Gartner singt den Blues

10.11.2008
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Christoph Witte arbeitet als Publizist, Sprecher und Berater. 2009 gründete er mit Wittcomm eine Agentur für IT /Publishing/Kommunikation. Dort bündelt er seine Aktivitäten als Autor, Blogger, Sprecher, PR- und Kommunikationsberater. Witte hat zwei Bücher zu strategischen IT-Themen veröffentlicht und schreibt regelmäßig Beiträge für die IT- und Wirtschaftspresse. Davor arbeitete er als Chefredakteur und Herausgeber für die Computerwoche. Außerdem ist Witte Mitbegründer des CIO Magazins, als dessen Herausgeber er bis 2006 ebenfalls fungierte.
Die Analysten rechnen für 2009 mit sinkenden IT-Budgets und einem kaum noch wachsenden IT-Markt.

Auf der europäischen Gartner-Konferenz ITxpo im französischen Cannes legten die Analysten IT-Verantwortlichen wiederholt ans Herz, offensiv zu agieren und der Business-Seite mit Prozessverbesserungen und vor allem mit Innovationen zu helfen, die heraufziehenden schweren Zeiten zu meistern. "Sie werden sich aus dieser Krise herausinnovieren müssen", fasste Gartner-Analyst Andy Kyte eine der Kernbotschaften der diesjährigen Veranstaltung zusammen. Im Gegensatz zur letzten IT-Krise im Jahr 2001 sei die IT in den Unternehmen personell und in ihrer technischen Ausstattung schlank aufgestellt. Den Vorwurf, mehr Geld ausgegeben zu haben als nötig, brauche sich die IT dieses Mal nicht machen zu lassen.

Düstere Aussichten für 2009

Seit Jahren gelte schließlich das Diktat "Do more with less", ergänzte Chef-Researcher Peter Sondergaard. Außerdem sei die IT noch stärker als zur Jahrhundertwende integraler Bestandteil der Unternehmensprozesse. "CEOs betrachten die IT deshalb nicht als erste Adresse, wenn es um Budgetkürzungen geht." Allerdings müssten die Unternehmen weltweit ihre Kosten reduzieren, und die IT werde nicht darum herumkommen, einen Teil dieser Senkungen zu schultern. Als Solidaritätsbeitrag quasi.

Gartner geht davon aus, dass sich die IT-Budgets weltweit zwischen im besten Fall einem Plus von 2,3 Prozent und im schlechtesten Fall einem Minus von 2,5 Prozent bewegen. Am wahrscheinlichsten sei im kommenden Jahr eine Stagnation der IT-Ausgaben.

IT-Budget- und Marktentwicklung 2009

Weltweite IT-Budgets

-2,5 % bis +2,3 %

Europäischer IT-Markt

-0,8 % bis +2,8 %

Nordamerikanischer IT-Markt

+3,4 % bis +5,3 %

Das Wachstum des weltweiten IT-Markts habe sich zwischen September und Oktober bereits von 5,8 auf 2,3 Prozent abgeschwächt. Im kommenden Jahr werde der Servicemarkt stagnieren und der Hardwaremarkt schrumpfen. Für den europäischen IT-Markt erwartet Sondergaard im besten Fall ein Plus von 2,8 Prozent, wahrscheinlicher sei aber ein Rückgang. In Nordamerika rechnet der Analyst nach wie vor mit einem Anstieg von 3,4 bis 5,3 Prozent.

Alle Gartner-Analysten, die auf der ITXpo die Entwicklungen in ihren Fachgebieten beschrieben, rieten den Anwendern dringend, sich auf die Krise vorzubereiten und mit gravierenden Konsequenzen zu rechnen. Mark Raskino erklärte die Trennung zwischen Finanz- und Realwirtschaft für Makulatur: "Jenseits aller Spekulationen finanzieren die Banken die Realwirtschaft, und wenn die Finanzierung nicht mehr funktioniert, entstehen jede Menge Probleme."

Andererseits ließ Gartner nichts unversucht, den Teilnehmern Mut zu machen. Immer wieder fielen Sätze wie: "Die wichtigsten Ideen entstehen in schlechten Zeiten." Plato wurde zitiert: "Die Not ist die Mutter alles Neuen." Und natürlich: "Krisen sind immer auch große Chancen." Um Letztere zu wahren, riet Sondergaard dazu, sich vor allem um folgende Dinge zu kümmern: "Optimieren Sie Ihre IT-Budgets. Kümmern Sie sich um den wichtigsten Trend im kommenden Jahr, die Virtualisierung, und bemühen Sie sich, bis 2010 ihre IT-Systeme modernisiert zu haben." Weitere wichtige Betätigungsfelder für CIOs sieht er in den Themen Green IT, Business Intelligence, SOA und BPM sowie im Multisourcing. Der Chefdenker von Gartner mahnte aber auch: "Die Business-Seite erwartet nach wie vor mehr von der IT, als diese heute liefert." Diese Lücke zwischen Erwartungen und Leistungen gelte es trotz der im nächsten Jahr wahrscheinlich geringeren Mittel zu schließen.

