In Know-How statt in Lizenzen investieren

Gastkommentar: Wieso Unternehmen auf Open Source setzen sollten

27.04.2015
Von 


Thomas Wittbecker ist einer der Gründer der ADACOR Hosting. In seiner Funktion als CEO ist er im Unternehmen vor allem für die Neu- und Großkundengewinnung, Finanzen und Kommunikation verantwortlich. In seinen Blogbeiträgen setzt er sich pointiert mit Themen und Phänomenen auseinander, die ihm im Arbeitsalltag begegnen. Als Visionär vertritt er die Überzeugung, dass es für ein Unternehmen wichtig ist, ein verlässlicher und langfristiger Partner aller Stakeholder zu sein.
Viele Unternehmen nutzen immer häufiger Open-Source-Software für kritische Plattformen. Großunternehmen hegen jedoch immer noch deutliche Vorbehalte gegen quelloffene Software und bevorzugen nach wie vor kommerzielle Lösungen. Aus meiner Perspektive völlig unberechtigt.
  • Ein grundlegender Vorteil von Open-Source-Software ist die Unabhängigkeit von einem kommerziellen Anbieter.
  • Die Entscheidung für oder gegen den Einsatz von Open-Source-Lösungen in einem Unternehmen basiert in der Regel weniger auf finanziellen als vielmehr auf strategischen Überlegungen. Dabei muss jedes Unternehmen für sich beurteilen, welchen Stellenwert die Autonomie von kommerziellen Anbietern für es hat.

Vor einigen Wochen habe ich in einem Artikel in der "Zeit" gelesen, dass die großen Player der Technikszene im letzten Jahr mehr Geld für Lizenzstreitigkeiten, Strafen und Gebühren ausgegeben haben, als für Forschung und Entwicklung. Das ist mehr als bedauerlich, denn damit wird das Konzept der Patente, das eigentlich die Investitionen in Forschung und Entwicklung ankurbeln soll, ad absurdum geführt. Angesichts dieser Entwicklung ist es positiv, dass heutzutage immer mehr große IT- und Internetunternehmen Ressourcen in die Mitarbeit an Open-Source-Projekten investieren und ihre eigenen Entwicklungen als Open-Source-Lösungen zur Verfügung stellen. Darunter große Namen wie Google, IBM und Facebook.

Der sorgfältige Vergleich von Vor- und Nachteilen kommerzieller beziehungsweise quelloffener Softwarelösungen lohnt in jedem Fall.
Der sorgfältige Vergleich von Vor- und Nachteilen kommerzieller beziehungsweise quelloffener Softwarelösungen lohnt in jedem Fall.
Foto: Curioso - shutterstock.com

Es gibt jede Menge großartige kostenpflichtige Software. Gerade in Nischen ist das traditionelle Lizenzmodell gar nicht wegzudenken. Nicht in jedem Fall ist die Open-Source-Variante günstiger oder besser als eine kommerzielle Lösung. Zumal in einer Total-Cost-of-Ownership-Betrachtung die reinen Lizenzkosten häufig nur eine untergeordnete Rolle spielen. Und so nutzen wir bei ADACOR Hosting kommerzielle Software für eigene Projekte und sind von den Ergebnissen häufig begeistert. Aber es sprechen viele Argumente für eine verstärkte Nutzung von Open-Source-Lösungen in Unternehmen.

Unabhängigkeit ist ein hohes Gut

Ein grundlegender Vorteil von Open-Source-Software ist vor allem die Unabhängigkeit von einem kommerziellen Anbieter. Dies belegen typische Beispiele aus der Praxis, bei denen die Abhängigkeit von einem Hersteller wahrlich Nerven kostet:

  • Lizenzierung von Oracle-Datenbanken auf verschiedenen Virtualisierungsplattformen: Wenn man Oracle-Datenbanken auf Nicht-Oracle-Virtualisierung betreiben möchte, wird die Lizenzierung überdimensional teuer. Damit wird versucht, die eigene Plattform regelrecht zu erzwingen.

  • Bei Microsoft stellt sich die Situation auch nicht besser dar: Hier muss die gesamte Plattform unter der Virtualisierung lizenziert werden. Das ist bei einer VMware-Farm mit 20 Servern gar nicht darstellbar, wenn nur einige Windows VMs betrieben werden sollen.

  • Es wird problematisch, wenn der Softwarelieferant laufend sein Lizenzmodell und die Preise verändert, was zum Beispiel bei Microsoft und VMware der Fall ist.

  • Fragen Sie mal den Einkäufer eines DAX-Konzerns was passiert, wenn eine günstig ausgehandelte Unternehmenslizenz bei einem amerikanischen Hersteller verlängert wird, nachdem die Software im ganzen Unternehmen eingeführt wurde. Die Antwort wird Sie garantiert überraschen. Kleiner Tipp: Günstiger wird es nicht.

