Gebremste OSI-Liebe

02.08.1991

"Idee gut, Ausführung noch schlecht" - auf diesen kurzen Nenner könnte man den Status quo der Entwicklung von OSI-Standards und deren Produktreife bringen. Kein Zweifel, natürlich geht es mit den offenen Standards aufwärts, rennt man mit einem Plädoyer für OSI bei Anwendern wie Herstellern scheinbar offene Türen ein. Eine Studie der Yankee Group von 1990 untermauert dies zumindest für den Anwender. Demnach ist nur ein Prozent der Befragten nicht an OSI interessiert, während 35 Prozent Interesse an den ISO-Standards bekunden. Erstaunlich ist auf den ersten Blick auch die Zahl der Anwendungen. Laut Untersuchung haben jeweils 19 Prozent der Teilnehmer schon OSI-Produkte implementiert oder sind gerade dabei, entsprechendes Equipment mit Hersteller-Support zu integrieren. Aber bekanntlich ist nicht alles Gold, was glänzt, und wäre es fatal, sich von den Ergebnissen der Studie eine heile OSI-Welt vorgaukeln zu lassen.

Mit zweierlei Problemen haben die OSI-Standards nämlich vorwiegend zu kämpfen: Erstens dauert der Normierungsprozeß viel zu lange. Zweitens greift der alte Teufelskreis, daß die Hersteller mit der Produktion auf eine starke Käufernachfrage warten, während die Anwender ihrerseits mit dem Kauf zögern, weil die Produkte noch zu teuer sind. Folge: De-facto-Standards wie TCP/IP oder das Simple Network Management Protokol erleben einen Boom, obwohl ihnen von OSI längst das Sterbeglöckchen geläutet werden sollte. Dabei gibt es für die Migration von TCP/IP zu OSI mittlerweile Produkte, der Anwender vertraut aber offensichtlich lieber auf Bewährtes.

Bei X.400 scheint das Eis jedoch gebrochen. Nahezu alle Hersteller bieten jetzt das Message-Handling-Protokoll an, das durch die X.500 Directory Services eine zusätzliche Aufwertung erfahren hat. Fortschritte in Sachen Produkte sind auch bei Edifact, FTAM und ODA/Odif zu verzeichnen, während es beim Netzwerk-Management noch hapert - alles in allem Grund genug, aus der gebremsten OSI-Liebe mehr werden zu lassen.