Elfenbeinturm IT kurz vor dem Einsturz

Gartner fordert IS-Shops zur Kulturrevolution auf

02.02.1996

"Der Schluessel fuer das Ueberleben von IS-Organisationen liegt nicht in deren Moeglichkeiten zur Aneignung von Technologie, sondern in der Faehigkeit, sich am Markt zu orientieren." Zu diesem Fazit fuehrte ein Forschungsprojekt, das die Gartner Group gemeinsam mit dem Beratungsunternehmen Cognitech mit Sitz in Easton, Connecticut, unternommen hatte.

Demzufolge darf sich eine IS-Organisation heute nicht mehr damit zufriedengeben, Informationstechnik zu moeglichst niedrigen Kosten zu bieten. Viel zu oft wuerden die IS-Spezialisten ihre Produkte und Dienstleistungen in ein strategisches Vakuum ausliefern, anstatt zum Geschaeftserfolg des Unternehmens beizutragen: etwa indem sie eine unterstuetzende Infrastruktur bereitstellen, die notwendige Technologie liefern, um Re-Engineering-Projekte handhabbar zu machen, oder die Entwicklung von Produkten und Services beschleunigen.

Drei unterschiedliche Arbeitsauffassungen haben die US-Analysten in den IS-Abteilungen beobachtet: den "Clan"-Ansatz, die "Eltern"- Organisation und die kundenorientierte Philosophie.

Die Clan-Strategie zielt auf Abgrenzung. Im Mittelpunkt der Ueberlegungen steht nicht das Interesse der Kunden, sondern das der eigenen Gruppe.

Diese Art von Kultur findet sich laut Gartner Group haeufig in technisch orientierten Teams. In die Bredouille kommen solche Mannschaften, wenn das Gesamtunternehmen seine Marktorientierung staerker betonen will - und das ist heute in der Mehrzahl aller Betriebe der Fall. Auf lange Sicht, so die Einschaetzung, werden diese DV-Clans voraussichtlich einer Reorganisation unterzogen oder gar ausgegliedert.

In einer IS-Abteilung, die dem Eltern-Prinzip froent, hat Sicherheitsdenken erste Prioriaet. Die Entscheidungen werden Top- down getroffen und folgen dem Leitgedanken der Risikominimierung. Nach Ansicht der Analysten handeln Organisationen dieser Art nicht unternehmerisch, weil sie zu langsam seien, um auf Kundenanforderungen reagieren zu koennen.

Nur den IS-Organisationen mit einem marktbezogenen Fokus raeumt die Gartner Group gute Chancen ein, sich langfristig zu etablieren. Hier richten sich die Entscheidungen des Managements und die Aufmerksamkeit der Mitarbeiter vor allem darauf, die Ansprueche der Kunden zu befriedigen. Wie die Marktbeobachter hinzufuegen, schliesst dieser Ansatz eine adaequate Vermarktung der eigenen Leistungen ein. Diese Philosophie sei die einzige, die es erlaube, das Potential neuer Technologien und verbesserter Prozesse zu nutzen. Sie verspreche sogar dann gute Ergebnisse, wenn sich die Unternehmenskultur im ganzen noch nach anderen Maximen richte.

Im umgekehrten Fall hingegen koenne eine Clan- oder Eltern- Organisation nicht einmal in einem ansonsten vom Kundennutzen bestimmten Unternehmen erfolgreich operieren. Das sei der Grund, warum so viele IT-Implementierungen und Re-Engineering-Projekte scheiterten, obwohl es weder an Technik noch an Anbietern oder Beratern mangele.

Anstoss fuer die Kulturrevolution gibt oft ein neues Management-Team oder das negative Feedback von seiten der Auftraggeber. In Gang gebracht wird die Veraenderung am wirkungsvollsten durch ein Middle-Management, dessen Akteure als "Change Agents" fungieren. Unabdingbar ist eine Vision der Unternehmensleitung. Sie muss die Vorteile einer neuen Arbeitseinstellung fuer alle Beteiligten sichtbar machen.

Am schnellsten wird sich die neue Kultur aber dann durchsetzen, wenn sich auch die Bewertung und Entlohnung der Mitarbeiter an diesen Vorgaben orientiert. Selbstverstaendlich muss auch nachweisbar sein, dass sich die marktorientierte IS-Strategie besser als die alte Arbeitsweise dazu eignet, Unternehmensziele zu erreichen und Anwender zufriedenzustellen.

Alles in allem kann der Veraenderungsprozess nach den Mutmassungen der Gartner Group gut und gern fuenf Jahre dauern. Als Alternative zu einem ganzheitlichen Umstieg empfiehlt das Marktforschungsunternehmen, zunaechst diejenigen Mitarbeiter auf die neuen Grundsaetze einzustellen, die direkt mit den Auftraggebern zu tun haben.