Future World

14.07.1989

Lang ist's nicht her, da warnten Politiker vom Schlage eines Heinz Riesenhuber von der grassierenden Technikfeindlichkeit in unserer Gesellschaft. Nach Dekaden einer von jeglicher Sachkenntnis ungetrübten Fortschrittsgläubigkeit war die Stimmung ins andere Extrem umgeschlagen, weil allerorten die Folgen des Technikmißbrauchs offenbar wurden. Inzwischen ist die alte Zukunftseuphorie wieder da - nur unter dem neuen Mäntelchen der "Hochtechnologie".

Wie leicht sich selbst renommierte Exponenten der (wir schränken ein: amerikanischen) DV-Industrie zu irrwitzigen Szenarien hinreißen lassen, die allenfalls in Walt Disneys Epcot Center passen würden, bewies jetzt das "Wall Street Journal" anläßlich seines Zentenariums: Ein Jahrhundert nach Jules Vernes gewagten Prophezeiungen bezüglich der Mondfahrt oder der atomgetriebenen Unterseeboote hatte das Leib- und Magenblatt der Finanzwelt Amerikas bekannteste "Computer Gurus" befragt, wie die Welt der Technik im Jahr 2000 aussehen wird. Nur in einem Punkt waren sich die Hohepriester des Nanosekunden-Zeitalters einig. Bis zur Jahrtausendwende werden Mikrocomputer die 20- bis 50fache Leistung (respektive Geschwindigkeit) heutiger PCs aufweisen.

William Gates der Dritte, der bisher immer jovial als "Bill" Gates auftrat, schwärmt von flachen Computerbildschirmen, die solch ein phantastisches Auflösungsvermögen haben, daß man sie anstelle von Bildern an die Wand hängen kann - mit ständig wechselnden Kunstwerken im Display. Die Schönheit von Ölgemälden, gesteht der MS-DOS-Milliardär, würden die Screens vielleicht nicht erreichen, aber doch "90 Prozent davon".

Der schon etwas gereiftere Gordon Bell, Forschungsvorstand von Ardent Computer in Kalifornien, träumt von einer Entwicklung, die dem Durchschnittsbürger sicherlich mehr Nutzen bringt: einem 10-Dollar-Taschencomputer für jedermann, der nicht nur jeden heutigen Desktop-PC alt aussehen läßt, sondern zudem menschliche Sprache versteht und als persönlicher Berater (Freund?) dient. Leider hat Herr Bell für sich behalten, warum er angesichts dieses Zielmarktes nicht für eine Heimcomputerfirma, sondern für einen ernsthaften Hardwarehersteller arbeitet.

Den Vogel freilich schießt Apple-Fellow Alan Kay ab. Der ehemalige Palo-Alto-Forscher entwickelt Phantasien, gegen die das Knight-Rider-Auto "K.I.T.T." Schnee von gestern ist. Ihm schwebt zu besagtem Hosentaschen-PC noch ein in die Sonnenbrille integriertes Display vor - und ein dichtes Netz von Transpondern in allen Häuserwänden, mittels dessen der solchermaßen digital equippte Mensch in ständigem Kontakt zu einem umfassenden Datennetz steht. Das dazugehörige Spracherkennungs- und Funksystem wurde Kay in die Armbanduhr einbauen. Big Brother hätte in diesem Szenario ein leichtes Spiel. Bestünde auch nur der geringste Zweifel daran, daß der Technologe das "Wall Street Journal" mit dem Witzblatt "Mad" verwechselt hat, müßte man sich regelrecht Sorgen machen um Apple.

Wir aber halten es mit Mitchell Kapor, dem Entwickler des mehr praktischen denn futuristischen Lotus 1-2-3. Er sieht es für möglich an, mit der PC- und Video-Technik des Jahres 2000 einen Film wie "Roger Rabbit" in Heimarbeit zu produzieren. Nur kann sich Kapor nicht denken, was Leute, die sich im Jahr 1989 für die Textverarbeitung einen 386er kaufen, mit so etwas anfangen könnten. Die immer schnellere Technik führe eben nicht dazu, daß die Menschen schneller denken. Richtig, Mitch!