Virtuelle Lernlandschaft ergänzt herkömmliche Ausbildung

Ganzheitliches Wissens-Management spart Zeit und Geld

03.12.1998
Von Hilde Josephine Post* Experten erklären Wissen zum Produktionsfaktor der Zukunft. Das erfordert ein ganzheitliches Wissens-Management im Unternehmen, aber auch die Vernetzung unterschiedlicher Ressourcen. Virtuelle Universitäten könnten Wissensdienstleistungs-Zentren werden.

"Sollten wir uns zur Wissensgesellschaft entwickeln, wird neben Arbeit, Kapital und Boden, die vierte Produktionskraft das Wissen sein", prognostiziert Jürgen Guttmann, Innovationsberater des Siemens-Vorstands in Sachen Informationstechnologie. Wissen entwickelt sich immer mehr zum Wettbewerbsfaktor eines Unternehmens. Christian Rathke vom Fraunhofer Institut für Arbeitswissenschaft und Organisation (IAO), bedauert allerdings: "Die typische Informations-Infrastruktur eines Unternehmens unterstützt zwar den Umgang mit Information, aber nicht den bewußten Umgang mit Wissen." Erst logisch verknüpfte Informationen werden zum Wissen. Deshalb beschäftigt sich das IAO intensiv mit einem ganzheitlichen Ansatz von Wissens-Management in Unternehmen.

Künftig ein Abo für Wissensdienste

Ganzheitlich deswegen, "weil viele Ansätze entweder die Rolle der Informationstechnologie ignorieren oder sich auf das Wissens-Management konzentrieren", begründet IAO-Projektleiter Peter Thies. Eine Verbindung sei unbedingt erforderlich. Ein Unternehmen sollte sich fragen, welches Wissen es benötige, um bestimmte Prozesse zu unterstützen.

Banken interessiert zum Beispiel inwiefern Arbeitsabläufe betroffen sind, wenn sich Gesetze ändern, etwa die Vorschriften des Vermögensbildungsgesetzes. Die Plattform, die das IAO entwickelt, bezieht die bereits vorhandenen Informationssysteme mit ein. Thies erklärt: "Die Architektur wird generischen Charakter haben und damit in einer Vielzahl von Unternehmen anwendbar sein." Zu einem ganzheitlichen Konzept gehört auch der Zugriff auf externe Wissensquellen. Die Informationstechnologie bietet die Möglichkeit, Wissensressourcen zu vernetzen. Rathke könnte sich zum Beispiel vorstellen, daß man Wissensdienste abonniert.

Auch Guttmann vermutet, daß sich ein neues Feld von privaten Wissensdienstleistern auftun wird. Das könnten zum Beispiel Verlage sein oder auch Universitäten, die Dienstleistungszentren aufbauen. Sie werden im Wettbewerb miteinander stehen und sich durch die Qualität der Inhalte abgrenzen. Siemens rüstet sich für diese Entwicklung. Guttman plant, Wissen in eine Art Lernlandschaft zu integrieren, die dem Nutzer nicht nur als Navigator dient, sondern ihm auch ein Feedback gibt, wie er vorankommt. Sie macht ihn aufmerksam und führt ihn wieder an den Anfang zurück, wenn er die Aufgabe nicht verstanden hat.

Das wichtigste aber sei, das Wissen zu modularisieren und dann die einzelnen Module zu Kursen zu bündeln. Siemens- und SNI-Experten tüfteln gerade an einem Content-Management-System, das eine solche Lernlandschaft darstellen kann. Dabei soll das System mit verschiedenen Wissensbasen arbeiten. Das könne das Kernforschungszentrum in Jülich sein, die Rheinisch Westfälische Technische Hochschule in Aachen, eine Universität in Oregon, USA, oder auch eine in Shanghai sein. Ein Prototyp des Wissens-Management-Systems soll Mitte des Jahres für den virtuellen Campus im niederbayerischen Hof bereitstehen.

Die eingesetzten Module sind zudem frei kombinierbar. Zum Beispiel kann ein Bilanz-Rechnungs-Modul nach amerikanischem Recht genauso in der Einführung für US-Betriebswirtschaft genutzt werden wie in einem Controller-Kurs. Eine einzelne Lernkomponente sollte in nicht mehr als 25 Minuten abzuarbeiten sein und in der Erstellung nicht mehr als zehn bis 15 Mark kosten.

Guttmann sieht große Chancen für Unternehmen, über Online-Methoden an Wissen heranzukommen. Der Elektronikkonzern steckt derzeit jährlich 700 Millionen Mark in die Aus- und Weiterbildung. Häufig greife er auf Inhalte von wissenschaftlichen Einrichtungen zurück. "Da wir unsere internen Weiterbildungsverfahren analog einer virtuellen Universität aufbauen, macht es Sinn, Content-Quellen aus allen möglichen Ecken der Welt anzuzapfen", stellt sich Innovationsberater Guttmann vor.

So könnten die Kandidaten beispielsweise zu einem Teilzeit-MBA in die USA geschickt und sehr gut über virtuelle Universitäten unterstützt werden. Ein Einsparungseffekt von 35, wenn nicht 50 Prozent durch Zugriffe auf Online-Hochschulen sei bei Siemens durchaus denkbar. Doch auch in Firmen sammelt sich viel Wissen an, das andere nutzen könnten. Deshalb schlägt Guttmann vor: "Geben und Nehmen von Wissensinhalten sollte zwischen verschiedenen Organisationen, Hochschulen oder Unternehmen eine viel größere Rolle spielen."

Noch keine Methoden für das Online-Lernen

Siemens besitze zum Beispiel einen sehr großen Fundus an nachrichtentechnischem Know-how. In Hof, wo eine virtuelle Hochschule entstehen soll, will der Konzern nicht als Betreiber auftreten, hofft aber, als Netzwerkausrüster und Softwarelieferant mit von der Partie zu sein. Siemens hat dafür den Geschäftsbereich Wissensbasierte Lernsysteme gegründet. Noch fehlt es allerdings an Methoden und Didaktik für das Online-Lernen.

Multimedial aufbereitete Fallbeispiele lassen den Online-Studenten auf Entdeckungsreise gehen und durch Erleben begreifen. Virtuelle Ausbildungsstätten sind laut Guttmann zwar als Unterstützung im Beruf gut geeignet, müssen allerdings mit herkömmlichen Methoden zusätzlich ergänzt werden.

*Hilde-Josephine Post ist freie Journalistin in München.