Möglichkeiten des Aufbaus eigenen Know-Hows

Natürlich tauschen Unternehmen diese vermeintliche Autonomie gegen die Abhängigkeit von der jeweiligen Open-Source-Entwicklergemeinde ein. Aber bei den größeren Projekten gibt es in der Regel eine große User Community, zu der auch viele Unternehmen gehören. Wenn ein Unternehmen also in die Weiterentwicklung von Open-Source-Projekten investiert, nimmt es auf diese Weise auch direkten Einfluss auf die entwickelten Lösungen.

Ist eine Software für das Kerngeschäft als Basis notwendig, besteht bei Open-Source-Software so die Möglichkeit, mit in die Weiterentwicklung einzusteigen und intern beliebig viel eigenes Know-how aufzubauen. Damit können Unternehmen eine komplette Eigenentwicklung umgehen und trotzdem unabhängig von anderen Anbietern sein.

Sicherheit und Datenschutz: Keine Software ist ohne Fehler

Natürlich bergen auch Open-Source-Produkte Risiken. Man erinnere sich nur an das SSL-Heartbleed-Desaster. Aber selbst bei solch einem katastrophalen Fehler waren die notwendigen Patches innerhalb kürzester Zeit nach dem Bekanntwerden des Problems verfügbar. Jeder, der sich die Zeit und Mühe machen wollte, konnte das Problem bis auf Code-Ebene nachvollziehen. Bei kommerziellen Unternehmen dauert es in der Regel erheblich länger, bis Probleme publik werden. Selbst wenn ein eingeweihter Kreis schon weiß, dass eine Sicherheitslücke besteht. Entsprechende Patches können dennoch Wochen und Monate auf sich warten lassen.

Da Open-Source-Software quelloffen ist, kann der Code von beliebigen Entwicklern kontrolliert werden. Das macht es schwer, Hintertüren für Geheimdienste oder andere einzubauen, wenn auch leider nicht unmöglich. In diesen Zusammenhang ist sicherlich der Umgang mit der PGP-Verschlüsselung (Pretty Good Privacy) aus den USA erwähnenswert. Die US-Regierung hat die Benutzung und den Export guter kryptographischer Technologien verboten. Dies betraf in der Vergangenheit auch PGP, denn die Verschlüsselung war nicht zu knacken und eine Backdoor gab es offensichtlich auch nicht.

Verfügbarkeiten und SLAs: Wo ist der Haken?

Die Verfügbarkeit von Plattformen ist in vielen Fällen für Unternehmen enorm wichtig. Aus diesem Grund werden häufig Gesamtlösungen von großen Herstellern mit SLAs eingekauft. Aber Vorsicht: Häufig handelt es sich nur um eine Scheinsicherheit. Die SLAs sind in der Regel bei großen Anbietern so abgefasst, dass der Kunde bei einem Bruch der SLAs nicht ansatzweise seine dadurch entstandenen Kosten decken kann. Produziert die Behebung eines Problems beim Hersteller immense Kosten, lässt dieser den Kunden darüber hinaus nicht selten fallen. Und es gibt nichts Frustrierenderes, als wenn wichtige Prozesse stillstehen und die Betroffenen nichts tun können, außer auf eine Reaktion des Supports zu warten. Aus meiner Sicht lohnt es sich deshalb, in Know-how statt in Lizenzen zu investieren und eine Open-Source-Softwarelösung zu betreiben, die die eigene Firma selbst im Griff hat und dementsprechend auch eigenhändig supporten kann. Eine Alternative ist es, einen Dienstleister, der über entsprechende Open-Source-Kenntnisse verfügt, eng an sein Unternehmen zu binden.

Fazit

Die Entscheidung für oder gegen den Einsatz von Open-Source-Lösungen in einem Unternehmen basiert in der Regel weniger auf finanziellen als vielmehr auf strategischen Überlegungen. Dabei muss jedes Unternehmen für sich beurteilen, welchen Stellenwert die Autonomie von kommerziellen Anbietern für es hat. Der sorgfältige Vergleich von Vor- und Nachteilen kommerzieller beziehungsweise quelloffener Softwarelösungen lohnt in jedem Fall. Denn der eine oder andere Vorteil kommerzieller Software besteht - wie zum Beispiel im Fall von SLAs - vielleicht nur auf dem Papier. Open-Source-Lösungen haben sich hingegen in der Praxis schon seit langem bewährt und sind nicht selten die bessere Wahl, wenn es um flexible und dynamisch wachsende Softwarelösungen geht. Kurzfristiger Support inklusive. (bw)