Online-Dienste/Online-Dienste als vertriebsunterstuetzendes Medium gehemmt

Gebuehrenstruktur der Telekom bremst Nutzung neuer Medien

02.02.1996

Sattes Wachstum meldeten in den vergangenen Monaten nicht nur die Betreiber von Online-Diensten, sondern auch die Anbieter von Modems oder Kommunikationssoftware, ohne die niemand auf den Daten-Highway kommt. Der Preisverfall, speziell bei den Modems, hat massgeblich zu den steigenden Teilnehmerzahlen der Online- Dienste beigetragen. Ein weiterer Motor ist die immer groessere Zahl von vorkonfigurierten Multimedia-PCs, die mit saemtlichen Komponenten vom Band laufen, die fuer die Kommunikation auf der Datenautobahn notwendig sind.

Von einem Massenverkehr auf dem Information-Highway werden wir trotzdem wohl erst in etwa zehn Jahren sprechen koennen, lautete eine Prognose von Softwaremilliardaer Bill Gates anlaesslich der Eroeffnung der Muenchner Systems im Oktober 1995. Sollte sich Gates' Vision bewahrheiten, bleibt den Online-Anbietern also noch eine Menge Zeit fuer Testfahrten auf der Datenautobahn. Zeit um herauszufinden, mit welchem Angebot sie die Teilnehmer an sich binden koennen.

Die Rahmenbedingungen haben sich geaendert

Einige einschlaegige Erfahrungen mit Online-Diensten gibt es in Deutschland schon seit geraumer Zeit. Bereits Ende der 70er Jahre startete die Telekom ihren Bildschirmtext-Dienst, kurz Btx, der dem deutschen Michel die neue Medienwelt schmackhaft machen sollte. Der Versuch ging allerdings daneben, "vor allem deshalb, weil die Rahmenbedingungen nicht stimmten", erklaert Heiko Falk, geschaeftsfuehrender Gesellschafter von BBDO Interaktiv in Duesseldorf, den Misserfolg.

Zu den Gruenden des Scheiterns gehoerten fuer ihn die ueberteuerten Endgeraete, die seinerzeit notwendig waren. Denn Btx liess sich nur mit dem Btx-Terminal der Post oder einem Fernseher nutzen, der mit einem teuren Decoder eigens fuer den Service eingerichtet werden musste. Ueberdies waren die Inhalte langweilig, weil die meisten Informationen im Bildschirmtext schlichtweg einen Abklatsch der Printmedien darstellten. Schliesslich nahm die komplizierte Handhabung den Anwendern den Spass an der Nutzung des Dienstes.

Heute stellt sich Btx dagegen voellig anders dar. So setzt die Telekom verstaerkt auf zielgruppengerechtes Marketing und hat die Btx-Infrastruktur runderneuert. Dies hat den Dienst schneller gemacht, was sich in geringeren Gebuehren niederschlaegt. Zur positiven Einschaetzung von Btx, das jetzt T-Online heisst, tragen die preiswerte Zugangssoftware und die Nutzung der weitverbreiteten PCs als Endgeraete nach Ansicht von Falk massgeblich bei.

Allein in den vergangenen drei Jahren, so der Btx-Kenner im Rahmen eines Diskussionsforums auf der Systems 1995, habe man 800000 T- Online-Anwender registrieren koennen und gehe von einer monatlichen Zuwachsrate von etwa 20000 Teilnehmern aus. Neben Home-Banking sind Reisebuchungen und der mit einer Katalog-CD-ROM kombinierte Online-Einkauf, wie ihn die Versandhaeuser Quelle und Otto anbieten, die Renner unter den Btx-Anwendungen.

Eine attraktive grafische Benutzerfuehrung ist nach Ansicht von Andreas Vill, Pressesprecher der MGM Mediagruppe aus Muenchen, das A und O fuer den Erfolg einer Online-Anwendung. Allerdings sollte der Grafikanteil gut dosiert sein, weil sonst die Aufbau- und Ladezeiten zu lang sind, was sich negativ auf den Geldbeutel des Online-Anwenders auswirkt. Darueber hinaus verlange der Benutzer ein attraktives, zielgruppengerechtes Angebot, in dem er die Informationen findet, der er beruflich oder privat benoetigt.

Eine von MGM in Auftrag gegebene Studie ueber den Online-Markt hat laut Vill zwei Stroemungen erkennen lassen. Danach sucht der private Anwender im Online-Dienst eher nach Verbraucherinformationen oder Unterhaltungsmoeglichkeiten - und zwar entweder kostenlos oder sehr preiswert. Dafuer sind die User auch bereit, Online-Werbung zu akzeptieren, die das eigentliche Angebot unterbricht.

Geschaeftskunden allerdings verlangen professionelle Informationen, die sie beruflich nutzen koennen. Sie sind bereit, fuer diesen Mehrwert entsprechend zu zahlen. Auf diesem Hintergrund koennte ihnen Werbung unangenehm auffallen.