Redundanzen auflösen

Andy Kyte, Gartners Applikationsspezialist, stieß ins gleiche Horn: "Wir müssen überdenken, wie wir die Dinge tun, die wir tun." Beispielsweise gehe es darum, Redundanzen aufzulösen. "Natürlich brauchen wir CRM-Systeme, aber brauchen wir in einem Unternehmen fünf davon?", fragte er provokant. Die vorhandenen Systeme müssten effizienter betrieben werden. Das bedeute auch, Applikationskosten über den gesamten Lebenszyklus einer Anwendung zu betrachten und nicht nur die Anschaffungsausgaben zu sehen. Noch konzentrierten sich CIOs zu stark auf die Akquisitionskosten, die Betriebskosten würden zu selten in Betracht gezogen.

Brian Gammage, Gartner Fellow mit dem Spezialgebiet Infrastruktur, rief die Teilnehmer dazu auf, die IT-Infrastruktur ihrer Unternehmen genau zu überprüfen. "Infrastruktur ist nach wie vor ein wichtiges Thema. Nicht alle, aber einige Systeme sind nach wie vor wichtig für die Leistungsfähigkeit ihrer Unternehmen." Er riet dazu, Infrastruktur wie ein Portfolio zu managen. "Differenzieren Sie zwischen kritischen, wichtigen und Commodity-Systemen." Vor allem bei Letzteren ließen sich Kosten sparen, durch klassische Auslagerung, aber auch durch Cloud-Computing-Ansätze.

Business-Bedürfnisse an erster Stelle

"Wenn Sie einem Verletzten helfen wollen, der einen Arm gebrochen hat und stark blutet, rät Ihnen jeder professionelle Rettungssanitäter, zuallererst die Blutung zu stoppen und sich erst dann um den gebrochenen Arm zu kümmern." Mit diesem drastischen Bild forderte Gartner-Analyst Richard Hunter die CIOs auf, sich im kommenden Jahr in erster Linie um die Belange des Business zu kümmern: "Es dreht sich alles um die Bedürfnisse der Business-Seite und wie die IT sie am besten befriedigen kann." Dabei sollten CIOs jedoch unbedingt darauf achten, dass die Geschäftsseite auch registriere, was von der IT beigetragen werde. Schließlich "unterstützt das Business die IT nur dann, wenn sie auch Messbares zum Geschäftserfolg beiträgt".

Im übertragenen Sinne gehe es 2009 in der IT darum, "das eigene Zimmer aufzuräumen, das ganze Haus zu säubern, alles in Frage zu stellen, was man kaufen will, die eigenen Leute zu beschützen, die Budgets noch einmal zu überprüfen und sich auf verschiedene Zukunftsszenarien vorzubereiten".

CEOs fordern Einsparungen

Jorge Lopez, Managing Vice President von Gartner, sieht allerdings weitere drastische Kostensenkungsmaßnahmen auf die IT zukommen. "CEOs kennen Moores Gesetz, wonach sich die Leistung der Prozessoren alle 18 Monate verdoppelt. Sie fragen sich nicht zuletzt deshalb, warum sie für die IT jedes Jahr mehr ausgeben sollen."

Lopez geht davon aus, dass der IT eine "Ära der Produktivität" bevorsteht. "Bis 2012 werden sich in den größten Unternehmen die Einnahmen pro IT-Mitarbeiter verdoppeln", sagte er voraus und zitierte eine Aussage von Citibank-Chef Vikram Pandit in der "Financial Times": "Uns erscheint es durchaus möglich, zehn, 15 oder 20 Prozent unserer Kosten zu senken, speziell im Bereich Informationstechnologie." (wh)

Die IT muss produktiver werden

Gartner-Analyst Jorge Lopez sieht mehrere Möglichkeiten, wie Unternehmen die Effizienz ihrer IT deutlich steigern können.

Konsolidierung: Die strenge Überprüfung des Portfolios und ein Shared-Service-Ansatz können CIOs helfen, die IT-Kosten zu halbieren.

Cloud Computing: Das Konzept kann die Kosten pro Applikation je Nutzer und Nutzungszeit signifikant verringern.

Dramatisch sinkende Hardwarekosten: Beispielsweise reduzieren sich die Speicherpreise bis zum Jahr 2012 um 22 bis 48 Prozent. Hardware wird quasi zur Wegwerfware.

Zunehmende Agilität: Mit neuen Business-Process-Management-Tools lassen sich Prozesse nicht nur gestalten, sondern direkt ausführen.

Globalisierung/Economies of Scale: Die niedrigeren Lohnkosten in Schwellenländern und das "Folge-der-Sonne-Prinzip" helfen ebenfalls, Kosten zu reduzieren, ohne die Leistungen der IT zu senken.