zu Zelle weitergereicht werden. Handelt es sich dabei um die Zellen eines Satelliten, erscheint das einfach. Wechselt der Teilnehmer in den Versorgungsbereich eines zweiten Satelliten, wird ein automatisches Handover im Orbit durchgeführt. Dazu verfügt das Iridium-System über "Inter-Satellite-Links".

Mit dem Iridium-Start im September 1998 werden zunächst Sprach- und Paging-Dienst zur Verfügung stehen. Ab Frühjahr 1999 sollen dann Fax- und Datendienst folgen. Die Investitionen für die Iridium-Infrastruktur betragen 3,4 Milliarden Dollar. Bereits zur Jahrtausendwende will das Iridium-Konsortium weltweit etwa eine Million Teilnehmer bedienen. Neben westentaschengroßen Pagern wird es das Handy als Dualmode-Ausführung geben.

Zum Netzstart sind Geräte der Firmen Motorola und Kyocera erhältlich. Sie werden als zweiten Mode entweder GSM in Europa, AMPS in den USA oder PDC in Japan beherrschen. Später werden Multimode-Geräte folgen, die neben Iridium noch weitere Weltstandards bieten. Die Dual- oder Multimode-Modelle versuchen grundsätzlich zunächst den preiswerteren terrestrischen Dienst zu nutzen. Erst wenn dieser nicht verfügbar ist, wird auf das Iridium-System umgeschaltet. Die Nutzungsgebühr soll zum Netzstart bei einer Grundgebühr von 80 Mark etwa fünf Mark pro Minute betragen.

Mit "Globalstar" wird 1999 das zweite LEO-System in Betrieb gehen. Die Betreiber setzen auf 48 aktive und acht Stand-by-Satelliten in einer Höhe von 1410 Kilometern. Jeweils sechs aktive und ein Ersatzsatellit bewegen sich auf acht kreisförmigen Bahnen. Jeder Satellit verfügt über 16 Spotbeams. Die Funkzellen-Cluster der Satelliten überdecken sich stark, so daß jeder Mobilteilnehmer von mindestens drei Satelliten gleichzeitig erfaßt wird. Ein Teilnehmer bleibt etwa zehn bis zwölf Minuten im Versorgungsbereich eines Satelliten und wird dann mit einem Soft-Handover zum nächsten Satelliten weitergereicht.

Globalstar will im Jahr 1999 den Betrieb aufnehmen. Der genaue Starttermin ist noch nicht bekannt. Es ist geplant, Sprach-, Fax- und Datendienst mit einer Nutzungsgebühr von einer Mark pro Minute anzubieten. Mit der relativ geringen Nutzungsgebühr wird der Wettbewerbsvorteil aus der im Vergleich zu Iridium billigen Infrastruktur (etwa 1,9 Milliarden Dollar) an den Kunden weitergegeben. Das Globalstar-Konsortium setzt sich aus Firmen wie Qualcomm, Loral Space & Communications, Daimler-Benz Aerospace, Alcatel und France Télécom zusammen.

ICO Global Communications Ltd. wurde im Januar 1995 von der Inmarsat-Organisation gegründet, um dem sich abzeichnenden Wettbewerb im orbitalen Mobilfunk zu begegnen. Zunächst war sie als ergänzendes Geschäftssegment zu den existierenden Inmarsat-Diensten gedacht. Inzwischen hat sich ICO zum selbständigen Unternehmen entwickelt, in dem Inmarsat und einige Inmarsat-Mitglieder beziehungsweise deren Tochterunternehmen kooperieren. So ist die Deutsche-Telekom-Tochter T-Mobil als zweitgrößter Investor maßgeblich beteiligt.

Mit ICO wird im Jahr 2000 das erste MEO-System in Betrieb gehen. Es soll mit zehn aktiven und zwei Stand-by-Satelliten auf zwei Umlaufbahnen die Erde lückenlos ausleuchten. Die MEO-Satelliten haben mit zwölf bis 15 Jahren eine wesentlich längere Lebensdauer als die LEOs. Die kreisförmigen Umlaufbahnen verlaufen in 10355 Kilometer Höhe. Weltweit zwölf Bodenstationen bilden das Interface zu den terrestrischen Festnetzen. Die Kosten für die Infrastruktur werden sich auf 2,6 Milliarden Dollar belaufen. Da ICO mit seinen in der Telekommunikation etablierten Beteiligungsgesellschaften über ein globales, gut eingeführtes Vertriebsnetz verfügt, dürfte der späte Start des ICO-Netzes kompensierbar sein. Natürlich wird es zum Systemstart auch für ICO Dual-mode-Handys geben. Die Nutzungsgebühren werden heute mit etwa drei Mark pro Minute veranschlagt.

Mit "Odyssey" soll im Jahr 2001 das zweite MEO-System seinen Betrieb aufnehmen. Es arbeitet mit zwölf aktiven und drei Stand-by-Satelliten. Die Satelliten umkreisen die Erde auf drei Umlaufbahnen in 10354 Kilometer Höhe. Odyssey wird mit nur sieben Bodenstationen die Verbindung zum terrestrischen Festnetz herstellen. Die Kosten für die Infrastruktur liegen bei 2,5 Milliarden Dollar, also etwa gleich hoch wie bei ICO. Das Odyssey-Konsortium besteht bisher aus nur zwei Unternehmen, der US Firma TRW mit einer Kapitaleinbringung von 120 Millionen Dollar und der kanadischen Teleglobe mit 60 Millionen Dollar. Somit ist nur ein Bruchteil der notwendigen Investition abgedeckt. Daher ist es auch fraglich, ob Odyssey überhaupt starten wird.

Auch Bill Gates hat die Chancen im Orbit erkannt und mit Craig McCraw den Dienst "Teledesic" gegründet, das mit dem Slogan "Internet in the sky" wirbt. Nicht weniger als neun Milliarden Dollar sollen investiert werden, um mit 288 Satelliten den orbitalen ATM-Anschluß mit anfangs 155 Mbit/s und später bis zu 1,2 Gbit/s zu realisieren. Mittlerweile ist es gelungen, eine Raumfahrt-Fachkompetenz in dieses ehrgeizige Vorhaben einzubinden; Boeing ist mit 100 Millionen Dollar in das Projekt eingestiegen. Als Dienstbeginn ist das Jahr 2002 anvisiert. Die Fachwelt hat allerdings erhebliche Zweifel, ob das gelingen wird. Zu viele technische und frequenzrechtliche Probleme sind noch zu lösen.

Aber gerade solche Projekte wie Teledesic bergen die Chance, für unüberwindlich gehaltene Grenzen zu überspringen und den steigenden Bedarf an Kapazität, Verfügbarkeit und Geschwindigkeit in der Telekommunikation auch künftig zu decken. Vor zehn Jahren erschien das Iridium-Projekt mit seinen damals noch 77 Satelliten utopisch. In wenigen Wochen wird es eingeschaltet.

Detlef Klostermann ist Geschäftsführer der Funkconsult GmbH in Senden.