"Online-Dienste muessen fuer jedermann nutzbar und bezahlbar sein", forderte Michaela Merz im Rahmen des Systems-Forums. Die Geschaeftsfuehrerin des relativ jungen Online-Dienstes Callisto Net Germany kann die Diskussion der verschiedenen Anbieter nicht nachvollziehen. "Die eigentlichen Nutzer sind noch gar nicht da, und von einem Online-Massenmarkt sind wir in Deutschland noch weit entfernt."

Die Zielgruppe ihres Unternehmens sind private Konsumenten, die neben Spiel und Unterhaltung in ihrem Online-Dienst auch nach tagesaktuellen Informationen suchen. "Dazu gehoert der Preis fuer ein Pfund Butter bei Aldi ebenso wie das aktuelle Kino- oder Theaterprogramm", so die Medienfrau.

"Ein Dienst, bei dem nach dem Einwaehlen jedesmal eine Uhr zu ticken beginnt, ist fuer diesen Anwenderkreis nicht attraktiv", zeichnet Merz das Profil ihrer Kunden. Callisto Net Germany arbeitet nach dem Muster der privaten Fernsehsender und finanziert sich derzeit ausschliesslich ueber Werbeeinnahmen. Saemtliche Informationspools sind fuer den Anwender kostenlos zugaenglich.

Gebuehren durch Werbung moeglichst niedrig halten?

Torsten Schlaak, Direktor von Microsoft Network Zentraleuropa, widerspricht der These, dass der Online-Anwender alle Informationen umsonst abrufen wolle. Vielmehr sei der Kunde bereit, fuer eine Dienstleistung zu zahlen, wenn der Mehrwert fuer ihn erkennbar sei.

Diese Einschaetzung teilt Michael Doege, Berater fuer Online- Marketing aus Niedernhausen bei Wiesbaden. Doege glaubt nicht an die Notwendigkeit zur Finanzierung ueber Werbeeinnahmen. Der professionelle Anwender wisse den Wert der Ware Information zu schaetzen und sei bereit, dafuer zu zahlen.

Aber auch im Consumer-Bereich sieht Doege durchaus Chancen fuer gebuehrenpflichtige Informationspools. Wer beispielsweise eine neue Anschaffung taetigen wolle, ob nun eine Wasch- oder Spuelmaschine oder eine HiFi-Anlage, sei ein potentieller Kunde fuer gebuehrenpflichtige Online-Informationen.

Verkaeufe aus dem Info-Container

Schliesslich seien in letzter Zeit Agenturen aus dem Boden geschossen, die gegen Honorar nichts anderes tun, als den Markt nach moeglichst preiswerten Angeboten fuer Markenartikel abzugrasen und billige Einkaufsquellen aufzutun. Aehnliche Angebote koennten als Containerdienste innerhalb eines Online-Dienstes bereitstehen. Sie liessen sich beliebig durch weitere Services ergaenzen.

So koennten beispielsweise die Anwender in einem Chat-Forum untereinander Erfahrungen ueber die Qualitaet und die Erfahrungen mit einem Produkt austauschen, was anderen Interessenten als praxisnahe Entscheidungshilfe diene. In solchen Informationscontainern kann sich Doege sehr wohl zielgruppengerechte Werbung von Herstellern oder Dienstleistern vorstellen.

Speziell die Computerindustrie hat die Online-Dienste bereits als massgeschneidertes Vertriebsinstrument fuer sich erkannt. Immer mehr Software-Unternehmen bieten ihren Kunden an, Bedienungsanleitungen, Treiber oder Software-Upgrades vom Internet direkt auf den eigenen PC zu laden. Der Vorteil fuer die Hersteller liegt auf der Hand: Durch den papierlosen Informationsaustausch sparen sie Kosten fuer Papier, Druck und Versand sowie fuer die Diskettenherstellung.

Online-Vertrieb ist nicht fuer jeden attraktiv

Unternehmen wie Netscape halten ihre Internet-Browser bereits seit geraumer Zeit im Netz, und auch Quarterdeck steigt mit verschiedenen Softwarepaketen auf diese Schiene ein. Immer mehr DV-Unternehmen halten Produktinformationen auf Web-Pages fuer Online-Surfer bereit. Das Angebot reicht bis zu Testprogrammen, die sich aus dem Netz herunterladen lassen und sich nach einem vorgegebenen Testzeitraum automatisch loeschen.

Softwaregigant Microsoft haelt sich dagegen in dieser Richtung noch bedeckt. Man habe derzeit keine Absichten, Software nur noch online anzubieten, liess Bill Gates vermelden. Microsoft haelt den Online-Vertriebskanal noch fuer zu eingeschraenkt.

Die Entscheidung fuer oder gegen einen Online-Anbieter faellt ueber dessen Angebot. Zu einer guten Mischung gehoeren fuer MGM-Sprecher Vill Spass und Unterhaltung ebenso wie Chat-Gruppen fuer die Diskussion bestimmter Themen, Foren fuer den Informationsaustausch oder die Moeglichkeit des Software-Downloads. Ausserdem seien fuer den deutschen Kunden die Zahl der Einwahlknoten und damit die Kosten fuer den Zugang ein wichtiges Kriterium.

Nach Ansicht von Consultant Doege haben Online-Dienste heute bereits ein grosses Potential, das sich auch positiv auf den deutschen Arbeitsmarkt auswirken koennte. Er kann sich vorstellen, dass schon in naher Zukunft spezialisierte Agenturen entstehen, die fuer homogene Zielgruppen spezielle Containerdienste erarbeiten, diese mit immer neuen Informationen aktuell halten und im Online- Dienst pflegen.

Diese Containerdienste koennte die Industrie dann auch online, quasi als virtuelle Fachzeitschrift, zielgruppengerecht bewerben. "Im Online-Markt stecken enorme Impulse fuer ein immenses Wachstum auf dem deutschen Dienstleistungsmarkt", meint Doege.

Allerdings sei dann auch der Begriff "Dienstleistung" in Deutschland neu zu definieren und der Kunde entgegenkommender zu behandeln als bisher allgemein ueblich. Langfristig koennte aber durch das Angebot der Online-Dienste ein frischer Wind durch deutsche Dienstleitungsunternehmen wehen, wovon unter anderem die Banken mit ihrem dichten Filialnetz oder Reisebueros betroffen waeren.

Zwar werden beratungsintensive Produkte und Dienste nie ganz von der Bildflaeche verschwinden, glaubt Torsten Schlaak, er sieht aber neben der klassischen Beratung eine Direktschiene heranwachsen. Routineablaeufe im Zahlungsverkehr und einfache Reisebuchungen erledigt der Kunde eines Tages am Privat-PC daheim.

Viele Aspekte des Online-Marktes sind zur Zeit allerdings noch Zukunftsmusik. So kann man wegen der geringen Nutzerzahl nach Ansicht von Vill heute noch keine Kosten-Nutzen-Analyse fuer Online-Angebote vornehmen. Er glaubt, dass die Ausgaben, die Informationsanbieter heute fuer die Datenhaltung in den Online- Diensten auf sich nehmen muessen, die Einnahmen noch bei weitem uebertreffen.

"Allerdings sollte man die momentane Situation als Testphase betrachten, denn der eigentliche Massenmarkt wird erst noch auf uns zukommen", kommentiert Vill die Situation. "Wer heute seine Erfahrungen sammelt, die Beduerfnisse der Kunden jetzt analysiert und sich darauf einstellt, hat bereits einen Fuss im Online-Markt, wenn dieser so richtig in Fahrt kommt."

"Die Telekom bremst sich selbst aus"

Einig sind sich alle Online-Experten in der Beurteilung der Rolle, die die Telekom in diesem Markt nach der Tarifreform uebernommen hat. "Zuerst hat sie ihr Monopol missbraucht, um den Wettbewerb vom Markt fernzuhalten. Mit der neuen Tarifstruktur wird Online- Surfern der Spass an den neuen Diensten genommen, weil die Kosten enorm steigen und wahrscheinlich fuer Privatleute kaum noch zu bezahlen sind", schimpft Merz.

Langfristig koennte sich die Gebuehrenstruktur nach Ansicht der Experten sogar negativ auf den Standort Deutschland auswirken. "Die Telekom hat sich mit ihrer Preispolitik selbst zum Hemmschuh fuer den Daten-Highway gemacht", beurteilt Doege die Massnahmen des Kommunikationsriesen. "Dabei bremst die Telekom nicht nur den Markt fuer den Mitbewerb, sondern auch sich selbst aus und stoppt das neue Pflaenzchen Dienstleistungsmarkt, das sich in Deutschland gerade erst zu regen beginnt."

Gespraech in Taktraten

Zwei Muenchner Telekom-Angestellte telefonieren miteinander:

A: "SS!"

B: "SA!"

A: "SPD?"

B: "KPD!"

Ein dritter Angestellter hat mitgehoert.

C: "Seids ihr am Politisiern?"

A: "Na!

C: "Und was soi des hoassn?"

A: "Servus, Sepp! - Servus, Anton! - San Packerl da? - Koane Packerl da!"

Kurz & buendig

Die Anbieter von Online-Diensten klagen, die Telekom habe mit ihrer Gebuehrenreform den Anwendern die Tuer zur Welt der neuen Medien vor der Nase zugeschlagen. Den E-Mailern ist die Lust vergangen, sich einzuloggen und damit die Einnahmen von Telekom und Diensten zu mehren. Was die Anwender in der neuen Welt moechten, ist ohnehin zwischen den Anbietern umstritten. Selbst zu der essentiellen Frage, ob und wie weitgehend die Anwender - in Analogie zu Zeitungslesern - zwischen dem Informationsangebot kostensenkende Werbung akzeptieren wuerden, gibt es keine Uebereinstimmung. So verhilft die Gebuehrenreform den Anbietern nebenbei zu einer laengeren Experimentierphase.

*Petra Adamik ist freie DV-Fachjournalistin in Muenchen.